Montagabend, 20.35 Uhr: Herr Huber aus Deutschland bekommt eine E-Mail von seinem Chef. "Für die Präsentation morgen" steht im Betreff, zusätzlich ist die Nachricht ob ihrer besonderen Wichtigkeit - die aus Sicht des Vorgesetzten natürlich gegeben ist - mit einem roten Ausrufezeichen markiert. Huber liest, sagt noch schnell seiner Tochter gute Nacht und überarbeitet dann bis Mitternacht ein paar Power-Point-Folien.
Keine angenehme Situation für den Angestellten, wenngleich in Zeiten ständiger Erreichbarkeit keine Seltenheit. Aber: Hieße Huber zum Beispiel Lacroix und lebte ein Stück weiter westlich, in Frankreich, hätte er die Mail seines Chefs einfach ignorieren können. So sieht es ein neues Gesetz vor, das in Frankreich seit dem 1. Januar 2017 gilt.
Es gesteht Arbeitnehmern grundsätzlich zu, Kommunikationsmittel wie Smartphones für berufliche Zwecke nach Feierabend abzuschalten. Die neue Bestimmung gilt für Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern. "Sinn dieser Maßnahmen ist es, sicherzustellen, dass Ruhezeiten sowie [...] eine Balance zwischen Arbeit wie auch Familien- und Privatleben respektiert wird", heißt es in einer Erklärung des zuständigen Arbeitsministeriums.
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Vor allem Pflegekräfte sollen so entlastet werden. Der Plan: Menschen leisten mehr, wenn sie entspannter sind. Nicht jedem gefällt das.
In welchem Umfang die Unternehmen das "Recht auf Abschalten" verankern, soll dabei zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern ausgehandelt werden. Die Regelung ist Teil der Reformen im französischen Arbeitsrecht, die den Namen der zuständigen Ministerin Myriam El Khomri tragen.
Das Ministerium verwies auf eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Eléas. Demnach nutzen 37 Prozent der befragten Angestellten ihre beruflichen Kommunikationsmittel auch nach Feierabend oder am Wochenende. Auch Forscher und Psychologen warnen seit langem vor den Belastungen, denen Arbeitnehmer durch die Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit ausgesetzt sind.
Eine ähnliche Diskussion wie in Frankreich gibt es seit Jahren auch in Deutschland. Das Arbeitszeitgesetz legt hierzulande nicht nur fest, dass ein Angestellter an Werktagen acht, in Ausnahmefällen auch einmal zehn Stunden arbeiten darf ( § 3). Es besagt auch, dass zwischen zwei Arbeitstagen gewöhnlich eine Ruhezeit von elf Stunden eingehalten werden muss (§ 5). Im Beispiel von Herrn Huber dürften beide Vorgaben missachtet worden sein.
Da mittlerweile - auch ohne Gesetzesbeschluss - vielen Arbeitgebern dämmert, dass nur ausgeruhte Angestellte langfristig glückliche und damit produktive Angestellte sind, haben manche Konzerne bereits reagiert. Bei Volkswagen zum Beispiel wird die Weiterleitung von E-Mails auf dienstliche Mobiltelefone eine halbe Stunde nach Feierabend aus- und erst 30 Minuten vor Dienstbeginn am Folgetag wieder eingeschaltet.