Arbeitsrecht:Darf der Chef mir eine Meinung vorschreiben?

Männer mit Anzug und Aktenkoffer

Arbeitnehmer haben eine Loyalitätspflicht: Die kann dafür sorgen, dass sie auch als Privatmensch nichts öffentlich sagen dürfen, was sich auf den Arbeitgeber negativ auswirken könnte.

(Foto: dpa)

In Deutschland gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dennoch sollten Arbeitnehmer nicht alles sagen, was sie denken, erklärt ein Arbeitsrechtler.

Interview von Larissa Holzki

Ein Mitarbeiter von Google behauptet, dass weniger Frauen in der Softwaretechnik arbeiteten, habe unter anderem biologische Gründe. Erzwungene Vielfalt sei falsch - aber sowas könne man bei Google nicht öffentlich diskutieren. Zumindest mit Letzterem hat er wohl Recht: Als das Papier durchs Netz geht, wird der Urheber entlassen. Wäre das auch in Deutschland möglich? Dürfen Arbeitgeber die Meinungsfreiheit einschränken?

Markus Diepold ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er vertritt Unternehmen, Geschäftsführer und Vorstände vor Arbeitsgerichten und berät sie in arbeitsrechtlichen Fragen.

SZ: Kann mein Chef mir vorschreiben, welche Meinung ich zu vertreten habe?

Markus Diepold: Das kommt darauf an, ob ich eine Äußerung aus Anlass meiner dienstlichen Pflichten tätige oder es eine private Äußerung ist. Der Grundsatz ist: Mit einem Arbeitsvertrag können Sie einem Menschen erst mal nicht vorschreiben, welche Meinungen er privat vertritt.

Und wo fängt das Privatleben an? Vor der Bürotür? Nach Feierabend?

Das ist unabhängig von Ort und Zeit: Wenn Sie etwas in den sozialen Medien posten, machen Sie das nicht in Erfüllung Ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, sondern eben privat - auch wenn es während der Arbeitszeit ist.

Sie haben angedeutet, dass es Ausnahmen gibt.

Richtig. Nämlich dann, wenn ich Rücksicht nehmen muss, weil sich die Äußerung auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn ich öffentlich meinen Ausbilder beleidige oder zwar im Privatbereich auftrete, aber als Mitarbeiter eines Unternehmens erkennbar bin, zum Beispiel durch Dienstkleidung oder die Mitarbeitermailadresse, von der ich eine Äußerung verschickt habe. In diesen Fällen muss eine Interessenabwägung erfolgen: allgemeines Persönlichkeitsrecht und freie Meinungsäußerung versus unternehmerische Betätigungsfreiheit.

Wann sieht die Rechtsprechung die Interessen des Unternehmens als wichtiger an?

Eine feste Regel gibt es nicht, weil eben eine Interessenabwägung zu erfolgen hat. Sicherlich wird man sagen müssen: Erst mal fällt die Abwägung zugunsten der Meinungsfreiheit aus. Die freie Meinungsäußerung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind garantierte Rechte. Wenn man in sie eingreift, bedarf es einer Rechtfertigung. Aber ein Gericht kann nach Abwägung aller Umstände zu dem Schluss kommen, dass eine Äußerung für das Unternehmen nicht mehr zumutbar ist. Die Rücksichtnahmepflicht oder Loyalitätspflicht kann dafür sorgen, dass ich auch im privaten Bereich Äußerungen unterlassen muss, die sich auf meinen Arbeitgeber nachteilig auswirken.

Je höher die Position, desto loyaler muss ein Mitarbeiter sich verhalten

Und das steht in jedem Arbeitsvertrag?

Die Loyalitätspflicht muss nicht vertraglich geregelt werden, sondern gilt automatisch für jeden Arbeitnehmer. Sie kann aber je nach Position und Bereich unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Dabei gilt: Je höher die Position und je repräsentativer die Funktion eines Arbeitnehmers, desto mehr darf man von ihm erwarten, dass er in der Öffentlichkeit keine Meinungen vertritt, die den Unternehmensinteressen entgegenlaufen. Auch im öffentlichen Dienst kann durchaus mehr Loyalität erwartet werden. Gleiches gilt bei Mitarbeitern von Tendenzbetrieben, die bei ihrer privaten Meinung stärker zur Rücksichtnahme verpflichtet sind.

Mit Tendenzbetrieben meinen Sie Kirchen und Presseunternehmen?

Zum Beispiel. Das sind Arbeitgeber, die für bestimmte Inhalte und Werte stehen. Deshalb werden dort auch höhere Anforderungen an das außerbetriebliche Verhalten der Mitarbeiter gestellt. Ich kann als Journalist einer bestimmten politischen Zeitschrift öffentlich nicht genau die gegenteilige Ansicht vertreten wie die Zeitschrift, in der ich ständig publiziere. Das wäre mit dem Renommee und der Außendarstellung des Unternehmens schwer vereinbar.

Gesetzt den Fall, mir platzt trotzdem mal der Kragen und ich schreibe via Twitter oder Facebook, dass ich etwas grundsätzlich anders sehe als meine Chefin. Was habe ich als deutsche Arbeitnehmerin zu befürchten?

Arbeitsrechtlich wird zunächst geprüft werden müssen, ob Sie Ihre Rücksichtnahmepflicht verletzt haben. Das ist der Fall, wenn Ihre Äußerung für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Wenn das der Fall ist, kann auch eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommen. Allerdings sieht das Kündigungsschutzrecht in Deutschland vor, dass die Kündigung das allerletzte Mittel ist. Das Bundesarbeitsgericht geht erst mal davon aus, dass Sie einlenken werden und Ihr Verhalten ändern, wenn der Arbeitgeber Sie abmahnt, sodass das Arbeitsverhältnis künftig ungestört fortgesetzt werden kann.

Eine Kündigung droht also nur Wiederholungstätern?

Darauf können Sie sich nicht verlassen. Wenn der Arbeitnehmer klar zu erkennen gibt, dass er sich um eine Abmahnung nicht schert und sein Verhalten nicht ändern wird, kann der Arbeitgeber auch ohne vorherige Abmahnung kündigen. Das gilt auch bei besonders schweren Pflichtverletzungen: Da kann ich davon ausgehen, der Arbeitnehmer wusste, dass der Arbeitgeber dieses Verhalten nicht dulden würde.

Was gilt für die Mitgliedschaft in Parteien und anderen politischen Gruppierungen? Dabei handelt es sich ja nicht um ein einmaliges Fehlverhalten.

Das kommt wieder auf den Arbeitgeber an und die Frage Tendenzunternehmen ja oder nein. Das Bundesarbeitsgericht hat vor vielen Jahren mal die verhaltensbedingte Kündigung einer Rechtssekretärin einer Gewerkschaft für ordnungsgemäß erachtet, die Mitglied im Kommunistischen Bund Westdeutschlands war. Das Gericht hat gesagt: Damit zeigt sie, dass sie die grundsätzlichen Werte des Arbeitgebers nicht vertreten möchte; sie tritt in den offenen Gegensatz. Bei einem privaten Arbeitgeber, der kein Tendenzunternehmen ist, ist die Mitgliedschaft in einer bestimmten Partei aber keine vertragliche Pflichtverletzung. Man kann nach der Rechtsprechung als privater Arbeitgeber grundsätzlich niemandem wegen einer Parteimitgliedschaft kündigen.

Neben Kündigung und Abmahnung haben Arbeitgeber andere Mittel, einen Mitarbeiter für sein außerbetriebliches Verhalten zu sanktionieren. Man kann ihm den Aufstieg verwehren, ihn versetzen, von bestimmten Gremien ausschließen. Wie kann ich mich als Arbeitnehmer dagegen wehren?

Die Frage ist, ob Sie beweisen können, dass Sie beispielsweise einen Bonus nur deshalb nicht ausbezahlt bekommen, weil Sie eine bestimmte Meinung vertreten oder Mitglied in der falschen Partei sind. Wenn Sie allerdings Indizien vortragen können, die eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, z. B. wegen Ihrer Weltanschauung, als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, dreht sich die Beweislast um: Dann muss der Arbeitgeber beweisen, dass Sie nicht benachteiligt werden. Allerdings sind schon die Indizien eine Hürde.

Wie gut ist der deutsche Arbeitnehmer im internationalen Vergleich abgesichert?

Der Kündigungsschutz ist definitiv hoch: In den USA beispielsweise können Mitarbeiter ohne Kündigungsgrund entlassen werden. Wenn der Arbeitgeber sie dadurch diskriminiert, steht den Betroffenen Schadensersatz zu, aber die Kündigung bleibt wirksam. Das gilt bislang ähnlich in Frankreich, wenn es keinen Kündigungsgrund gibt oder der Arbeitgeber einen formellen Fehler gemacht hat. Den Arbeitnehmer loszuwerden, kann dort im Zweifel also richtig teuer werden, aber er kommt dann nicht wieder zurück. In Deutschland brauchen Sie einen rechtmäßigen Kündigungsgrund. Haben Sie den nicht, sieht das Kündigungsschutzgesetz vor, dass Sie den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen müssen.

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