Aus dem SZ-Magazin:Wilde Väter

Kann man mit seinen Freunden rumhängen, die Nächte durchmachen und trotzdem ein guter Papa sein? Ein Besuch bei Marco, John und Tom - sie bekommen das hin.

Martina Wimmer

Ein klassischer Herrennachmittag beginnt im "Toaster". Milan, dreieinhalb, kennt den Weg. Mit seinem Laufrad rast er die ausladenden Gehsteige der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain entlang. Marco Haas schlendert ein gutes Stück hinterher, das Handy am Ohr. Er regelt letzte Geschäfte des Tages, sagt: "Nicht den Hit als Erstes verbraten" und "Hauptsache, die Anlage ist okay".

Kann man mit seinen Freunden rumhängen, die Nächte durchmachen und trotzdem ein guter Vater sein?

Erziehungsmodell Männerfreundschaft: "Ein echt cooler Typ", sagt der Vater - und meint den Sohn.

(Foto: Foto: Heji Shin)

Man kennt sich auf den Holzbänken vor der Sandwich-Bar. Das Kind begrüßt den Wirt und die Stammgäste mit lässigem High-Five-Handschlag und bestellt sich Toast mit Käse und Ei. Es trägt ein schwarzes T-Shirt, darauf ist ein Panzer zu sehen, mit einem trichterförmigen Lautsprecher statt mit einer Kanone bestückt.

"Cooler Typ, was? Seit er reden und laufen kann, wird es immer besser, ich freue mich jeden Tag mehr." Marco Haas ist großflächig tätowiert, um seinen Hals hängt die Miniatur einer Handgranate. Seine Stofftasche zeigt denselben Aufdruck wie das Hemd des Jungen, der Panzer ist sein Logo. Als Musiker und DJ nennt sich der 30-Jährige "T.Raumschmiere", doch nachmittags, wenn seine Lebensgefährtin eine Fotoschule besucht und Milan aus dem Kindergarten kommt, ist er hauptberuflich Vater.

Eine Rolle, in die er sich einarbeiten musste. Romantisieren ist seine Sache nicht, wenn er über Familiendinge spricht. Menschen, die mit viel Vorbereitung ihr Leben auf Kinder einrichten, sind ihm suspekt. Sein Nachwuchs war nicht geplant, er war erschrocken, na klar, dachte, er sei noch nicht bereit, weiß jetzt: "Totaler Quatsch. Wenn so ein Krampen erst da ist, dann bist du so weit."

Für einen allerdings, der sich früher tagelang im Studio eingeschlossen hat, war der Säugling eine fremde Herausforderung. "Mit Babys kann ich überhaupt nichts anfangen. Du kannst nicht mit ihnen reden oder spazieren gehen, noch nicht mal Puzzle spielen." Die erste Vaterpflicht war ihm eine Qual: "Ich habe ihn auch nachts durch die Wohnung getragen, aber es hat mich fertig gemacht."

Umso entspannter zieht er jetzt mit dem Junior um die Häuser des eigenen Viertels und pflegt das Erziehungsmodell Männerfreundschaft. Der Sohn wird ganz selbstverständlich in Arbeit und Freizeit integriert. Wenn viel zu tun ist, nimmt er ihn mit ins Büro der hauseigenen Plattenfirma oder setzt ihn im Studio ans Schlagzeug. Wenn die großen Herren am Biertisch über eine neue CD fachsimpeln, bekommt der Kleine versprochen: "Die hören wir uns heute noch zusammen an." Langweilt sich Milan mit den erwachsenen Jungs, greift er sich den Ball, der im Vater-Sohn-Stammlokal deponiert ist, und nötigt den Verkäufer des benachbarten Wasserpfeifen-Ladens zum Bolzen.

Der Vater sieht ihm nicht ohne Stolz dabei zu: "Innenrist. Außen-rist. Das macht er verdammt gut." Er kann es nicht oft genug wiederholen, es scheint das größtmögliche Kompliment, vielleicht auch an die eigene Erziehungsleistung: "Echt cooler Typ!"

Ein Attribut, das Marco Haas möglicherweise ebenso anhaftet. Musiker und DJ, selbstbestimmter Künstler, der zu lautem Elektro-Punk spätnachts die Clubs der Welt zusammenbrüllt. In manchen Arbeitsnächten steigt er erst um drei Uhr morgens auf die Bühne und trinkt Whisky aus der Flasche. An Wochenenden ist er meistens auf Tour und gemeinsamen Urlaub verträgt er nicht länger als zwei Wochen. Gleichzeitig ist er Familienvater. Einer von den Kerlen, bei denen eigentlich jeder denkt: Wie soll das gehen?

Denn das Klischee nährt andere Vorstellungen. Der wilde Mann, der ewig jung und ungestüm seine eigene Wahrheit sucht, der unter Gleichgesinnten sich vor allem selbst gefallen will und den Grund der Dinge manchmal auch auf dem Boden eines Glases findet, hat für das Lebensmodell Familie vielleicht hehre Gefühle, aber keine echten Kapazitäten frei. Kinder gemacht haben sie immer, aber hat man Iggy Pop oder wenigstens Daniel Cohn-Bendit mal mit einem Baby-Björn gesehen?

Mittlerweile jedoch ist das aktive Bekenntnis zum Kind medienwirksames Männer-Attribut ehemaliger Grenzgänger geworden. Johnny Depp wird nicht müde zu erzählen, dass er seinen Sohn fütterte, als er von der ersten Oscar-Nominierung erfuhr, Campinos neues Leiden heißt, sich vom Baby zu verabschieden, wenn er auf Tour geht.

Und auch auf den Gehwegen der Großstädte hat sich unter die Szenegänger eine neue Spezies gemischt. Deren Vertreter sehen zunächst aus wie immer: gute Sonnenbrille, hippes Shirt, entspannte Körperhaltung, Kippe oder Handy in der einen Hand. Die andere aber schiebt einen Kinderwagen. Ganz locker aus der Hüfte, als hätten sie das schon immer getan. Dennoch leicht befremdet, als beobachteten sie sich selbst, um zu erspüren, wie sich das neue Leben mit dem alten Ego verträgt.

Man trifft die neuen Väter in der Nähe von Spielplätzen mit beiläufigem Blick Richtung Klettergerüst. Darauf bedacht, niemals zu besorgt zu wirken. Als gäbe es einen Ruf zu verlieren. Man ahnt: Der Mann hat schon vor dem ersten Zahn seines Kindes die eine oder andere Nacht durchgemacht. In Clubs oder Kneipen, mit alten Freunden oder neuer Musik. Auf jeden Fall dabei: eine Menge Männerspaß, Freiheit und kein Morgen. Und man fragt sich, wie die Sinnstiftung jetzt funktioniert. Was erlebt der coole Kerl am Wickeltisch? Wie verbindet man die Alles-easy-Attitüde mit dem sperrigen Postulat der Vaterpflicht?

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