Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarkt:Trau keinem über Dreißig

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Werden wir auf dem Arbeitsmarkt immer früher als "alt" gelten?

Sylvia Englert

(SZ vom 15.9.2001) Eigentlich gefiel ihr der Job beim Deutschen Bundestag im Ausschuss "Arbeit und Sozialordnung". Als aber die Regierung nach Berlin umzog, wollte Sylvia Knecht am Rhein bleiben. Auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz wandte sich die Juristin an eine Vermittlungsstelle des Bundestages. Dort hieß es jedoch: "Tja, Sie sind ja schon 34... da wird es schwierig, etwas für Sie zu finden..." Knecht glaubte, nicht richtig zu hören.

Solche Erfahrungen haben in den vergangenen Jahren viele machen müssen. Das Zeitfenster, in dem Fachkräfte für die Wirtschaft in den "besten Jahren" sind, ist in manchen Berufen auf weniger als ein Jahrzehnt geschrumpft.

Gewaltig gestiegen ist in den letzten zehn Jahren trotz der guten Konjunktur besonders die Arbeitslosigkeit bei Ingenieuren, Informatikern und Naturwissenschaftlern über 45. Ihnen unterstellen die Unternehmen trotz hoher Weiterbildungsquoten veraltetes Wissen - und schicken die Bewerbungen nicht selten postwendend wieder zurück, Fachkräftemangel hin oder her.

Wertschätzung im Keller

Immer aberwitziger erscheint vor diesem Hintergrund das Ziel der Regierung, das Rentenalter heraufzusetzen. "Wenn man ohne Veränderung der Arbeitsteilung das Rentenalter hochsetzt, verlängert man nicht das Erwerbsleben, sondern schafft nur die Begründung für Rentenabschläge", kritisiert der Mediziner Johann Behrens, der an der Universität Halle-Wittenberg seit längerem zum Thema Altern und Erwerbsarbeit forscht.

Für ihn ist es kein Wunder, dass die Wertschätzung älterer Mitarbeiter in den Keller gegangen ist: "In den 70er Jahren hatten wir zwei Probleme, den körperlichen Verschleiß bei der Arbeit und die wachsende Arbeitslosigkeit", erklärt er, "für beides hat man die Lösung gefunden, die Leute über die flexible Altersgrenze - die es vorher in dem Maße nicht gab - in Frührente zu schicken." Das habe jetzt Rückwirkungen: "Im Unterschied zu damals gilt man im Arbeitsleben heute sehr viel früher als alt oder gar als zu alt."

Wenig Resonanz

Zwar scheint der Jugendwahn der New Economy passé, doch das Image derjenigen Angestellten, deren Haarschopf von Grau durchzogen ist, lässt noch immer zu wünschen übrig. Folglich hält sich die gelegentlich gefeierte "Wiederentdeckung der Älteren" in engen Grenzen - und das, obwohl klar ist, dass die demographische Entwicklung den Unternehmen bald keine Wahl mehr lassen wird.

Das musste auch Harald Hopf, Arbeitsberater vom Arbeitsamt Erfurt, feststellen. Er betreute das gerade beendete Projekt "Zweite Karriere", bei dem ältere Fachleute (darunter verstand man Menschen über 40) für die speziellen Anforderungen bestimmter offener Stellen fitgemacht wurden. "Wir hatten nicht die Resonanz von Arbeitgebern, die wir erwartet haben", klagt Hopf, "da kam wenig Feedback." Nur ein Drittel der Teilnehmer bekamen durch das Projekt einen dauerhaften Job.

"Ein Problem ist, dass Ältere in vielen Unternehmen nicht unterzubringen sind, weil sie nicht in die jungen Teams reinpassen - und Unternehmen, die einen hohen Altersdurchschnitt haben, versuchen ihre Struktur eher zu verjüngen und wollen die Leute auch nicht." Um dieses Problem zu lösen, fordern Experten mehr altersgemischte Teams.

Der Altersfalle entgegenwirken

Johann Behrens schlägt einen veränderten Zuschnitt von Tätigkeiten im Laufe des Arbeitslebens vor, damit es wieder selbstverständlich wird, lange berufstätig zu bleiben. Wer keine Karriere macht, soll demnach alternativ dazu oft auf gleicher Ebene wechseln - dies sei eine Möglichkeit, der Altersfalle entgegenzuwirken.

Auch in seiner Arbeit frühzeitig verschiedene Tätigkeiten zu mischen, ist empfehlenswert: Bricht das eine berufliche Standbein weg, ist der Wechsel in einen anderen Bereich dann nicht mehr utopisch. Und natürlich sollte man sich möglichst nicht auf veraltende Wissensbestände spezialisieren.

Werden wir in Zukunft in immer jüngeren Jahren als "alt" gelten, wird vielleicht gar die Parole "Trau keinem über Dreißig" wiederbelebt? Behrens glaubt nicht daran. "Generell sinkt diese Altersgrenze nicht ab. Sie ist immer stark von der jeweiligen Tätigkeit abhängig." Man wird sich wohl vom Arbeitsmarkt überraschen lassen müssen.

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