Süddeutsche Zeitung

Arbeitsrecht:Wenn nach Monaten auffällt, dass Geld in der Kasse fehlt

  • Das Bildmaterial aus einer offenen Videoüberwachung darf auch nach Monaten noch ausgewertet werden, wenn es dann einen Anlass dafür gibt.
  • Diese Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht getroffen - mit Blick auf das Bundesdatenschutzgesetz kommt das überraschend.
  • Konkret ging es um die Aufnahmen aus einem Zeitschriftenladen, mit denen dessen Betreiber herausfinden wollte, ob seine Mitarbeiterin Geld gestohlen hatte. Ob ihre Kündigung rechtmäßig war, ist aber noch nicht entschieden.

Von Detlef Esslinger

Eine Firma, die ihre Arbeitnehmer offen per Video überwacht, muss die Aufnahmen nicht sofort löschen. Sie darf mit der Auswertung so lange warten, bis sie dafür einen "berechtigten Anlass" sieht. Dies hat am Donnerstag der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt entschieden. Er hob damit ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm auf, das der Mitarbeiterin eines Zeitschriften- und Lottoladens aus Iserlohn recht gegeben hatte. Sie war von ihrem Chef fristlos entlassen worden, weil er sie aufgrund von Video-Überwachung der Unterschlagung beschuldigt hatte.

Das Verfahren war deshalb interessant, weil es sich um einen Vorgang aus dem Februar 2016 handelte, den der Inhaber des Ladens aber erst ein halbes Jahr später, im August, aufklärte. Das Bundesdatenschutzgesetz schreibt vor, dass Videoaufnahmen "unverzüglich zu löschen" sind, "wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind".

Das Landesarbeitsgericht Hamm fand, es verstoße gegen diese Bestimmung, wenn Videoaufnahmen monatelang gespeichert würden. Der Arbeitgeber - der in Nordrhein-Westfalen mehrere Zeitschriften- und Lottoläden betreibt - habe die Aufnahmen "wie in einem Archiv lange Zeit aufbewahrt, um sie bei eventuellem Bedarf - wie vorliegend - als Beweismittel präsentieren zu können". Das aber sei rechtswidrig, fanden die Richter in Hamm.

Die Bundesrichter in Erfurt sahen dies nun ganz anders. Der Arbeitgeber "musste das Bildmaterial nicht sofort auswerten", heißt es in der gerichtlichen Pressemitteilung zu dem Urteil. "Er durfte hiermit so lange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah."

Ob die Verkäuferin tatsächlich Geld unterschlagen hat, ist strittig

Der bestand nach Darstellung des Arbeitgebers darin, dass er im dritten Quartal 2016 - also von Juli an - Unregelmäßigkeiten in der Kasse entdeckte. Daraufhin ließ er die Videoaufnahmen überprüfen. Zwei Mitarbeiterinnen schauten sich insgesamt zehn Stunden lang zwei Arbeitstage ihrer Kollegin vom Februar an - und kamen zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiterin an zwei Tagen im Februar nicht alle Einnahmen in die Registrierkasse gelegt habe. Dies ist auf den Videos jedoch nicht zu sehen; die Unterschlagung wurde ihr vorgeworfen, weil sie auf verdächtige Weise mit der Geldkassette in der Hand den Verkaufsraum verlassen und kurz danach wieder betreten hatte.

Bei dem Betrag, dessen Fehlen der Chef seiner Mitarbeiterin vorwarf, handelt es sich um 80,50 Euro. Die Frau arbeitete bei ihm auf 450-Euro-Basis und wollte die Rücknahme ihres Rauswurfs erreichen. Der Laden, in dem sie arbeitete, ist allerdings mittlerweile geschlossen.

Ob sie das Geld tatsächlich unterschlagen hat, ist strittig. Sie selbst bestreitet dies, das Arbeitsgericht Iserlohn fand durch die Videoaufnahmen den Nachweis nicht erbracht - während sich das Landesarbeitsgericht mit dieser Frage gar nicht erst befassen wollte. Weil zwischen Aufnahmen und Auswertung so viel Zeit vergangen war, sahen die Landesarbeitsrichter in den Bildern "keinen zulässigen Beweis für die Richtigkeit der Behauptungen" des Arbeitgebers.

Nicht geprüft haben nun die Bundesrichter, ob die Videoüberwachung in diesem Fall als solche rechtmäßig war (also zu der Zeit, als die Kamera lief). Das Landesarbeitsgericht Hamm muss den Fall nun neu verhandeln - und dabei erstens dies beurteilen. Hält es die Videoüberwachung für rechtmäßig, muss es bei der Frage, ob die Aufnahmen nach sechs Monaten noch verwertbar sind, von der Erfurter Interpretation des Bundesdatenschutzgesetzes ausgehen.

Der Fall hatte aber noch eine weitere Wendung. Der Arbeitgeber hatte seiner Mitarbeiterin nicht nur fristlos gekündigt, sondern er wollte von ihr auch noch die Kosten für ihre Überführung als Täterin erstattet haben, insgesamt 430 Euro plus Zinsen. Das Landesarbeitsgericht hatte auch dies abgelehnt, die Richter des Bundesarbeitsgerichts äußerten sich dazu in ihrer Pressemitteilung nicht. Die schriftliche Begründung des Urteils steht noch aus. (Aktenzeichen 2 AZR 133/18).

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SZ vom 24.08.2018/lho
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