Süddeutsche Zeitung

Aufstieg der Elite:Der Stallgeruch macht's

Nur Menschen mit der richtigen Kleidung und den passenden Hobbys haben Chancen auf eine Spitzenposition in der Wirtschaft. Soziologe Michael Hartmann erklärt warum.

Dominik Stawski

Man muss sich nur genug anstrengen. Dann kommt der Erfolg ganz von selbst. Etwa nicht? Der Soziologe Michael Hartmann beschäftigt sich seit zwanzig Jahren mit den Eliten in unserer Gesellschaft. Sein Fazit klingt düster: Geht es um Spitzenposten in der Wirtschaft, zählt am Ende nicht die Leistung, sondern die Herkunft.

SZ: Herr Hartmann, Sie sind Elitenforscher. Zählen Sie als Professor, der oft in den Medien auftaucht, selbst zur Elite?

Michael Hartmann: Nein. Eliten sind Personen, die aufgrund ihres Amtes oder ihres Eigentums gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich beeinflussen. Das können Bundesrichter sein, Vorstände eines Großunternehmens oder Spitzenpolitiker. Es mag auch einzelne Intellektuelle mit großem Einfluss geben, aber das sind Ausnahmen.

SZ: Sie sagen, wer zur Elite gehört, hat Macht. Das klingt verlockend. Wie wird man zur Elite?

Hartmann: Ohne Hochschulabschluss ist das fast unmöglich. Aber dieses Kriterium erfüllen inzwischen viele, mehr als ein Fünftel eines Jahrgangs. Daher kommen Persönlichkeitskriterien zum Zuge.

SZ: Welche sind das?

Hartmann: Die Kenntnis von den Verhaltensweisen, den sogenannten Codes der besseren Kreise, ein breites bildungsbürgerliches Wissen, eine optimistische, unternehmerische Einstellung und Souveränität. Das letzte Kriterium ist das entscheidende.

SZ: Inwiefern?

Hartmann: Wer souverän ist, verhält sich wie jemand, der weiß, dass er dazugehört. Er kann mit der Kleiderordnung und den Verhaltenscodes auch spielerisch umgehen. Jedes der genannten vier Kriterien begünstigt Bewerber, die aus dem großbürgerlichen Milieu stammen, ganz enorm. Denn sie wissen von Kindesbeinen an, worauf es ankommt, weil sie es verinnerlicht haben. Ein Aufsteiger wirkt dagegen unsicher.

SZ: Das klingt, als seien die Eliten eine verschworene Gemeinschaft, die nur ihresgleichen akzeptiert. Gerhard Schröder war ein Arbeiterkind und wurde trotzdem Bundeskanzler. Es gibt noch mehr Beispiele für Aufsteiger.

Hartmann: In der Politik muss man gewählt werden, da zählen diese Codes und Eigenschaften weniger, obwohl es auch dort sozial immer geschlossener wird. Auch in Justiz und Verwaltung sind die Codes weniger wichtig, denn dort sind die Karrierewege relativ stark formalisiert. Aber in der Wirtschaft sieht das anders aus. Da reicht es völlig aus, wenn ein paar Leute der Meinung sind, Sie seien die richtige Person für einen Job. Dort bleibt man unter sich.

SZ: Die Codes sind so etwas wie Stallgeruch. Verändern sie sich?

Hartmann: Die Relevanz der Codes bleibt gleich, aber die Codes selbst können sich verändern. Ein Beispiel: Vor zwanzig Jahren war es ein absolutes No-Go, einen Bart zu tragen. Mir fällt kein Spitzenmanager ein, der das tat. Jetzt haben eine Reihe von Spitzenmanagern - allen voran Dieter Zetsche von Daimler - einen Bart. Die Codes sind auch von Land zu Land verschieden: In Großbritannien etwa steht bei Spitzenmanagern der Gartenbau hoch im Kurs. Bei den Franzosen müssen Topmanager Bücher schreiben, weil die Elite in Frankreich sich nun mal schriftstellerisch betätigt. Beides spielt in Deutschland keine Rolle.

SZ: Was macht denn einen Code aus?

Hartmann: Es geht immer um Distinktion, um Unterscheidung. Eliten betreiben Sportarten oder konsumieren Kultur, die sie von der Normalbevölkerung unterscheiden. Was das im Einzelnen ist, kann sich verändern: Früher etwa war bei deutschen Managern Jagd, Segeln oder Skifahren angesagt. Dann kam das Golfen. Aber es kann gut sein, dass Golf dasselbe Schicksal erleidet wie Tennis und nichts Besonderes mehr ist. Dann wird sich eine neue Sportart finden.

SZ: Wer hoch hinaus will, muss also die Codes lernen?

Hartmann: Ein Stück weit lassen sie sich erlernen. Es kommt darauf an, wann man damit beginnt. Wenn ein Kind im Alter von sechs Jahren in ein Jesuiten-Internat gesteckt wird, dann wird das maßgeblich seine Persönlichkeit prägen. Wenn man aber erst als junger Uni-Absolvent anfängt, sich die Verhaltensweisen einer Elite anzueignen, wird es schwieriger. Da findet man vielleicht noch heraus, wie das mit der Kleidung und dem Essen funktioniert. Das bildungsbürgerliche Wissen lässt sich aber nicht so einfach aufholen. Entscheidend ist: Man wird in keinem dieser Codes die Selbstsicherheit der Elite erreichen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie man die Regeln der Elite durchbrechen kann.

SZ: Die meisten Unternehmenskarrieren beginnen heutzutage mit einem Assessment Center. Gerade das macht doch eine Auswahl so objektiv wie möglich. Oder etwa nicht?

Hartmann: Bei einem Assessment Center für Führungskräfte geht es vor allem um das persönliche Auftreten und um Souveränität. Der Druck ist für die Teilnehmer sehr groß. Und da ist es ein großer Unterschied, ob ein Arbeiterkind das Gefühl hat, eine einmalige Chance zu erhalten, ins Nachwuchsprogramm für Führungskräfte eines großen Unternehmens zu kommen, oder ob der Sohn eines Großindustriellen sagt: Okay, ich kenne das aus meiner Familie, das ist eine Chance, aber nicht die einzige. Er wird immer entspannter in diese Situation hineingehen und sich souveräner verhalten.

b>SZ: Wie müsste ein Bewerbungsverfahren aussehen, damit die Chancen für alle gleich sind?

Hartmann: Es gibt eine Faustregel: Je formalisierter ein Verfahren ist, je weniger individualisiert, je weniger es vom persönlichen Gespräch mit den Bewerbern abhängt, desto größer ist die Chance für diejenigen, die bestimmte familiäre Voraussetzungen nicht mitbringen.

SZ: Auf ein persönliches Gespräch will wohl kein Personaler verzichten.

Hartmann: Natürlich ist das individuelle Gespräch das beste Instrument, um mehr über eine Person zu erfahren. Aber in dem Augenblick, in dem man ein Gespür für eine Person hat, kommen Sympathien, soziale Ähnlichkeit und all das ins Spiel, was für Homogenität unter den Eliten sorgt.

SZ: Warum wählen die Eliten eigentlich so gern ihresgleichen?

Hartmann: Eine Personalentscheidung ist immer mit Unsicherheit verbunden. Wenn man unter seinesgleichen bleibt, dann kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass man in vielen Punkten mit dem Kandidaten übereinstimmt, auch in denen, die nicht abgefragt wurden. Es ist also weniger riskant. Außerdem entwickelt man größere Sympathien für Personen, die einem ähneln. Das gilt ja nicht nur für Eliten.

SZ: So wie Sie die Lage beschreiben, scheint es so zu sein, als ließen sich die Regeln der Eliten nicht durchbrechen.

Hartmann: Das ist in der Tat sehr schwierig. Teilerfolge sind aber möglich. Wir sollten ein durchlässigeres Bildungssystem haben, wie in Skandinavien. Und wir müssen verhindern, dass die Elite sich weiter abhebt, beispielsweise indem Spitzeneinkommen steuerlich stärker belastet werden.

SZ: Mit Steuergesetzen gegen die ungeschriebenen Gesetze der Elite vorzugehen, ist eine drastische Maßnahme. Wie würden Sie das begründen?

Hartmann: Wenn alles so weiterläuft, dann werden die Eliten ihre ureigenen Interessen weiter leicht durchsetzen können. In den USA ist so die Schere zwischen Arm und Reich dramatisch weit aufgegangen. Die oberen zehn Prozent verfügen heute über 50 Prozent des Einkommens. Vor 30 Jahren war es noch ein Drittel. Die Reichen werden immer reicher. Und in den Unternehmen werden sich die Vorstände und Aufsichtsräte auf Kosten der Arbeitnehmer noch mehr in die eigenen Taschen stecken. Deswegen brauchen wir mehr Chancengleichheit und keine Privilegien für die Eliten.

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SZ vom 06.02.2010/holz
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