Süddeutsche Zeitung

Ausbildung:Warum es Migranten auf dem Arbeitsmarkt schwer haben

Betriebe, die Jugendliche aus Zuwandererfamilien ausbilden, sind meist mit ihnen zufrieden. Häufig kommt es aber gar nicht erst dazu.

Von Thomas Öchsner

Auf der Suche nach einer Lehrstelle kann der Name entscheidend sein. Wer Ahmet oder Hakan heißt, wird seltener zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen als ein Tim oder Lukas. Das gilt selbst dann, wenn die Noten der Bewerber mit einem Durchschnitt von 1,9 gleich gut sind und jeweils Deutsch als Muttersprache angegeben wird.

Gut vier Jahre ist es her, dass der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration diese Testergebnisse veröffentlichte, für die die Forscher als fiktive Bewerber mit typisch deutschen und typisch türkischen Namen fast 1800 Unternehmen angeschrieben hatten. Seitdem hat sich offenbar erschreckend wenig geändert - trotz vieler unbesetzter Ausbildungsstellen. Immer noch tun sich Jugendliche mit ausländischen Wurzeln schwerer, eine berufliche Ausbildung zu beginnen und bei Bewerbungen erfolgreich zu sein.

Es bestehe nach wie vor "erheblicher Handlungsbedarf", um die Ausbildungschancen der im dualen System "weit unterdurchschnittlich repräsentierten Gruppe" von jungen Menschen aus Zuwandererfamilien zu verbessern. "Dies gilt insbesondere, da Menschen mit Fluchthintergrund nunmehr verstärkt die Sprach- und Integrationskurse verlassen und eine Ausbildung anstreben." So steht es schonungslos im neuen Berufsbildungsbericht, den Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) an diesem Mittwoch in Berlin vorstellen will.

Jedes Jahr gibt die Bundesregierung den Bericht heraus, und jedes Jahr finden sich darin neue Zahlen zu der Misere. Von den jungen Menschen mit ausländischem Pass fangen demnach ungefähr nur halb so viele eine Berufsausbildung im Betrieb und in der Berufsschule an (27,6 Prozent) wie von den deutschen Jugendlichen (55,8 Prozent). Auch bleiben junge Menschen aus Zuwandererfamilien überdurchschnittlich häufig ohne Berufsabschluss und damit Ungelernte. Doch woran liegt das?

Schulnoten allein sind nicht das Problem

Bei der Suche nach Antworten kann man in der Schule beginnen. Wer einen Lehrling einstellen will, schaut immer noch auf die Schulnoten und die Schulabschlüsse. Aber nicht nur die Deutsch-Noten der Schulabgänger mit ausländischen Wurzeln sind oft schlechter. "Die Schulabschlüsse ausländischer Jugendlicher sind insgesamt niedriger als die der deutschen Jugendlichen." Auch verließen junge Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit "mehr als doppelt so häufig die allgemeinbildende Schule ohne Abschluss wie junge Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit", heißt es im Bericht. Wer stellt schon gerne einen Schulabbrecher ein?

Ursula Beicht vom Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) warnt aber davor, die schlechteren Chancen für junge Migranten allein auf geringere schulische Qualifikationen zurückzuführen. Vielmehr dürfte es auch daran liegen, wie die Betriebe auswählen. Dabei könne eine Rolle spielen, dass gute Schulnoten junger Migranten weniger anerkannt werden oder die Sorge bestehe, die Belegschaft oder die Kunden würden Azubis mit ausländischen Wurzeln weniger akzeptieren.

Geht es also um eine (versteckte) Form von Diskriminierung von Ahmet, Hakan und Co.? Diakon Thomas Raithel von der Evangelischen Jugendsozialarbeit in Rothenburg hilft seit mehr als zehn Jahren Jugendlichen, die Probleme beim Start in eine Ausbildung haben. Er hat junge Migranten und Flüchtlinge erlebt, die es "unbedingt schaffen wollen, auch wenn sie merken, dass hier in Deutschland die Arbeitsanforderungen oft höher als zu Hause sind". Genauso kennt Raithel diejenigen, denen eine Ausbildung zu mühsam ist: "Die verdienen lieber schnell irgendwo Geld." Oft sei nicht ausreichend bekannt, welche Aufstiegschancen die duale Ausbildung in Deutschland bietet.

Der Diakon sieht jedoch auch die Unternehmen in der Verantwortung: "Bei etlichen Arbeitgebern ist leider immer noch die Skepsis verbreitet, dass Jugendliche aus Migrantenfamilien zu wenig in die Mannschaft passen", sagt er. Viel hänge vom familiären Hintergrund ab. "Manche Eltern sind sehr ehrgeizig, tun alles, damit ihre Kinder ein besseres Leben in Deutschland haben werden als sie selbst."

Andere hätten die Vision verloren, dass ihre Kinder wirklich eine gute Chance haben. "Sie haben selbst im Billiglohnsektor gearbeitet und gehen stillschweigend davon aus, dass dies auch für ihre Kinder gilt. Da fehlt dann das Vorbild im Elternhaus, der Aufstiegsglaube und die Hoffnung, ich kann es hier wirklich packen."

Dabei könnte die Ausbildung von Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte "eine Erfolgsstory sein". Das sagt Mona Granato vom Bundesinstitut für Berufsbildung. Sie weist auf die überwiegend guten Erfahrungen in der Praxis hin. So sind drei von vier Arbeitgebern mit den Azubis aus Migrantenfamilien genauso zufrieden wie mit deutschen Jugendlichen. Umgekehrt sind auch die Jugendlichen mit ihrer Ausbildung meist zufrieden.

Beim Übergang in die Ausbildung holpert es

Auf dem Weg dahin müssen aber ein paar Dinge gut passen oder besser klappen. Dazu gehört für die Expertin, dass Schulen Schüler auf die Lehrstellensuche gut vorbereiten. "Da ist noch mehr möglich", sagt Granato. Als hilfreich haben sich auch Praktika, die Einstiegsqualifizierung oder ein Coach erwiesen, der den Übergang in die Ausbildung begleitet. Dies trage dazu bei, gerade bei kleineren Betrieben Vertrauen aufzubauen. "Für sie ist es gut, sich im Vorfeld einen Eindruck machen zu können, ob der Azubi in den Betrieb passt", sagt sie. Hilfreich sei auch, wenn ein externer Ansprechpartner zur Verfügung steht, "wenn es mal Probleme geben sollte".

Das bestätigt die stellvertretende DGB-Chefin Elke Hannack. Mit Schülerpraktika oder der Einstiegsqualifizierung hätten die Unternehmen die Chance, "das Potenzial der jungen Menschen zu erkennen", erst recht, wenn es bei ihnen noch Vorbehalte gebe. Auch anonymisierte Bewerbungen seien nötig, um die Ausbildungschancen von Einwanderern zu steigern. Sie könnten helfen, "dass viele Jugendliche zumindest die erste Schwelle, die Einladung zum Vorstellungsgespräch, besser überwinden können", sagt die Gewerkschafterin.

Das Angebot ist auf beiden Seiten riesig. Viele Unternehmen suchen schon jetzt nach Fachkräften, die ihnen in Zukunft erst recht fehlen dürften. Andererseits waren 2016 etwa 2,13 Millionen im Alter von 20 bis 34 Jahren ohne Berufsabschluss - 180 000 mehr als 2015. Auch das steht im Berufsbildungsbericht. Deutschland aber, sagt Bibb-Expertin Granato, "kann es sich nicht leisten, die Potenziale so vieler junger Menschen ungenutzt zu lassen".

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SZ vom 18.04.2018/lho
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