Arbeitsrecht:Übergewichtige haben einen schweren Stand im Büro

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Folgt man der gängigen Definition, ist jeder zweite Deutsche übergewichtig. (Foto: Mauritius)
  • Im Jahr 2013 waren 52 Prozent der Deutschen übergewichtig.
  • Das Thema Übergewicht beschäftigt die Arbeitsgerichte schon seit Jahren.
  • "Übergewicht an sich ist kein Kündigungsgrund", sagt ein Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Von Ina Reinsch

Es war die letzte Eskalationsstufe in einem lange schwelenden Konflikt: Der Gärtner wurde entlassen. Der 48-Jährige brachte bei einer Körpergröße von 1,94 Metern 200 Kilo auf die Waage. Sein Chef beendete das Arbeitsverhältnis nach mehr als 30 Jahren unter anderem mit der Begründung, der Gärtner könne viele Arbeiten nicht mehr ausführen. Zudem sei er so dick, dass in dem für drei Personen ausgelegten Sprinter, mit dem die Mitarbeiter zu Baustellen führen, nur noch eine Person mitfahren könne. Der Gärtner hielt dagegen, er habe alle Arbeiten nach wie vor gut erledigen können. Das Arbeitsgericht Düsseldorf schlug sich auf seine Seite. Es hielt die Kündigung für unwirksam.

Im Jahr 2013 waren 52 Prozent der Deutschen übergewichtig. 1999 waren es noch 49 Prozent. Das Thema Übergewicht beschäftigt die deutschen Arbeitsgerichte daher seit einigen Jahren. Selbst der Europäische Gerichtshof musste sich schon damit befassen. Nicht immer geht es bei den Auseinandersetzungen um so hohes Übergewicht wie im erwähnten Fall. Auch über Konfektionsgröße 42 wurde schon verhandelt. Denn Arbeitgeber sehen Übergewicht nicht gern. Die Vorurteile: Dicke seien langsam, arbeitsfaul und nicht belastbar. Doch eine Kündigung rechtfertigt das kaum.

"Übergewicht an sich ist kein Kündigungsgrund", sagt Benjamin Biere, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main. "Es kann nur dann als Grund dienen, wenn der Mitarbeiter aufgrund seines Gewichts seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen kann. Die Hürden sind für den Arbeitgeber hier allerdings sehr hoch."

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Bei einer Kündigung wegen Übergewichts handelt es sich um eine sogenannte personenbedingte Kündigung. Darunter verstehen Juristen eine Kündigung, die ihren Grund in persönlichen, nicht beeinflussbaren Eigenschaften des Arbeitnehmers hat. Auch Kündigungen wegen Krankheit fallen darunter. Allerdings ist nicht jeder übergewichtige Mensch auch krank. "Übergewicht kann nur dann einen krankheitsbedingten Kündigungsgrund darstellen, wenn der Mitarbeiter aufgrund seines Gewichts hohe Ausfallzeiten hat", sagt Biere. "Damit eine solche Kündigung wirksam ist, bedarf es aber zusätzlich einer negativen Gesundheitsprognose. Außerdem müssen die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers durch die Ausfallzeiten erheblich beeinträchtigt sein."

Daher versuchen es viele Chefs lieber mit dem Argument, der Mitarbeiter sei nicht mehr leistungsfähig genug. "Doch auch ein verringertes Leistungspotenzial berechtigt nicht ohne Weiteres zur Kündigung", warnt Biere. "Der Arbeitnehmer schuldet nur eine Arbeitsleistung mittlerer Art und Güte. Er muss alles tun, was im Rahmen seiner Möglichkeiten liegt." Die zu erbringende Leistung hängt damit immer auch von den individuellen Möglichkeiten ab.

Erst bei erheblicher Minderleistung, etwa bei 50 Prozent unterhalb des Durchschnitts, sagt der Arbeitsrechtler, könne eine Kündigung gerechtfertigt sein. Doch die muss der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess beweisen. Dafür ist es laut Biere erforderlich, detailliert Daten zu erfassen, die belegen, dass die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters weit hinter der anderer durchschnittlicher Arbeitnehmer zurückbleibt. Eine Hürde, die auch der Chef des Gärtners nicht nehmen konnte. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hielt seine Behauptungen für zu pauschal.

Übergewichtige Mitarbeiter, die für die Sicherheit anderer verantwortlich sind, sitzen allerdings schneller vor der Tür. So gelten etwa für Piloten oder Berufsfeuerwehrleute hohe Leistungsvorgaben. "Erfüllen sie die vertraglich geschuldeten Anforderungen nicht mehr und gibt es für sie auch keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, ist eine Kündigung zulässig", sagt Rechtsanwalt Michael Felser aus Brühl bei Köln. So winkte das Bundesarbeitsgericht die fristlose Kündigung eines adipösen Bademeisters durch, weil er unter Umständen nicht fähig sei, Ertrinkende zu retten.

Auch beleibte Bewerber müssen sich oft kritisch beäugen lassen. "Es kommt hier aber allein auf die Eignung für den Job an", betont Felser. Daher müsse ein Bewerber eine Frage nach gesundheitlichen Problemen im Zusammenhang mit seinem Übergewicht auch nur dann wahrheitsgemäß beantworten, wenn das Übergewicht seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung beeinträchtigt.

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Bei der Einstellung von Beamten ist Übergewicht allerdings ein heikles Thema. "Früher musste der Amtsarzt bei der Einstellungsuntersuchung attestieren, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass der Mitarbeiter vor Erreichung der Rente wegen seines Gesundheitszustands aus dem Berufsleben ausscheidet", sagt Felser. "Eine solche Prognose grenzt aber oftmals an Wahrsagerei." Ein Body-Mass-Index über 30 galt grundsätzlich als problematisch.

Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht 2013 geändert. Felser: "Der Arzt muss nun feststellen, dass die Gesundheit des Bewerbers aktuell die Eignung für den Job ausschließt oder auf Basis gesundheitlicher Probleme eine vorzeitige Pensionierung als überwiegend wahrscheinlich angesehen wird." Damit haben sich die Einstellungschancen vieler Anwärter verbessert. Denn es komme nicht mehr ausschließlich auf den Body-Mass-Index an, so der Jurist. "Der Amtsarzt muss nun zusätzlich konkrete Beeinträchtigungen feststellen, wie etwa hohen Blutdruck."

Kein vorzeigbares Beispiel mit derzeitigem Gewicht

Umso erstaunlicher erscheint vor diesem Hintergrund, was einer 42 Jahre alten Bewerberin um die Stelle der Geschäftsführerin in einem Verein widerfuhr. Die 1,70 Meter große und 83 Kilo schwere Frau mit Konfektionsgröße 42 erhielt nach einem persönlichen Kennenlernen und der Einladung zu einem zweiten Gespräch einen Brief, in dem der Arbeitgeber fragte, weshalb sie kein Normalgewicht habe. Mit ihrem derzeitigen Gewicht sei sie kein vorzeigbares Beispiel. Die Bewerberin verlangte eine Entschädigung wegen Diskriminierung. Das Arbeitsgericht Darmstadt wies die Klage jedoch ab.

"Übergewicht ist für sich genommen kein Diskriminierungsmerkmal nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz", sagt Anja Lingscheid, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main. "Zu einer Diskriminierung kommt man nur, wenn wegen des Übergewichts eine Behinderung vorliegt." Doch nicht jede Form von Übergewicht führe zu einer Behinderung. Der Europäische Gerichtshof hatte 2014 im Falle der Entlassung eines adipösen Tagesvaters aus Dänemark entschieden, dass auch schweres Übergewicht noch keine Behinderung darstellt. Adipositas sei aber die Voraussetzung dafür, dass bei Übergewicht überhaupt eine Behinderung vorliegen könne.

Auch der gekündigte Gärtner hatte eine Entschädigung wegen Diskriminierung verlangt, ging aber leer aus. Das letzte Wort ist in diesem Fall allerdings noch nicht gesprochen. Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Nun muss das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entscheiden.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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