Arztassistenten:Rechte Hand des Doktors

Simulationszentrum für Medizinstudenten in München, 2014

Medizinstudenten bei einer Übung mit einer Puppe.

(Foto: Stephan Rumpf)

Pfleger und Arzthelfer mit beruflichen Ambitionen können sich zu akademisch geschulten Physician Assistants weiterbilden.

Von Katja Ridderbusch

Katja Helmbold hat den ganzen Tag am OP-Tisch gestanden, hat dem Chirurgen geholfen, ein Stück vom Wadenbein eines Patienten in dessen Kiefer zu verpflanzen, der vom Krebs teilweise zerstört war. An diesem Tag hat sie zwar nur abgesaugt und Haken gehalten, aber bald wird sie auch eigenständig Schnitte setzen und Wunden verschließen. "Wenn der Patient auf Station kommt, und man weiß genau, was vorher im OP passiert ist, bekommt man ein noch tieferes Verständnis für die Betreuung danach."

Seit 15 Jahren arbeitet Helmbold als Krankenpflegerin in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie einer Hamburger Klinik. An diesem Tag steht die 39-Jährige jedoch in einer anderen Rolle am OP-Tisch. Im April hat sie an der Steinbeis-Hochschule in Berlin ihr Studium begonnen, das sie zum Physician Assistant befähigen soll. Der Beruf, der als Bindeglied zwischen Ärzteschaft und Pflegedienst fungieren soll, kommt aus den USA. Dort werden seit den Sechzigerjahren Physician Assistants (PAs) ausgebildet. Mittlerweile arbeiten mehr als 100 000 PAs in Kliniken und Arztpraxen und sind aus dem amerikanischen Gesundheitswesen nicht mehr wegzudenken.

In Deutschland gibt es derzeit knapp 180 ausgebildete PAs, die häufig auch als Arztassistenten bezeichnet werden. Etwa 100 sind im Berufsverband "Deutsche Gesellschaft für Physician Assistants" organisiert. "Bislang gab es in Deutschland kaum Möglichkeiten für Leute mit einer Berufsausbildung im Pflegebereich, sich akademisch weiterzubilden und trotzdem nahe am Patienten zu arbeiten", sagt die Verbandsvorsitzende Samantha Keller.

Derzeit bieten fünf Hochschulen in Deutschland, drei private und zwei öffentliche, ein PA-Studium an; neben der Steinbeis-Hochschule auch die Praxishochschule in Rheine, die Carl Remigius Medical School in Frankfurt am Main und München sowie die Duale Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe. Das Studium dauert drei Jahre und ist berufsbegleitend angelegt; der Abschluss ist ein Bachelor of Science (B. Sc.). Die Steinbeis-Hochschule war die erste, die 2005 den Studiengang in Deutschland anbot. Zunächst liefen die Einschreibungen schleppend, sagt Frank Merkle, Direktor des PA-Programms. Mittlerweile zieht die Nachfrage an, vor allem wegen des anschwellenden Ärztemangels.

"Mindestens einmal pro Woche bekomme ich einen Anruf vom Chefarzt oder Verwaltungsdirektor einer Klinik, der dringend Personal sucht, und zwar in ziemlich allen Bereichen, der Chirurgie, der Neurologie, der Notaufnahme", sagt Merkle.

Auch für die Pflegekräfte ist das Studium attraktiv. Schließlich stehen am Ende bessere Arbeitsbedingungen, zum Beispiel weniger Nacht- und Wochenenddienste, sowie eine bessere Bezahlung. Physician Assistants verdienen in Deutschland durchschnittlich 50 000 Euro im Jahr. Das sind zwar weniger als die 95 000 Dollar (gut 86 000 Euro), die amerikanische Kollegen verdienen, aber deutlich mehr als bei einer durchschnittlichen Pflegekraft. Da erscheinen auch die Studiengebühren - an der Steinbeis-Hochschule sind das 18 000 Euro - als lohnende Investition.

Das Studium gliedert sich in Theorie-Unterricht, ein wissenschaftliches Projekt sowie praktische Arbeit in Form von Hospitanzen. Für die PA-Ausbildung kooperiert die Steinbeis-Hochschule mit dem Deutschen Herzzentrum in Berlin. Voraussetzung für das PA-Studium an den meisten Hochschulen in Deutschland ist eine abgeschlossene dreijährige Ausbildung sowie Berufserfahrung als Krankenpfleger. Aber auch medizinische Fachangestellte, sprich Arzthelfer, können sich bewerben. "Die meisten unserer Studierenden waren bereits fünf bis zehn Jahre lang in einem Pflegeberuf tätig", sagt Merkle. "Sie haben dort die Grenzen erreicht, sind hochmotiviert und wollen sich weiterqualifizieren."

So wie Katja Helmbold. "18 Jahre nach dem Abitur und 15 Jahre nach dem Ende meiner Ausbildung wollte ich mich noch einmal der Herausforderung stellen, etwas Neues zu lernen", sagt sie. Als PA will sie künftig Pfleger wie Ärzte unterstützen und entlasten, indem sie Wunden versorgt, Drainagen entfernt, Blut abnimmt oder Venenkanülen legt, aber auch, indem sie administrative Aufgaben übernimmt, Aufnahmegespräche mit Patienten führt und Entlassungsbriefe schreibt.

Bislang gibt es kein einheitliches Curriculum oder gesetzlich geregelte Standards für das PA-Studium in Deutschland. Derzeit erarbeiten die Hochschulen gemeinsam entsprechende Kriterien, berichtet Keller. Auch die Bundesärztekammer fordert klare Rahmenbedingungen für die Ausbildung des PAs. "Bei der akademischen Qualifikation der Gesundheitsfachberufe in Deutschland herrscht derzeit eine große Diversifikation", sagt Max Kaplan, Vizepräsident der Bundesärztekammer in Berlin. Tatsächlich gibt es allein im pflegerischen Bereich etwa 120 verschiedene Studiengänge. In Therapieberufen, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, sieht es ähnlich aus, ebenso bei Hebammen. "Aus diesem Grund fordern wir ein bundeseinheitlich akademisiertes Berufsbild mit möglichst einheitlichen Qualifikationen und Kompetenzen."

Letztere sind in Deutschland durch den sogenannten Arztvorbehalt klar abgesteckt. Zu den Tätigkeiten, die nur approbierte Ärzte ausüben dürfen, gehören die Diagnose- und Indikationsstellung, die Patientenaufklärung, die Festlegung der Therapie sowie die Durchführung von Operationen. "Diese Aufgaben müssen weiterhin in ärztlicher Hand bleiben", sagt Kaplan. Wenn das gesichert sei, halte er das Berufsbild der PAs für eine durchaus sinnvolle Sache - "auch, weil sich der Arzt dann wieder stärker auf seine Kernkompetenzen konzentrieren kann".

So viel Handlungsspielraum wie in den USA werden PAs hierzulande gewiss nicht haben

In den USA können Physician Assistants unter Oberaufsicht eines Arztes im Alltag weitgehend autonom einfache Diagnosen stellen und Therapiepläne festlegen, kleinere Operationen ausführen, wie zum Beispiel das Entfernen eines Muttermals, sowie bestimmte Medikamente verschreiben. "Dazu wird es in Deutschland ganz sicher nicht kommen", sagt Kaplan. Allerdings könne "der Facharzt viele der nachgeordneten Aufgaben an Physician Assistants delegieren", ergänzt PA-Verbandchefin Keller - von Patientenaufkläruung über Wundversorgung bis zur Weiterbetreuung chronisch Kranker. In Deutschland arbeiten fast alle PAs in Krankenhäusern, doch mit der wachsenden Zahl von Praxisgemeinschaften dürfte der Bedarf auch im ambulanten Bereich steigen.

Ärzte und Pflegekräfte haben bereits seit einigen Jahren die Möglichkeit, sich mit dem neuen Berufsbild kritisch auseinanderzusetzen - während des Studiums und bei der Zusammenarbeit im klinischen Alltag. Doch wie reagieren Patienten auf diese Gesundheitsdienstleister? Einige Physician Assistants berichten von Skepsis, Misstrauen, sogar Abwehr. Katja Helmbold hat dagegen bislang nur positive Erfahrungen gemacht. "Man muss den Patienten und Angehörigen eben erklären, was man tut", sagt sie. Und so erklärt sie, dass sie in ihrem PA-Studium Inhalte lernt, die sich am traditionellen Medizinstudium orientieren. Dass sie die Ärzte unterstützt, aber nicht ersetzt. "Wenn sie wissen, worum es geht, stehen die meisten Leute dem Berufsbild sehr offen gegenüber."

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