Wer spät nachts an Goldman Sachs' Turm aus Glas und Stahl am New Yorker Hudson River vorbeischlendert, kann sie sehen: junge Investmentbanker, die mit bleichen Gesichtern, gelockerter Krawatte und tiefen Augenringen aus dem Büro kommen. Im Internet finden sich ihre Spuren: "ungemein lange Arbeitszeiten", "die Arbeitszeiten sind einfach zu lang, so ist es sehr schwer, eine Work-Life-Balance zu haben", oder "der Nachteil: die langen Arbeitszeiten".
Auf Glassdoor.com, einer Internetseite, auf der man Arbeitgeber bewerten kann, haben schon 1260 Mitarbeiter die Investmentbank beurteilt. Und fast alle schreiben das Gleiche: Goldman Sachs ist ein großartiger Arbeitgeber, mit guten Karrierechancen und kompetenten Kollegen. Nur: Die Arbeitszeiten schrecken ab.
Lange war das kein Problem für Goldman Sachs, ehrgeizige College-Absolventen haben von nichts mehr geträumt als einer Karriere an der Wall Street - und am besten bei der renommiertesten aller Investmentbanken. Die vielen Nachtschichten waren Mythen, wer am härtesten arbeitete, war der coolste.
Doch das ändert sich, die Millennials, wie man die Generation mit den Geburtsjahrgängen zwischen 1980 und 1995 nennt, wollen mehr als Arbeit, sie wollen leben. "Millennials schätzen ihre Work-Life-Balance", heißt es in einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers. "Der Großteil von ihnen ist nicht willens, die Arbeit zur einzigen Priorität in ihrem Leben zu machen." Investmentbanken, selbst Goldman Sachs, tun sich immer schwerer, die besten Talente zu finden und zu halten.
Erstaunliche Erkenntnisse
Goldman Sachs hat das nun erkannt und tut etwas dagegen. Laut Wall Street Journal hat die Bank vor einem Jahr ein Sonderkommando mit Topmanagern aus verschiedenen Unternehmensbereichen gegründet, das an der Work-Life-Balance für junge Mitarbeiter gearbeitet hat. Erste Erkenntnis: für Mitarbeiter ist es gut, nur fünf Tage pro Woche zu arbeiten und Nachtschichten zu vermeiden. Wochenendarbeit soll auf "kritische Kundenaktivitäten" beschränkt bleiben.
Ein Durchbruch für die Wall Street - erst recht für Goldman Sachs. Bei einer Versammlung von Sommer-Praktikanten riet Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein, selbst als Arbeitstier bekannt, den Studenten kürzlich, sich doch mal ein wenig zu entspannen.
Das Sonderkommando hat Vorschläge erarbeitet. Zum Beispiel sollen Vorgesetzte künftig statt hundert Seiten langen Kundenpräsentationen nur noch Kurzzusammenfassungen bei den Analysten bestellen. Analysten sind Jobeinsteiger, die sich mit der Aufbereitung von Branchen- und Unternehmensinformationen beschäftigen. Es gibt zudem eine neue Software, die es erleichtert, den Analysten genau zu erklären, welche Informationen sie genau beschaffen sollen. So soll vermieden werden, dass die Experten Zeit verschwenden, weil sie das Falsche erarbeiten oder endlos per Email nachfragen müssen.
"Das Ziel ist, das unsere Analysten für ihre Karriere bei uns bleiben wollen", sagte David Solomon, der Co-Chef von Goldmans Investmentbanking-Sparte, dem Wall Street Journal. "Wir wollen, dass sie ihre Arbeit herausfordernd finden, aber auch, dass sie in einem Tempo arbeiten können, mit dem sie hierbleiben können und wichtige Fähigkeiten lernen, die sie beibehalten können."
Tod eines Praktikanten
In diesem Sommer ist die Arbeitsbelastung für junge Investmentbanker zum großen Thema geworden, als Moritz Erhardt, ein Praktikant der amerikanischen Investmentbank Bank of America Merrill Lynch in London, unter mysteriösen Umständen gestorben ist. Der 21-jährige Deutsche hat eine 72-Stunden-Schicht gearbeitet - was als Mitursache seines Todes gilt.
Goldman Sachs hat das Sonderkommando für eine bessere Work-Life-Balance allerdings lange vorher ins Leben gerufen.