Süddeutsche Zeitung

Erfahrungsbericht Assessment-Center:Hart und wenig herzlich

Wie fühlt es sich an, drei Tage permanent unter Beobachtung zu stehen - und am Ende aussortiert zu werden? Meike Strüber musste sich für ihren Traumjob durch ein Assessment Center kämpfen. Ein Erfahungsbericht.

Bis eben ging es mir noch ungewöhnlich gut - dafür, dass der Weg zu einem Assessment-Center nun mal keine Butterfahrt ist.

Jetzt, beim Anblick meines Sitznachbarn, der gerade in die U-Bahn eingestiegen ist, wird mir leicht übel. Mit fahrigen Bewegungen zieht der eine Karteikarte nach der anderen von einem dicken Stapel auf seinem Schoß und liest sie leise zischelnd vor. Will dieser ambitionierte Mensch zum selben Auswahlverfahren wie ich?

Bei der nächsten Haltestelle kann ich aufatmen: Der Karteikartenmann steigt beim Auswärtigen Amt aus. Da soll der Wissenstest ja auch sehr schwer sein.

Ich checke mittags in ein Tagungszentrum ein, wo sich in den folgenden beiden Tagen meine berufliche Zukunft entscheiden wird. Hier soll ich in einem Assessment-Center die Eignung für meinen Traumjob unter Beweis stellen.

Kein Zickenterror

Ich bin eine Stunde zu früh dran - und dennoch die Letzte. Die anderen Bewerber, 25 Frauen und 5 Männer, stehen bereits in der Lounge und warten auf den Wissenstest. Drei Tutoren mustern die nervöse Gruppe. Spannung liegt in der Luft. Zu meinem Erstaunen sehen alle ganz ungefährlich aus. Keine vernichtenden Blicke zwischen strebsamen Konkurrenten, keine aufgekratzten Nonsens-Gespräche, kein Zickenterror. Und: Niemand trägt ein Kostüm.

Wenig später beschäftigt mich: Wie viele Quadratmeter fasst ein Hektar? Eine Aufgabe wie aus einem Grundschul-Mathebuch - trotzdem fällt mir die Lösung beim schriftlichen Wissenstest nicht ein. Genauso grübel ich über das Land, das Anfang des Jahres den Euro eingeführt hat. Die vielen leeren Antwortspalten auf meinem Fragebogen lassen mein Puls in die Höhe schnellen. Durchatmen.

Willkommen im Haifischbecken?

Die richtigen Antworten werden in der Pause per Aushang veröffentlicht. Meine Sitznachbarin hat im Bildertest Putin mit dem neuen James-Bond-Darsteller Daniel Craig verwechselt. Den Verdi-Chef haben viele versehentlich für den Intendanten eines Funkhauses gehalten. Auch die Namen der Generalsekretäre der großen deutschen Parteien hatten die meisten nicht parat. Alles ganz normale Menschen. Ein Haifischbecken sieht anders aus.

Das Pflichtprogramm haben wir für heute zwar geschafft. Aber dafür laufen wir nun beim Essen zur Kür auf - und die zählt nicht weniger. Jeder von uns ahnt, dass uns der bohrende Blick der Personaler bis zum Esstisch folgt.

Hinter der Fassade aus freundlichen Gesichtern und dem Geplauder über die Qualität der Schweinsmedaillons verbirgt sich verbissene Anstrengung, die sich vereinzelt in übertriebenen Lachern oder verunsicherten Blicken der Teilnehmer bemerkbar macht. Nicht Austausch, sondern Ausstechen ist die Devise beim Plausch mit den Mitbewerbern.

"Worüber könnten wir bloß als nächstes reden?" schießt mir durch den Kopf, während ich mich bemühe, im Gespräch mit meinem Tutor möglichst entspannt zu wirken. Passenderweise unterhalten wir uns über psychologische Spielchen beim Assessment Center. "Nein, so was machen wir nicht", streitet er ab. Allein die Leistung zählt, versichert er mir. "Und wozu sitzt du dann bei uns am Tisch?", würde ich ihn am liebsten fragen.

Abends verschont uns ein wichtiges Fußball-Länderspiel vor weiterem Small-Talk. Ich freue mich auf neunzig Minuten Pause von der ungeahnt anstrengenden Selbstdarstellung. Wie sieht bloß die Abendgestaltung bei Assessment Centern aus, die nicht in Zeiten wichtiger Sportturniere stattfinden?

Pause ist erst, wenn man schläft

"Wer abends eine Auszeit nimmt, ins Kino oder ins Bett geht, hat schon verloren. Der Idealkandidat sucht die Nähe der Prüfer und sammelt interessiert parlierend jede Menge Sympathiepunkte", steht in meinem Bewerbungsratgeber.

Aber schweigend Fußball-EM schauen wird ja schon erlaubt sein? Zu früh gefreut: Eine Gruppe von fünf Kandidatinnen verlässt den Fernsehraum unseres Hotels, um das Spiel in der nahegelegenen Kneipe zu verfolgen - und dabei ein paar Bierchen mit den Tutoren zu trinken. Sie haben anscheinend den gleichen Bewerbungsratgeber wie ich. Sofort weicht meine Entspannung. Mitgehen oder bleiben?

Am liebsten würde ich sofort ins Bett. Aber könnte ich bei der Vorstellung schlafen, dass meine Rivalen zwischenzeitlich mit den Tutoren die Freundschaft fürs Leben schließen? Nur der Typ, den wir alle nur noch den "unentspannten Nerd" nennen, hat es gewagt, das Schlachtfeld noch vor Anpfiff zu verlassen und sich zum Lernen in sein Zimmer zurückzuziehen.

Mit zwei anderen Teilnehmerinnen mache ich mich schließlich auf, um der Kneipen-Gruppe zu folgen, und weiß nicht, ob ich die Aktion kindisch oder clever finden soll. "Kindisch", denke ich, als wir beim Heraustreten aus der Hoteltür direkt in die Arme der zurückkehrenden Biergarten-Fraktion laufen. Sie haben die Gaststätte nicht gefunden. Unsere strategischen Verfolgungspläne stehen unangenehm offensichtlich im Raum.

Ich merke mir: Pause ist beim Assessment-Center erst dann, wenn man schläft.

Tag der Entscheidung

Am folgenden Tag gibt es drei weitere journalistische Übungen, bevor sich die Personaler zur entgültigen Entscheidung zurückziehen. Der letzte Test findet vor laufender Kamera statt: Eine Minute lang müssen wir zu einem spontan vorgegebenen Thema "irgendwas" ins Mikro sprechen.

Auf der Damentoilette geht es zu wie bei Heidi Klum. 25 Frauen drängen sich vor dem Spiegel, um sich kameratauglich zu schminken. Ich bin die einzige, die Puder dabeihat. Mein Quast wandert im Eiltempo durch 25 Frauengesichter und über die Glatze eines Kollegen.

Auch die Verkündung der Ergebnisse einige Stunden später gleicht einer Casting-Show: Je nachdem, wie die Entscheidung ausgefallen ist, kehren die 30 Teilnehmer mit Tränen in den Augen oder einem Grinsen im Gesicht von den Feedbackgesprächen zurück.

Ich gehöre zu der Gruppe, die abreisen muss. Der Begründung meiner Tutoren höre ich schon gar nicht mehr wirklich zu. Ich fühle mich - aussortiert. Das bin ich ja auch.

Raus hier!

Eine Essensmarke für die Abendmahlzeit ist nur noch den glücklichen Gewinnern vergönnt. Immerhin: Die Bewerberin, die sich gestern während der zweiten Halbzeit so angeregt mit ihrer Tutorin unterhalten hat, ist auch ausgeschieden. Auch der Nerd ist bereits grußlos abgereist - dabei hatte der nach jeder Übung ein siegessicheres Grinsen auf den Lippen. Bis zum Schluß habe ich nicht wirklich durchschaut, nach welchen Kriterien wir hier zwei Tage lang durchleuchtet worden sind.

Doch dann: Erleichterung. Ich gebe dem Fluchtreflex nach, der mich in den vergangenen Tage des öfteren gepackt hat. Weg von der Beobachtung, der falschen Freundlichkeit und der Angst, mich ständig unangemessen zu verhalten.

Selbst aus meinem Bewerbungsbuch fällt mir ausnahmsweise mal ein tröstlicher Satz ein: "Wer schon einmal ein Assesment-Center mitgemacht hat, hat beim nächsten Versuch gute Karten."

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