Süddeutsche Zeitung

Ausbildung:Bange Blicke in die Zukunft

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In westdeutschen Bundesländern hat sich die Ausbildungslage verschlechtert. In Ostdeutschland gibt es eine Stelle für drei Bewerber.

Kristina Läsker

(SZ vom 30.4.2003) Die Wortwahl lässt auf eine Notlage schließen. Von einem "katastrophalen Einbruch betrieblicher Ausbildungsstellen" spricht Ingrid Sehrbrock, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt sei "bedrohlich", heißt es bei Verdi. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) "befürchtet", dass die Betriebe bis Herbst nur zögerlich weitere Ausbildungsplätze anbieten. Von einem "drastischen Rückgang" gemeldeter Lehrstellen spricht die Bundesanstalt für Arbeit (BA).

Ein Minus von 13 Prozent

Aufgeschreckt werden Arbeitgeberverbände, Arbeitnehmervertreter und Politiker durch die aktuellen Zahlen der Bundesbehörde: 523.389 Lehrstellenbewerber registrierte die BA bis Ende März in ihrer Halbjahresbilanz, aber nur 393.061 gemeldete Lehrstellen; eine Versorgungslücke von rund 130.000 Stellen.

Vergleicht man die noch nicht besetzten Stellen (190.185) mit den bisher nicht vermittelten Bewerbern (331.047) wächst die Kluft: Mehr als 140.000 Stellensuchende müssen sich derzeit um ihre Zukunft sorgen. Doch nicht nur die absolute Zahl erregt die Gemüter: Im Vergleich zum Vorjahr gibt es kaum weniger Bewerber, dafür fehlen rund 58.000 Stellen (minus 13 Prozent). Bis zum Ausbildungsbeginn im September haben die Betriebe noch Zeit, offene Ausbildungsplätze zu melden. Aber die schlechten Konjunkturaussichten stimmen viele Experten pessimistisch: "Wir wären schon froh, wenn sich die Lehrstellensituation nicht verschlechtert", sagt Markus Kiss, Referent für Ausbildungspolitik beim DIHK.

Düstere Aussichten

Besonders betroffen vom Stellenrückgang sind einige westdeutsche Bundesländer: Ungewollter Spitzenreiter ist die Stadt Hamburg mit einem Minus von knapp 18 Prozent, rund 1600 Azubis weniger wollen die dortigen Firmen einstellen.

Auch im Saarland (minus 15,2 Prozent) und in Schleswig-Holstein (minus 14,6 Prozent) sind die Aussichten düster. In Ostdeutschland bleibt die Stellenlage dramatisch. Wenn die Betriebe ihre Ausbildungspolitik bis Herbst nicht ändern, kommen dort auf eine Lehrstelle drei Bewerber.

Die Misere ist nicht neu. Bereits im Vorjahr schlossen laut Statistischem Bundesamt die Unternehmen knapp sieben Prozent weniger Ausbildungsverträge ab, insgesamt 568.012 Azubis traten ihre Arbeit an.

Den größten Rückgang des vergangenen Jahres vermeldeten Industrie und Handel (minus acht Prozent), die gut die Hälfte aller Azubis einstellen. Rund ein Drittel der Lehrlinge erlernt einen Handwerksberuf, auch hier schrumpfte die Zahl der Ausbildungsverträge um 7,2 Prozent.

Eine Trendwende ist weder im Handwerk noch in der Industrie in Sicht: "Im Vergleich zum Vorjahr haben wir momentan rund 5,1 Prozent weniger gemeldete Lehrstellen", sagte DIHK-Referent Kiss. Man plane eine groß angelegte Lehrstellenoffensive. "Aber wir können die Unternehmen ja nicht zwingen."

Wie teuer ist ein Lehrling?

Ein wenig Zwang wäre in der Tat notwendig. Momentan bilden 25 bis 30 Prozent der Betriebe Azubis aus. Ein gängiges Argument der Ausbildungsverweigerer: Die Lehrstellen seien zu teuer. So forderte DIHK-Präsident Ludwig Georg-Braun kürzlich eine Absenkung der Ausbildungslöhne um 20 Prozent, was die Bundesregierung bei dem Treffen am Dienstag aber abgelehnt hat.

Durchschnittlich kostet ein Lehrling rund 16.400 Euro jährlich, so das Bundesinstitut für Berufsbildung. Zieht man die Erträge ab, die ein Azubi erwirtschaftet - rund 7700 Euro - kostet er nur rund 8700 Euro jährlich, so die Rechnung des Instituts.

Bildungspolitiker werfen der Wirtschaft daher Kurzsichtigkeit vor. Für relativ geringe Einsparungen heute riskierten die Unternehmen einen künftigen Facharbeitermangel.

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