Arbeitsmarkt und Karriereplanung:Bedarf und Bedürfnis

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Wer seine Karriereplanung ausschließlich an Vorhersagen zum Arbeitsmarkt ausrichtet, könnte auch einen Blick in die Kristallkugel werfen.

(Foto: Victoria Jones/dpa)

In welchen Branchen droht ein Fachkräftemangel? Sechs Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Trotzdem sollte man sich bei der Berufswahl nicht allzu sehr auf Prognosen verlassen.

Von Tobias Hanraths, Pauline Sickmann, dpa

Die meisten Experten sind sich einig: In Deutschland gibt es einen Fachkräftemangel. Nur wie groß er ist, wo er am schlimmsten ist und wie dramatisch es noch wird - darüber gibt es weit weniger Einigkeit. Sechs aktuelle Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. In der Fachkräfteengpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit heißt es beispielsweise: "Es gibt keinen flächendeckenden Fachkräftemangel in Deutschland." Allerdings schreiben die Autoren auch: In manchen Bereichen fehlt es bereits jetzt an Personal, vor allem in der Altenpflege, im Gesundheitswesen, bei technischen Berufen und am Bau.

Ein etwas anderes Bild von der Zukunft zeichnet das Forschungsinstitut Prognos mit einer Studie im Auftrag der bayerischen Wirtschaft. Bis 2030 werden demnach bundesweit drei Millionen Fachkräfte fehlen, bis 2040 steigt die Zahl sogar auf 3,3 Millionen. Betroffen sind Ausbildungs-, aber auch Akademikerberufe. Und das über alle Branchen hinweg: Denn der wichtigste Grund für die Fachkräftelücke sei, dass die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, gleichzeitig aber nicht genug Fachkräfte nachrücken.

Die dramatischen Auswirkungen der Demografie spüren viele Ausbildungsbetriebe schon jetzt. Wie eine Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zeigt, findet schon knapp jeder dritte Betrieb nicht mehr genug Azubis für alle freien Plätze, zehn Jahre vorher waren es nur zwölf Prozent. Trauriger Spitzenreiter ist das Gastgewerbe, in dem 61 Prozent der Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Die Bereiche Handel, Verkehr und Logistik liegen mit 33 Prozent ebenfalls über dem Durchschnitt.

Kein Wunder, dass kaum etwas in der Wirtschaft und ihren Verbänden so intensiv diskutiert wird wie der Fachkräftemangel. Das zeigt die Vielzahl an Förderprogrammen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen zu dem Thema - und das zeigt auch eine Studie vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Unternehmensberatung AT Kearney. Für mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen (52 Prozent) ist der Fachkräftemangel demnach eine der größten Herausforderungen der Zukunft.

Pflegekräfte werden fehlen - doch gibt es auch genug Geld, um sie zu bezahlen?

Eine weitere Studie hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) zusammen mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vorgelegt. Demnach wird es im Jahr 2035 die größte Arbeitskräftelücke in den Pflege- und Gesundheitsberufen geben, erklärt Klaus Weber vom Bibb. "Ein deutliches Überangebot an Fachkräften wird dagegen insbesondere für Büroberufe und im Personalwesen angenommen."

Welche Schlüsse ziehen junge Leute aus diesen Erkenntnissen? Wie beeinflussen sie die Studien- oder Berufswahl? "Die Frage nach dem Fachkräftemangel spielt bei Jugendlichen schon eine Rolle", sagt Paul Ebsen von der Bundesagentur für Arbeit. "Für junge Leute ist wichtig: Wo lohnt es sich für mich überhaupt, eine Bewerbung hinzuschicken?"

Sie sollten sich bei der Berufswahl aber nicht auf solche Hochrechnungen verlassen, sagt Britta Matthes. Sie leitet die Forschungsgruppe Berufliche Arbeitsmärkte am IAB. Natürlich verändere sich der Arbeitsmarkt mit der Gesellschaft. Da diese immer älter wird, braucht man in Zukunft zum Beispiel mehr Pflegekräfte. Dabei gibt es nur ein Problem: "Diese Arbeitsplätze müssen aber auch finanziert werden." Ob sie also wirklich entstehen, ist noch unklar. Der Bedarf an Arbeitskräften sei wegen solcher Ungewissheiten praktisch in keiner Branche vorhersehbar: "IT-Berufe sind in Zukunft sicher zunehmend wichtig, aber daraus kann man nicht schließen, dass man in einem IT-Beruf vor Arbeitslosigkeit geschützt sein wird", sagt Matthes.

Beispiel Digitalisierung: Laut des Fortschrittsberichts 2017 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung ist damit zu rechnen, dass in den kommenden zehn bis 20 Jahren ungefähr zwölf bis 15 Prozent aller Tätigkeiten, die heute noch von Menschen ausgeführt werden, durch Computer erledigt werden können. Das betrifft vor allem Arbeitsplätze im Einzelhandel, im Papier- und Druckgewerbe sowie in der öffentlichen Verwaltung. Welche das genau sind, weiß aber noch niemand: Technischer Fortschritt ist schließlich nicht planbar.

Auch für Klaus Weber geht es bei der Berufswahl um andere Faktoren als um den Blick in die Kristallkugel. "Als Erstes ist es wichtig, zu wissen, wo die eigenen Stärken und Interessen liegen." Wenn jemand für eine bestimmte Fachrichtung brennt und das auch vermitteln kann, sei es einfacher, dort einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Außerdem steige durch große Motivation die Chance auf einen guten Abschluss. "Als Zweites ist es unverzichtbar, sich über die Inhalte der angestrebten Ausbildung oder des Studiums zu informieren", sagt Weber. Das zeige zum Beispiel die Erfahrung mit Ausbildungsabbrüchen: Nicht selten seien falsche Vorstellungen vom Arbeitsplatz der Grund dafür.

Das Auf und Ab bei den Lehrern zeigt, wie ein Schweinezyklus funktioniert

Wer seinen Beruf nach Mangel wählt, läuft außerdem Gefahr, in einen sogenannten Schweinezyklus zu geraten. "In den 1960er- und 1970er-Jahren herrschte zum Beispiel akuter Lehrermangel, weil die geburtenstarken Jahrgänge zur Schule kamen und gleichzeitig der Anteil der Kinder stieg, die auf ein Gymnasium gingen", sagt Britta Matthes. "Deshalb entschieden sich damals viele junge Leute dafür, Lehrer zu werden." Doch schon Ende der 1970er-Jahre drehte sich das Blatt, und viele Lehrer fanden keine Stelle. "Heute besteht wieder die Gefahr eines Lehrermangels", sagt Matthes. Doch in ein paar Jahren kann das schon wieder ganz anders aussehen.

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