Arbeitszeugnis:Mit höchster Anerkennung

Vorsicht Falle: Wer sein Arbeitszeugnis selber schreibt, sollte die Standards kennen und bewerten können.

Chris Löwer

Das Angebot ist verlockend. "Ach, schreiben Sie Ihr Arbeitszeugnis doch bitte selbst, Sie wissen ja am besten über sich Bescheid", sagt der Chef zum scheidenden Mitarbeiter - denn er hat auf die lästige Pflicht keine Lust. Das eröffnet Möglichkeiten: endlich das eigene Treiben gebührend zu würdigen.

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(Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Etwa so: "Seine stets ganz ausgezeichneten Leistungen waren stets und in jeder Hinsicht zu unserer vollsten Zufriedenheit und fanden immer unsere höchste Anerkennung." Derart dick Aufgetragenes wurde Thorsten Knobbe, Chef der Düsseldorfer Karriereberatung Leaderspoint, von einem, wie es scheint, sensationellen Mitarbeiter in der selbst formulierten Leistungsbeurteilung präsentiert. Schlimmer geht's kaum. "Zu überschwängliche und ausufernde Formulierungen bewirken das Gegenteil. Man kann und sollte sich loben, muss dies aber auch begründen" sagt Zeugnis-Fachmann Knobbe. "Es geht nicht darum, sich Bestnoten auszustellen, sondern um ein aussagefähiges Zeugnis."

Was einfacher gesagt als getan ist, denn die Gefahren lauern überall. Allzu leicht gerät das Eigenlob im Dickicht der Sprachcodes, der tückischen Technik des Nichtgesagten und der richtigen Reihenfolge zum Bewertungs-Fiasko. "Das Selber-Schreiben bietet Chancen, birgt aber auch jede Menge Risiken. Grundsätzlich empfehlen wir das nur, wenn jemand wirklich fit ist in der sogenannten Zeugnissprache oder seinen Entwurf noch einmal von einem Experten lesen und prüfen lässt'', sagt Heike Friedrichsen von der Hamburger Vergütungs- und Karriereberatung Personalmarkt. An darauf spezialisierten Beratern mangelt es nicht. Sie alle wissen, dass bei dem wichtigen Thema zu viel in die Hose geht: ,,Die Fehlermöglichkeiten bei Zeugnissen der Marke Eigenbau sind wahrscheinlich unbegrenzt. Das fängt mit Formfehlern an und hört bei der Unterschrift auf'', sagt Friedrichsen.

Das geht auch Arbeitgebern so, weshalb sie den unliebsamen Job lieber gleich delegieren. "In den letzten Jahren hat dieses Vorgehen zugenommen, weil viele die schwierige und zeitaufwendige Aufgabe scheuen, zumindest wenn der Anspruch besteht, ein objektives und individuelles Zeugnis zu verfassen", sagt Thomas Rübel von der Berliner Karriereberatung "Büro für Berufsstrategie". Er verweist auf mehr als 20.000 Prozesse, die wegen des formidablen Streitobjekts Arbeitszeugnis jährlich vor dem Arbeitsgericht ausgefochten werden. "Da spart sich der Arbeitgeber lieber den Stress und die mögliche Klage." Die Devise: Soll sich der Mitarbeiter doch lieber selbst ins Verderben stürzen.

An ihm ist es nun, den schmalen Grat zwischen Wohlwollen und Wahrheit zu beschreiten. Rübel erteilt den generellen Rat, das Zeugnis so zu schreiben, dass sich andere beim Lesen eine "lebhafte Person" vorstellen können. Woran viele scheitern: "Schon in Vorstellungsrunden ist oft nach drei dürren holprigen Sätzen Schluss, weil die meisten sich einfach nicht selbst beschreiben können", hat Rübel beobachtet.

Mit höchster Anerkennung

Also werden Ratgeber gewälzt und wird heiter abgepinnt, wobei wenig Individuelles zustandekommt und dennoch die üblichen Fehler begangen werden: Führungskräfte vergessen Aussagen über ihre Führungsfähigkeit, Projektleiter lassen erfolgreiche Projekte und Erfahrungen unter den Tisch fallen. Aufgaben und Arbeitsgebiete werden nicht präzise beschrieben oder geraten zu langatmig, wenn allein dafür anderthalb Seiten draufgehen, obwohl bei maximal zweiten Seiten Schluss sein sollte. Am Ende bleibt zu wenig Platz für die Leistungs- und Verhaltensbewertung, was ein gefährlicher Fehler ist. Allein schon die Reihenfolge der aufgezählten Tätigkeiten stellt eine vielsagende Gewichtung dar. Daher sollten die wichtigsten Aufgaben nicht am Schluss stehen: Denn das wird so gedeutet, dass Kernaufgaben vernachlässigt wurden.

Ohnehin werden beim Aufbau oftmals zentrale Punkte vergessen. "Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis sollte fünf Elemente enthalten: eine Einleitung, eine Aufgabenbeschreibung, eine Leistungsbeurteilung, eine Verhaltensbeurteilung und eine Schlussformulierung", sagt Friedrichsen. Nicht zu vergessen die Überschrift: Das Zeugnis wird überschrieben mit "Zeugnis", "Arbeitszeugnis", "Zwischenzeugnis" oder "Praktikumszeugnis". Außerdem muss jedes Zeugnis ein Datum und mindestens eine, besser zwei Unterschriften enthalten.

Austauschbare 08/15-Bewertung

Thorsten Knobbe trifft oft auf schlechtes Deutsch, inhaltliche Redundanz und, besonders fatal, die versehentliche Verwendung von Codes, wenn etwa vom "einfühlsamen Teamworker" die Rede ist, was auf nichts anderes als sexuelle Kontakte deutet. Berufsberater Rübel stolpert oft über diese Schwäche beim Zeugnis Marke Eigenbau: "Warum ein Arbeitsverhältnis endet, wird selten beschrieben. Darüber schweigt man sich aus oder biegt etwas unglaubwürdig zurecht." Ob man nun gekündigt hat oder entlassen wurde: Raus mit der Sprache!

Manch einer sucht sein Heil in spezieller Software, mit der Baustein für Baustein die Beurteilung zusammengeschraubt wird. "Dabei kommt eine austauschbare 08/15-Bewertung heraus. Das ist nicht nur wenig aussagekräftig, sondern fällt auch jedem Personaler sofort auf, vor allem, wenn es vor Superlativen nur so trieft", sagt Verena Janßen von der Hamburger Veja-Zeugnisberatung. Außerdem ist dann etwa nur von "sehr guten Arbeitserfolgen" die Rede, statt davon, um wie viel Prozent der Vertriebler die Umsatzquote erhöht hat. "Auf diese Weise rutscht man schnell ins Mittelmäßige", sagt Janßen. Unter dem Strich müsse sich ein stimmiges Bild ergeben, das die löbliche Dankesformel samt Zukunftswünschen am Schluss legitimiert. Tipp am Rande: Es ist immer gut, wenn "weiterhin" viel Erfolg für die Zukunft gewünscht wird.

Fachfrau Janßen rät: "Im Zweifel sollten Profis Selbstgeschriebenes gegenlesen. Das kostet nicht die Welt." Denn faule Chefs, denen die mühsame Arbeit abgenommen wurde, blieben in der Regel auch in der Folge bequem, meint die Beraterin: "Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass der Arbeitgeber noch mal das selbstgeschriebene Zeugnis überarbeiten wird: Da werden auch Rechtschreibfehler übernommen."

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