Süddeutsche Zeitung

Ausländische Uni:Dr. med. Ungarn

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Für ein Medizinstudium brauchen Bewerber ein Einser-Abitur oder zehn Semester Wartezeit. Wer beides nicht hat, kann nun erstmals an den deutschen Ableger einer ausländischen Uni gehen.

B. Taffertshofer

Für Steffen Oehler hat sich der Ausflug nach Ungarn gelohnt. Ohne den Umweg über die Semmelweis Universität in Budapest müsste der angehende Arzt aus Augsburg noch immer auf die Zulassung zum Medizinstudium warten. Doch nun kann der 21-Jährige bereits sein fünftes Semester antreten - in Deutschland wohlgemerkt. Denn Steffen Oehler gehört zu den ersten Studenten, die auf einem neuen Campus der ungarischen Universität, der mitten in Hamburg liegt, ihr Medizinstudium vollenden wollen.

Das Hamburger Projekt ist laut Experten bislang einzigartig. Erstmals gründet damit eine ausländische staatliche Universität eine Dependance in Deutschland, um Medizinstudenten auszubilden. Für Steffen Oehler ist das eine gute Möglichkeit, ohne Einser-Abitur und Wartezeiten seinen Traumberuf zu erlernen.

Zweifelhafter Durchbruch

In der Hochschulszene weckt dieser Durchbruch aber auch Sorgen. Zwar ist die Budapester Uni eine renommierte Ausbildungsstätte für Mediziner, doch manche fürchten, dass bald weniger angesehene ausländische Hochschulen ihrem Beispiel folgen könnten. Wer garantiert dann für die Qualität des Studiums?

Das Hamburger Modell ist schnell erklärt, auch wenn Anwälte dafür komplizierte Konstruktionen des liberalisierten Europarechts durchdringen mussten. Es dauerte Jahre, bis die ungarische Universität und ihr deutscher Partner die Asklepios Kliniken ihre Kooperation besiegeln konnten.

Danach begann das bange Warten, ob das ungarische Bildungsministerium den Akkreditierungsantrag bewilligen würde. Doch nun steht es fest, schwärmt Jörg Weidenhammer, Geschäftsführer der Asklepios Medical School: Die Fakultät der Humanmedizin der Budapester Universität darf pünktlich zum Studienbeginn ihre Arbeit in Deutschland aufnehmen.

Prüfung nach ungarischem Recht

Der neue "Asklepios Campus Hamburg" soll auf dem Gelände des Krankenhauses St.Georg entstehen. 40 Studenten beginnen dort am 8. September ihre klinische Ausbildung, jedes Jahr sollen weitere folgen. Wie Steffen Oehler haben sie allesamt ihr Physikum bereits in Budapest bestanden. In Hamburg werden sie lediglich ihre klinischen Semester durchlaufen.

Geprüft wird der Medizinernachwuchs am Ende nach ungarischem Recht. Das bedeutet: Steffen Oehler wird nicht den deutschen Studienabschluss und Doktortitel erhalten, sondern das ungarische Pendant.

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Wissenschaftsrat schaut zu

Dieser Kunstgriff macht es möglich, dass Kontrolleure, die in Deutschland normalerweise Studienangebote genehmigen müssen, in Hamburg erst gar nicht zum Einsatz kommen. "Bei der Semmelweis Universität und den Asklepios Kliniken mache ich mir aber keine Sorgen", sagt Wedig von Heyden, Generalsekretär des Wissenschaftsrats. Der Wissenschaftsrat prüft private Hochschulen, um die Qualität ihres Lehrangebots sicherzustellen. Bei dem bisher einmaligen Hamburger Vorhaben sei er aber nicht involviert, betont von Heyden.

Den Plan, mithilfe einer ausländischen Uni selbst Ärzte auszubilden, haben schon mehrere Kliniken gehegt. Sie scheiterten jedoch bislang am einflussreichen Wissenschaftsrat. In Oldenburg etwa arbeitet man seit Jahren an einer Kooperation mit der niederländischen Universität Groningen. Allerdings sollen dort deutsche Abschlüsse verliehen werden, also geht es nicht ohne Genehmigung des Wissenschaftsrats.

Steffen Oehler glaubt nicht, dass er durch den ungarischen Doktortitel Nachteile in seiner beruflichen Karriere haben wird. "Ganz im Gegenteil", sagt er, "die Ausbildung an der Semmelweis Uni hat einen guten Ruf". Dennoch freut sich Steffen Oehler jetzt darauf, wieder nach Deutschland zurückkehren zu können. Die Wohnung in Budapest hat er vorige Woche bereits aufgelöst, die Koffer für Hamburg sind gepackt.

Bisher mussten sich die deutschen Studenten an der Budapester Universität selbst darum bemühen, nach zwei Jahren wieder in ihre Heimat zurück zu können. Zwar werden dort seit den achtziger Jahren Vorlesungen in deutscher Sprache angeboten, doch nach dem Physikum müssen die Studenten ihre Patienten verstehen können. Und die wenigsten lernen Ungarisch. Viele schaffen es nur über eine Klage, an eine deutsche Uni zurückzukehren, denn die Plätze sind knapp.

Hohe Zugangshürden

In medizinischen Studiengängen klafft die Schere zwischen Bewerbern und Plätzen immer weiter auseinander. Gab es Mitte der neunziger Jahre für 15.200 Bewerber in Humanmedizin noch 7500 Ausbildungsplätze, kämpften zum Wintersemester 2008/09 bereits 35.400 Abiturienten um nur 8500 Plätze. Grund für das Missverhältnis: Die Ausbildung am Patienten wurde intensiviert.

Da zudem viele Unikliniken aus Kostengründen die Bettenzahl reduzierten, streiten sich Studenten um immer weniger Plätze. In diesem Herbst wird ein neuer Rekord erreicht: Unis in Berlin, Freiburg oder Heidelberg nahmen ausschließlich Bewerber mit einer glatten 1,0 im Abitur auf. Ansonsten kam nur noch derjenige zum Zug, der zehn Semester, also fünf Jahre, gewartet hat. Im Jahr zuvor lag die Wartezeit noch bei vier Jahren.

Um die hohen Zugangshürden zu umgehen, flüchten Medizinstudenten nicht nur nach Ungarn, sondern auch nach Österreich oder Großbritannien, weiß Bernhard Scheer von der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS). Andere entscheiden sich für den Gerichtsweg: Einige tausend Abiturienten ziehen jedes Jahr vor Gericht, um sich ihren Studienplatz in Humanmedizin, Zahnmedizin oder Psychologie zu erstreiten. Gemeinsam mit Anwälten wollen sie den Nachweis führen, dass die Unikliniken mehr Plätze anbieten können, als sie über die ZVS und im Auswahlverfahren der Hochschulen anbieten.

Die Klagen sind keineswegs aussichtslos, doch Steffen Oehler ist froh, dass ihm der nervenraubende und teure Gerichtsweg erspart bleibt. Allerdings ist auch sein Studienweg kostspielig. Schließlich will die ungarische Universität mit ihren ausländischen Studenten Geld verdienen, das sie dringend braucht. In Ungarn betragen die Studiengebühren etwa 11.200 Euro pro Jahr, in Hamburg werden sogar jährlich 14.400 Euro fällig. Zur Finanzierung könnten Hochschüler einen günstigen Kredit aufnehmen, meint Jörg Weidenhammer. Steffen Oehler ist das sein Studium jedenfalls wert.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2008/sonn
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