Ausbildung in Deutschland:Die vielen Abbrecher sind eine gute Nachricht

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Wenn ein Auszubildender seinen Beruf wechselt, muss das nicht immer schlecht sein. (Foto: imago stock&people)

Nur wenige Lehrlinge geben damit das Ziel auf, sich ausbilden zu lassen. Statt sich alles gefallen zu lassen, suchen sie bessere Bedingungen.

Kommentar von Detlef Esslinger

Menschen neigen dazu, schlechte Nachrichten intensiver wahrzunehmen als gute; egal ob es um Pflege, das Wetter, Schalke 04 oder die Lage auf dem Ausbildungsmarkt geht. Was die Ausbildung betrifft, ist es aber an der Zeit, die guten Nachrichten aufzulisten: Zum vierten Mal nacheinander ist im vergangenen Jahr die Zahl der Lehrstellen gestiegen. Rechnerisch gibt es mehr Stellen als Bewerber. Fast 93 Prozent aller Azubis haben ihre Abschlussprüfung bestanden. Und 68 Prozent wurden danach übernommen, so viele wie noch nie seit der Jahrtausendwende. Das alles steht im Entwurf für den neuen Berufsbildungsbericht der Bundesregierung. In vielen EU-Ländern wären Politiker bestimmt froh, wenn sie nur halb so schöne Zahlen zum Thema präsentieren könnten.

Zu den guten Nachrichten gehört schließlich noch: Jeder vierte Auszubildende bricht seine Lehre ab, Tendenz leicht steigend. Doch, doch, das ist ebenfalls eine gute Nachricht.

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Von Thomas Öchsner

Was aus einem Menschen wird, entscheidet sich in der Regel in jungen Jahren. Ob er einen Schulabschluss schafft (und wenn ja: welchen), das bestimmt, welche Berufe ihm offenstehen. Welchen Beruf jemand erlernen will und welchen Beruf die Gesellschaft einen erlernen lässt - das wiederum prägt nicht allein das individuelle Schicksal. Davon hängen auch die Teilhabe- und Machtverhältnisse in der Gesellschaft ab.

Manche Azubis sind schwer zu integrieren - und andere können es sich leisten zu gehen

Die Ghostwriter der neuen Bildungsministerin haben zwar recht, wenn sie ins Vorwort zu dem Bericht schreiben, dass die Chancen auf einen Ausbildungsplatz "selten so groß waren" wie heute. Doch diese Chancen sind nach wie vor sehr ungleich verteilt. Damit kommt man dann doch noch zu jenen Nachrichten vom Ausbildungsmarkt, die zumindest etwas komplizierter zu bewerten sind.

Soll man es nämlich gut oder weniger gut finden, dass immer noch fast nur Frauen dem Zahnarzt assistieren wollen, im Friseurgewerbe oder im Hotel anfangen, von den Erziehungs- und Pflegeberufen gar nicht erst zu reden? Junge Männer hingegen steigen weiter als angehende Kfz-Mechatroniker und Fachinformatiker ein. Einerseits zeigt sich darin, wie unverwüstlich archaische Rollenmuster bei den Geschlechtern offenbar sind. Und wer würde sich kümmern um Kinder, Kranke und Alte, wenn jetzt auch alle Frauen an die Computer und Lötkolben strebten? Andererseits: Frauen wählen ihre Berufe nicht immer freiwillig.

Das Wissenschaftszentrum Berlin hat in einer Studie herausgefunden, dass männerdominierte Berufe auch deshalb männerdominiert bleiben, weil sie es immer schon waren: Arbeitgeber dort bewerten Bewerbungen von jungen Frauen per se schlechter als die von Männern. Also fangen die Ersteren in der Klinik an, die Letzteren aber dürfen zu Daimler. Und wo ist wohl mehr Geld zu verdienen? So zementieren Geschlechterklischees die Einkommensverhältnisse.

Nun führen moralische Erwägungen selten dazu, dass sich die Dinge rasch ändern. Für die Frauen gibt es vielleicht aus einem anderen Grund Anlass zu Optimismus: Ohne sie werden manche Firmen vielleicht bald nicht mehr überleben können. Viele Betriebsinhaber kämpfen ja nicht nur mit dem demografischen Wandel, und es ist auch nicht nur der Trend zum Studium, der die Zahl der infrage kommenden Bewerber und Bewerberinnen weiter reduziert. Sondern sie erleben mehr und mehr männliche Kandidaten, die nur mit viel gutem Willen und noch mehr Mühe in ein Berufsleben zu integrieren sind.

Zahllos sind die Geschichten von Arbeitgebern, die erzählen, dass ihre Azubis nicht auszurechnen vermögen, wie viel Gramm Hefe man für wie viel Kilogramm Teig braucht; dass sie niemals ihre Baseball Cap abnehmen und man mit Pünktlichkeit schon gar nicht zu rechnen braucht.

In den nächsten Jahren werden manche Arbeitgeber den Fachkräftemangel auch dadurch zu bewältigen versuchen, dass sie selbst solchen jungen Menschen eine Chance geben, die sie bisher ignoriert haben. Andere werden sich hoffentlich und endlich nicht länger als Herrschaften gerieren, die vermeintlichen Nichtskönnern die Gnade einer Art Ausbildung gewähren - und sich dann wundern, dass die in Massen ihren Vertrag auflösen.

Es sind ja immer dieselben Branchen, die davon betroffen sind und die scheinbar alarmierenden Abbrecherzahlen produzieren, vor allem die Gastronomie und das Sicherheitsgewerbe. Bezahlung schlecht, Arbeitsbedingungen sehr schlecht, Betriebsklima legendär schlecht - das ist nicht die attraktivste Kombination. Die jungen Menschen, die diese Betriebe fliehen, geben deshalb nicht das Ziel auf, sich ausbilden zu lassen.

Die meisten wechseln einfach nur den Betrieb oder die Branche. Und sie ergreifen diese Gelegenheit immer dann leichten Herzens, wenn die Lage auf dem Ausbildungsmarkt für sie sehr gut ist. So wie eben jetzt.

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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