Arbeitswelt 4.0:Blütezeit neuer Qualifikationen

Lernen Beilage SZ 16.3.2017

Alle Illustrationen in diesem Ressort wurden von Stefan Dimitrov erstellt.

Im Zuge der Digitalisierung muss sich die heutige schulische und berufliche Ausbildung verändern. Zunehmend wird über ein Modul-System diskutiert.

Von Bärbel Brockmann

Die Digitalisierung der Wirtschaft wird die Arbeitswelt radikal verändern. Roboter werden in der Produktion und zunehmend auch im Dienstleistungssektor immer mehr Menschen ersetzen. Die Vernetzung führt dazu, dass für viele Aufgaben künftig gar keine Menschen mehr benötigt werden. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht aktuell davon aus, dass bis 2025 in Deutschland 1,5 Millionen Arbeitsplätze wegfallen. Allerdings würden wohl ebenso viele neu geschaffen. Nur wo, das sei heute noch nicht erkennbar. Nur eine Sache sei klar: Hunderttausende Beschäftigte müssten sich beruflich vollkommen neu orientieren. Mit der persönlichen Einstellung "Ich habe ausgelernt" wird man in der Arbeitswelt 4.0 nicht weit kommen. Stattdessen ist lebenslanges Lernen angesagt.

Breite Grundausbildung, danach Spezialisierung. Auch das ist ein Modell für die Zukunft

Schon 2013 hatte eine Studie der Oxford-Professoren Carl Benedikt Frey und Michael Osborne für Verunsicherung gesorgt. Sie hatten das Automatisierungspotenzial von 702 Berufen in den USA untersucht und waren zu dem Schluss gekommen, dass 47 Prozent der Arbeitsplätze über kurz oder lang gefährdet seien. Für Deutschland hatte kurz darauf das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) eine Automatisierbarkeit der Berufe von 42 Prozent ermittelt. Andere Studien rechnen mit Millionen wegfallender Jobs in den Industriestaaten, auch, weil zunehmend hoch qualifizierte Arbeit durch Maschinen ersetzbar sein wird.

Was bedeutet das für den Einzelnen? Welchen Beruf soll man erlernen, welche Kenntnisse erwerben? Wer sich heute für eine Berufsrichtung entscheidet, trifft damit vielleicht eine Vorentscheidung für ein fünfzigjähriges Berufsleben. Unbestritten ist unter Experten, dass in der digitalen Zukunft auch die Ausbildung eine andere sein wird. Für Berufe, die keiner mehr braucht, muss man auch keine Leute ausbilden. Einige setzen noch früher an. "Wir brauchen angesichts der Digitalisierung ein neues Zukunftsmodell Schule", sagt Sven Sorgatz, Leiter des Beruflichen Gymnasiums Wirtschaft in Hildesheim. In einem ersten Schritt sollten nach diesem Modell die allgemeinbildenden Schulen um die Fächer Wirtschaft und IT erweitert werden, und zwar von der ersten Klasse an. "Kompetenzen in diesen Bereichen werden in Zukunft für alle Berufe unabdingbar sein", sagt Sorgatz. Außerdem plädiert er dafür, die starre Fächeraufteilung aufzuweichen. Die Schüler sollten seiner Ansicht nach viel häufiger in Projekten zusammenarbeiten. Im Anschluss an die Schule solle die Ausbildung auf einen bestimmten, klar umrissenen Beruf zugunsten einer modularen Ausbildung abgeschafft werden. Dieses Modulsystem sieht für Sorgatz idealerweise so aus: In vielen kleinen Schritten, ein ganzes Arbeitsleben lang, eignen sich die Menschen die Kenntnisse an, die gerade benötigt werden und die ihnen damit eine Chance auf einen Arbeitsplatz bringen. Statt Ausbildung auf einen Beruf hin also Sammeln von Qualifikationen und damit eine größere Flexibilität.

Ganz neu ist die Idee der "Modulausbildung" nicht, zumindest nicht bei akademischen Berufen. Im europäischen Ausland ist sie sogar schon einigermaßen verbreitet. Speziell in der Pharmazie gibt es an einigen europäischen Universitäten Modulstudiengänge. In Deutschland ist man da noch sehr vorsichtig. Aber es gibt vereinzelt schon Vorstöße in diese Richtung. Etwa in den sogenannten Life Sciences. Auch in der Betriebswirtschaft sind Ansätze erkennbar. Anerkannte Abschlüsse gibt es aber nicht. Man erwirbt lediglich Zertifikate. In Deutschland findet die akademische Weiterbildung heute in erster Linie in den ein- bis zweijährigen Masterstudiengängen statt - als Vollzeitstudium. Ein richtiges Bausteinsystem, bei dem man sich sein Studium zusammenstellt, auch über einen längeren Zeitraum und teilweise neben dem Job, das gibt es noch nicht. Aber auch die Universitäten werden flexibler. Teilzeitstudium, berufsbegleitendes Studium oder duales Studieren etablieren sich in zunehmendem Maße als alternative Formate zum Vollzeitstudium und ermöglichen auf diese Weise die künftig zwingend nötige Weiterbildung.

Auch in der dualen Ausbildung muss es mehr Flexibilität geben, wenn man mit den heutigen Lehrberufen irgendwann nicht auf verlorenem Posten stehen will. "Man muss im dualen Ausbildungssystem alles tun, was einen in die Lage versetzt, sich auch in zehn oder 20 Jahren noch einmal umzuorientieren und dabei nicht komplett alles abschreiben zu müssen, was man gelernt hat", sagt Ludger Wößmann, Leiter des Münchner IFO-Zentrums für Bildungsökonomik. Anstatt beispielsweise wie heute eine Vielzahl verschiedener kaufmännischer oder technischer Ausbildungen anzubieten, könnte man die ersten beiden Jahre jeweils ein breites Grundlagenwissen vermitteln und erst im dritten Lehrjahr eine spezifische Ausbildung anfügen. Noch lässt dies das Ausbildungssystem aber nicht zu. "Es wird von verschiedenen Seiten schon seit Langem die Idee der Modularisierung der Ausbildung diskutiert. Aber bislang haben sich immer die dafür zuständigen Kammern dagegen gewehrt. Da brauchen wir dringend Veränderung", stellt Wößmann fest. Es seien vor allem die kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die solche Veränderungen oft ablehnten - im Unterschied zu den großen Konzernen, die Tausende Mitarbeiter beschäftigten. Die Unternehmen machten sich heute schon Gedanken darüber, wie sie sicherstellen, dass sie weit in der Zukunft noch die Mitarbeiter bekommen, die sie brauchen werden. Deshalb befürworteten sie viel stärker eine breite Grundausbildung und eine anschließende Spezialisierung auf einen bestimmten Job hin, führt der Bildungsökonom aus.

Noch kann niemand vorhersagen, welche Jobs in der von der Digitalisierung geprägten Zukunft gefragt sein werden und welche nicht. In einem sind sich die Experten allerdings einig: Eine enge Ausbildung ist gefährlich, sowohl auf der Universität als auch im Unternehmen. Je breiter ein Mensch ausgebildet ist und je flexibler er sich anpassen kann, desto größer werden seine Chancen am Arbeitsmarkt sein.

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