Süddeutsche Zeitung

Ausbildung zum Koch:Wer will schon monatelang Zwiebeln schälen?

Knallharte Arbeitszeiten, raue Umgangsformen: Während im Fernsehen Köche wie Stars gefeiert werden, findet die Branche kaum Nachwuchs.

Von Wilfried Urbe

Benjamin ist glücklich. Nur ein paar Monate noch, dann wird er seine dreijährige Ausbildung zum Koch abschließen. Der sportliche Abiturient kann sich noch gut an die ersten Tage im Betrieb erinnern - vor allem an den Muskelkater, der sich schnell einstellte. "Aber man gewöhnt sich an die harte Arbeit", sagt der 22-Jährige. Und auch daran, dass die erlaubten Arbeitszeiten für Auszubildende häufig überschritten werden. Zwölf Stunden am Tag sind für Benjamin keine Seltenheit.

Aber wer will sich schon beschweren, wenn er die Chance hat, in einem angesagten Sterne-Restaurant ausgebildet zu werden? "Ich möchte natürlich auch meine Kollegen nicht im Stich lassen", sagt er. "Aber mit vierzig will ich nicht mehr so vorm Herd stehen, irgendwann ist man in diesem Job sicher ausgebrannt."

Was Benjamin schildert, ist symptomatisch. Der Nachwuchs in der Gastronomie findet nur selten gute Arbeitsbedingungen vor. Und das schreckt ab. "Wir müssen über uns selbst nachdenken, wenn wir diese Situation bemängeln", sagt der Kölner Gastronom Rudolf von Borries. Sein Kompagnon Michael Stern ergänzt, dass es nicht die harte Arbeit ist, die den potenziellen Nachwuchs abstößt: "Monatelang nur Zwiebeln schälen und sauber machen, dazu der ruppige Umgangston, die geringe Wertschätzung im Betrieb - das kann die jungen Leute schon erbittern."

Borries und Stern sind bekannte Eventgastronomen im Köln-Bonner Raum ("Wolkenburg", "Kölnsky", "La Redoute"). Selbstkritisch geben sie zu, früher zu viel gefordert und zu wenig gegeben zu haben. "Man muss mit den Leuten auf Augenhöhe reden und sich Zeit für ihre Sorgen nehmen", sagt Borries, "und wenn Druck aufkommt, nicht mit Aggression reagieren, sondern auch mal loben. Und Kritik immer nur unter vier Augen."

Der "Lernprozess", wie Stern es nennt, den sie absolviert haben, habe nicht nur zu Veränderungen in ihren eigenen Betrieben geführt. Seit einigen Jahren veranstalten sie regelmäßig die "Nacht der jungen Sterne": Etwa 50 junge Köche und Restaurantfachleute im zweiten Ausbildungsjahr organisieren unter Anleitung von Profis ein Galadinner für Eltern und ausgesuchte Gäste. Ob Einladung, Entwurf des Logos, Dekoration oder die Wahl des Vier-Gänge-Menüs - alles nehmen die Azubis selbst in die Hand. Damit wollen die beiden Gastronomen den "häufig unterschätzten Azubis" zu mehr Anerkennung verhelfen.

Viele Gastronomen haben die Arbeitszeiten schamlos ausgenutzt

"Problematisch sind weniger die Besonderheiten der Ausbildung, sondern die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen", sagt Christian Rach. Der Koch ist nicht nur ein Fernsehstar, er setzt sich auch für bessere Bedingungen in der Branche ein, zuletzt als Redner auf einem Branchentag in Berlin. "Gerade in Berufen mit unattraktiven Arbeitszeiten werden händeringend Auszubildende gesucht", sagt er, "parallel dazu entziehen die großen Unternehmensketten der traditionellen Handwerksproduktion oft den Boden." So bieten heute fast alle Fast-Food-Ketten oder Tankstellen Speisen an, die nicht von ausgebildeten Köchen zubereitet werden. Und leider hätten in der Vergangenheit viele Gastronomen die Arbeitszeiten schamlos ausgenutzt: "Früher war es gang und gäbe, dass die Lehrlinge nach ihrem Schultag noch in den Betrieb mussten, obwohl sie das nicht dürfen. Und auch heute halten sich nicht alle Ausbildungsbetriebe an die Vorschrift."

Mit gemischten Gefühlen erinnert sich Rach an seine eigenen Lehrjahre, als er in Frankreich in einem "unglaublich angesehenen Restaurant" arbeitete. "Ich habe noch nie so viele Männer weinen gesehen wie in dieser Zeit." Als er viele Jahre später einen Kollegen von damals wieder traf, habe ihn dieser gefragt: Hat es uns denn geschadet? Die Antwort des Starkochs: "Du hast es überlebt, ich habe es überlebt, aber es hat der Branche geschadet. Dass Geschrei und Herabwürdigung normal sind - dieser Ruf kommt nicht von ungefähr."

Joachim Motzfeld ist Ausbildungsleiter beim Berufskolleg Ehrenfeld. Er kann bestätigen, dass die jungen Menschen, die den Kochberuf ergreifen möchten, anfangs sehr motiviert sind: "Aber im Laufe der Zeit gibt es einen stetigen Sinkflug, was die Motivation angeht." Massive Arbeitszeitüberschreitung etwa sei ein permanentes Problem, manchmal meldeten die Betriebe ihren Nachwuchs auch nicht ordnungsgemäß an den Schulen an. Das seien einige Ursachen der hohen Abbrecherquote, meint Motzfeld.

In keinem anderen Bereich brechen so viele Azubis ihre Lehre ab wie im Hotel- und Gastgewerbe. Laut Berufsbildungsbericht 2016 warf ungefähr die Hälfte der Restaurantfachleute und der Köche vorzeitig das Handtuch. "Die Industrie- und Handelskammer müsste diese Kriterien auch verstärkt überprüfen", sagt Motzfeld. Der Ausbilder hält außerdem eine modulare Ausbildung für wichtig: "Bisher gibt es nur ein Berufsprojekt für alles." Denn Koch ist nicht gleich Koch. Ob im Drei-Sterne-Restaurant, in Großküchen von Krankenhäusern oder in der Mensa - jeder Bereich hat seine Berechtigung und stellt hohe, aber ganz unterschiedliche Anforderungen.

Das war auch ein Grund, warum Hermann Bareiss vor 25 Jahren gemeinsam mit dem Verein "Förderer der Hotellerie & Gastronomie" (FHG) eine Ausbildung für besonders motivierte Abiturienten ins Leben rief. Zahlreiche Spitzenhotels und -restaurants in ganz Deutschland bieten die FHG-Ausbildung an, die mittlerweile auch staatlich zertifiziert ist. Neben der Regelausbildung erhalten die Absolventen einen vertieften Unterricht, etwa mit fachbezogenen Fremdsprachen, Computerkursen und Rechtskunde. Seit einigen Jahren werden auch Bewerber mit einem mittleren Schulabschluss zugelassen. "Die Ausbildung geht praktisch und theoretisch mehr in die Tiefe", sagt Bareiss, selbst Betreiber des berühmten Hotels und Drei-Sterne-Restaurants "Bareiss" in Baiersbronn. "Die jungen Leute, die hier angenommen werden, gehören zur Elite."

Ausschlaggebend war für den Hotelier die mangelnde Differenzierung in der Ausbildung. "Es wurde überhaupt nicht zwischen Hauptschulabsolventen und Abiturienten unterschieden", sagt er. "Die einen fühlten sich unterfordert, die anderen überfordert." Zwei Jahre dauerte der Weg durch die Institutionen, um die FHG-Ausbildung zu etablieren. Trotzdem habe sich insgesamt nicht viel geändert, sagt Bareiss: "Bei den zuständigen Institutionen und Verbänden ist der Wunsch nach Nivellierung der Ausbildung stärker denn je."

Auch Bareiss sieht einen Zusammenhang zwischen dem schlechten Ansehen der Gastronomieberufe und den Ausbildungsbetrieben, die wichtige Standards nicht einhalten. Noch bis in die Neunzigerjahre habe der Kochberuf ein hohes Renommee genossen. Das änderte sich dann: "In vielen Unternehmen wurden die jungen Menschen ausgebeutet, mit mangelndem Respekt behandelt", sagt der Hotelier. "Da fehlen dann die Voraussetzungen, dass man überhaupt Spaß an diesem Beruf entwickeln kann."

Oft werde behauptet, der Nachwuchs sei schließlich auch nicht mehr das, was er einmal war. Diese Behauptung sei schlichtweg falsch, meint Bareiss: "Das ist verkehrt, die jungen Menschen, die in diese Branche kommen, sind wunderbar." Die schwarzen Schafe unter den Ausbildern hätten der Branche immens geschadet und seien für zahlreiche aktuelle Probleme verantwortlich.

Heute klagen viele Betriebe über einen Mangel an Nachwuchs und erklären daher öffentlich, was sie alles tun, um die Situation zu entschärfen: Sie versprechen kontrollierte Arbeitszeiten, ein gutes Betriebsklima, Elterntage oder Feste von und für Azubis. "Das hätten sie schon vor 30 Jahren tun sollen", sagt Bareiss. "Denn die Betriebe, die sich schon früher nicht um ihre Lehrlinge gekümmert haben, werden zukünftig keine mehr finden."

Auf einen wichtigen Punkt weisen schließlich die beiden Kölner Gastronomen Stern und Borries hin: Die Gäste sollten häufiger bedenken, dass Leistung entsprechend honoriert werden muss: "Wenn also irgendwo ein Drei-Gänge-Menü für zehn Euro angeboten wird, dann sollte man sich darüber im Klaren sein, dass solche Preise nicht seriös zustande kommen können."

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Quelle:
SZ vom 24.12.2016/mkoh
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