Beurteilung im Arbeitszeugnis:Zu gut kommt schlecht

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Warum die 1+ im Arbeitszeugnis schnell unglaubwürdig wirkt und wie Arbeitgeber Beurteilungen ins Zeugnis packen, die dort gar nicht stehen dürften.

Von Nicola Holzapfel

Wenn zwei sich streiten, stöhnt der Dritte. Zumindest wenn's ums Thema Arbeitszeugnis geht. Mehr als 30.000 Fälle landeten vergangenes Jahr vor Gericht. "Die Streitigkeiten ums Zeugnis nehmen zur Zeit zu", sagt Andreas Mauritz, Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht in Göppingen. "Beim heutigen Arbeitsmarkt wird wieder mehr aufs Zeugnis geachtet. Da will keiner eine Lücke im Lebenslauf haben."

Gestritten wird darüber, dass ein Zeugnis erteilt wird und um die "Note". Jeder Arbeitnehmer hat zwar das Recht auf ein Zeugnis, doch manche kümmern sich zu spät darum. "Nach sechs Monaten ist der Anspruch verwirkt", sagt Mauritz. Die gleiche Frist gilt für die Unzufriedenen. Wer erst nach einem halben Jahr wegen Änderungswünschen vors Gericht zieht, hat schlechte Karten.

Feinheiten im Text

"Es ist mitnichten so, dass Arbeitgeber am Ende immer versuchen eine Rechnung zu begleichen", sagt Mauritz. "Meistens wird versucht, das objektiv zu machen. Aber natürlich spielen subjektive Eindrücke eine Rolle."

Das Gesetz verbietet Arbeitgebern, verdeckte Aussagen im Zeugnis zu verstecken. ("Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen", heißt es in §109 der Gewerbeordnung). Gleichzeitig sind Arbeitgeber ihren Mitarbeitern gegenüber zu "Wohlwollen" verpflichtet.

Das kann eine echte Herausforderung sein, wenn ein Mitarbeiter keine guten Leistungen erbracht hat oder seitens des Arbeitnehmers sogar etwas vorgefallen ist, beispielsweise eine sexuelle Belästigung. "Das dürfen Sie dann nicht ins Zeugnis schreiben", sagt Mauritz. Arbeitgeber können in so einem Fall entweder die entsprechenden ansonsten üblichen Absätze, zum Beispiel zum Verhalten gegenüber Kollegen, weglassen. "Das ist oft die mieseste Beurteilung", sagt Mauritz.

Oder sie greifen zu Feinheiten der Zeugnissprache: "Es gibt bestimmte Formulierungen, die sich etabliert haben", sagt Mauritz. "'Er bemühte sich', ist die Note sechs. Denn das ist ja eine pure Selbstverständlichkeit, dass ein Mitarbeiter 'sich bemüht'." "Er war gesellig" bedeutet dagegen, dass der Mitarbeiter eine Schwatzbase ist. "Aber man muss das immer im Kontext lesen", schränkt Mauritz ein. In manchen Berufen gehört es eben zum Job, "gesellig zu sein", dann ist es auch nicht negativ gemeint.

Auch durch das Weglassen der Dankes- und Schlussformel können Arbeitgeber zeigen, dass sie mit dem Mitarbeiter nicht zufrieden waren oder dass das Zeugnis vor Gericht zustande kam. Denn auf die guten Wünsche haben Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch.

Richtig schlecht sind aber die wenigsten Zeugnisse. Mauritz schätzt, dass das auf höchstens zehn Prozent aller Zeugnisse zutrifft. "Fast 60 Prozent der Zeugnisse haben die Note 'gut', etwa ein Viertel ist "befriedigend". Das hat sich einfach aus der alten Rechtsprechung ergeben." Denn früher lag es am Arbeitgeber zu beweisen, warum er seinen Mitarbeiter beispielsweise "nur" durchschnittlich bewertet hat. "Das war nie darlegbar, da das ja immer eine subjektive Einschätzung ist", erklärt Mauritz. Die Folge: Die Zeugnisse wurden vorsichtshalber gleich besser ausgestellt.

Damit könnte nun Schluss sein. Denn das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom Oktober vergangenen Jahres den Spieß umgedreht. Nun ist es am Arbeitnehmer zu beweisen, dass er besser gearbeitet hat als es die Note aussagt, die der Arbeitgeber im Zeugnis gibt. "Wenn der Arbeitnehmer gegen eine durchschnittliche Beurteilung vorgeht, muss er jetzt beweisen, dass er jeden Tag eine überdurchschnittliche Leistung erbracht hat", sagt Mauritz. "Das ist unmöglich".

Es sei denn, er kann bessere Leistungsbeurteilungen oder Zwischenzeugnisse aus jüngerer Zeit vorlegen. "Ich würde jetzt jedem dringend empfehlen, sich um ein Zwischenzeugnis zu kümmern. Denn dadurch kann der Arbeitnehmer die Qualität seiner Arbeit und sein Verhalten beweisen", sagt Mauritz.

Übliche Anlässe dafür sind etwa der Wechsel in eine andere Abteilung, ein neuer Vorgesetzter und der vorübergehende Abschied in die Elternzeit.

Von der Form her gibt es keinen Unterschied zu einem Zeugnis, das am Ende eines Arbeitsverhältnisses ausgestellt wird. Eine Seite lang ist ein Zeugnis in der Regel. "Bei leitenden Angestellten oder Mitarbeitern in Entwicklungsabteilungen können es maximal anderthalb Seiten sein", sagt Mauritz. Feste Bestandteile jedes Zeugnisses sind der berufliche Werdegang, die Tätigkeitsbeschreibung, die Beurteilung von Leistung und Verhalten sowie die Schlussformel.

Mauritz schätzt, dass die neue Prozess-Situation dazu führen wird, dass die Zeugnisse im Schnitt schlechter werden. "Durch das neue Urteil können Arbeitgeber nun eine realistische Beurteilung im Zeugnis geben. Das führt dazu, dass ein neuer Arbeitgeber sich eher darauf verlassen kann, wenn ein Bewerber ein 'sehr gutes' oder 'gutes' Zeugnis hat."

Ein sehr gutes Zeugnis haben allerdings die allerwenigsten. Mauritz schätzt, dass nicht mehr als fünf Prozent aller Zeugnisse die Note "sehr gut" ausdrücken. "Das wirkt auch schnell unglaubwürdig. Um ein sehr gutes Zeugnis zu bekommen, muss der Mitarbeiter ja jeden Tag eine Top-Leistung bringen. Das schafft niemand, das glaubt einem auch keiner. Jeder macht mal Fehler oder hat einen Durchhänger."

Darum empfiehlt Mauritz auch jedem, der in die Situation kommt, sich selbst ein Zeugnis schreiben zu müssen, sich gut zu überlegen: "Bin ich das wirklich?" Und: "Wie kommt es beim Arbeitgeber an, wenn ich mich damit bewerbe?" Für den Fall, das ein Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen endet, könne man das auch ruhig ins Zeugnis schreiben: "Heutzutage ist es leider so, dass infolge von Umstrukturierungen auch gute Leute rausfallen", sagt Mauritz. Wer dann arbeitslos ist, kann außerdem schlecht erklären, warum er seine letzte Stelle angeblich "aus eigenem Wunsch" verlassen hat.

Auch ein zu gutes Zeugnis könne hier Zweifel wecken. "Als Arbeitgeber würde ich doch mit allen Mitteln versuchen, einen absoluten Top-Mitarbeiter zu halten", sagt Mauritz. "Ich empfehle jedem, auf dem Teppich zu bleiben."

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