Arbeitsmarkt:Deutsche Job-Könige sorgen für Beschäftigung

Die Pleiten großer Unternehmen wie Schlecker und Neckermann erregen viel Aufmerksamkeit. Doch die Arbeitsmarktexperten bleiben gelassen, denn insgesamt fallen diese Fälle kaum ins Gewicht. Deutschland hat schließlich viele potente Arbeitgeber.

Sibylle Haas

Sonja Weisenburger ist eine der 25.000 Schlecker-Frauen. Im April wurde sie arbeitslos, weil ihr Arbeitgeber, die Drogeriemarktkette Schlecker, in die Insolvenz ging. 17 Jahre hatte die gelernte Restaurant-Fachfrau bei Schlecker gearbeitet, bei dem sie einst "per Zufall" gelandet und schließlich geblieben war, weil es dort bessere Arbeitszeiten gab als in der Gastronomie.

Die 43-Jährige hatte in all den Jahren Karriere gemacht, war zuletzt als Filialleiterin in verschiedenen Schlecker-Läden tätig. "Ich würde dort wieder anfangen", sagt sie unumwunden. Sie kennt die Kritik an ihrem früheren Arbeitgeber, kann sie aber nicht teilen. "Ich habe gerne bei Schlecker gearbeitet", betont sie. Auch deshalb war die Arbeitslosigkeit für die Frau ein Schock.

Sie wohnt in Maikammer, einem kleinen Ort in der pfälzischen Weingegend. Etwa 8300 Einwohner zählt die Verbandsgemeinde, die sich aus den drei Ortschaften Kirrweiler, Maikammer und St. Martin zusammensetzt. Es gibt einen Bäcker und einen Metzger und manches mehr. Doch es gab keine Drogerie, weil schon Anfang 2011 die Schlecker-Filiale in Maikammer dichtgemacht hatte.

Es war wieder so ein Zufall, dass ausgerechnet in Maikammer, wenige Schritte von Sonja Weisenburgers Wohnung entfernt, ein Laden seit Längerem frei stand. Sie mietete die Fläche an, ließ sich von einer Expertin beraten und wagte den Schritt in die Selbständigkeit - allein mit ihrem Ersparten. "Wenn ich einen Kredit bei der Bank hätte aufnehmen müssen, dann hätte ich das nie gemacht", sagt sie. Seit Juni führt sie ihr Geschäft "Sonjas Drogerie" und gewinnt immer mehr Lieferanten dazu - und Kunden.

Denn sie besorgt, was möglich ist.

Während des Telefongesprächs kommt ein Mann ins Geschäft. Die Türglocke ist übers Telefon zu hören. Sonja Weisenburger entschuldigt sich kurz und legt den Hörer beiseite. Der Kunde will Volumentabak. "Können Sie den besorgen?" Ja, sie kann. In drei Tagen wird die Ware da sein, verspricht sie. "Heute kauft er Tabak und morgen nimmt er noch Klopapier mit", sagt sie dann am Telefon, nachdem der Kunde das Geschäft wieder verlassen hat. So baut sie sich ihren Kundenstamm allmählich auf.

So viel Mut wie die frühere Schlecker-Frau haben die wenigsten Menschen. Und vielen, die durch Firmenschließungen und Pleiten ihre Jobs verlieren, hilft auch der Zufall nicht weiter. Die Pleitewelle in der deutschen Wirtschaft gefährdet nach Einschätzung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform in diesem Jahr mehr als 300.000 Arbeitsplätze. Hauptgrund ist der Anstieg von Pleiten größerer Unternehmen wie Schlecker und Neckermann.

Auch die Handelskonzerne Karstadt und Metro streichen massenhaft Stellen. Beim Autobauer Opel und bei dem Energiekonzern RWE fallen ebenfalls Jobs weg. Die Telekom und der Netzwerkbauer Nokia Siemens Networks bauen ab; Eon Energie in München hat seine Tore geschlossen; die WestLB ist aufgelöst. Nun will auch die Deutsche Bank fast 2000 Leute vor die Tür setzen. Allein im schwächelnden Investmentbanking sollen 1500 Mitarbeiter gehen.

Manchmal hat ein Job Gewicht

Es könnte einem angst und bange werden. Doch Arbeitsmarktexperten bleiben gelassen. "Die Grundtendenz am deutschen Arbeitsmarkt ist im Juli weiter insgesamt positiv, es zeigen sich aber Anzeichen einer schwächeren Entwicklung. Die Arbeitslosigkeit ist in der Sommerpause vor allem aus saisonalen Gründen gestiegen", erklärt der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, die jüngste Entwicklung am Arbeitsmarkt. Die Zahl der offiziell gemeldeten Arbeitslosen stieg im Juli im Vergleich zum Juni um 67.000 auf 2,87 Millionen. Verglichen mit dem Vorjahr waren aber 63 000 Menschen weniger auf Jobsuche.

"Der Arbeitsmarkt ist noch einigermaßen robust", sagt Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Auch wenn es eine - wohl nur geringe - Abschwächung geben wird." Die öffentlich gewordenen Firmenpleiten und Entlassungen seien spektakulär, sagt Brenke. Doch jeder Fall stehe für sich, habe seine Besonderheiten. Konjunkturelle Gründe sehe er kaum. Ähnlich äußert sich auch Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. "Die Pleitefälle erregen viel Aufmerksamkeit", so Weber. "Doch auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben sie kaum Gewicht. Insgesamt läuft es hier immer noch gut, wenn auch nicht mehr mit dem Schwung der vergangenen Jahre", sagt er.

Jüngste Zahlen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden zeigen, dass die Zahl der Erwerbstätigen (Juni) im Vorjahresvergleich um 496.000 auf 41,70 Millionen gestiegen ist. Auch die Zahl der offiziell gemeldeten offenen Stellen ist nach wie vor hoch. Im Juli wurden nach BA-Angaben 500.000 Arbeitskräfte gesucht, 8000 mehr als im Vorjahr. Besonders groß sei die Nachfrage nach Fachleuten in den Bereichen Metall, Mechatronik, Elektro, Maschinen- und Fahrzeugbau, Logistik, Handel und Gesundheit. Und auf dem Ausbildungsmarkt seien die Chancen der Bewerber besser als im vorigen Jahr.

Die größten Arbeitgeber in Deutschland sind der öffentliche Dienst mit etwa 4,6 Millionen Arbeitnehmern sowie die Kirchen samt ihrer Einrichtungen (Krankenhäuser, Kindergärten, Caritas, Diakonie), mit etwa 1,3 Millionen Beschäftigten. Der Edeka-Verbund ist hierzulande mit mehr als 300.000 Beschäftigten größter privater Arbeitgeber und mit gut 18.000 Auszubildenden auch einer der führenden Ausbilder. Edeka ist nach eigenen Angaben der größte Verbund im deutschen Lebensmitteleinzelhandel und genossenschaftlich organisiert.

Die Geschichte des Verbunds begann 1898, als sich in Berlin 21 Einkaufsvereine zur Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin, abgekürzt E. d. K., zusammenschlossen. Die Abkürzung wurde so gebräuchlich, dass daraus 1911 der bis heute gültige Firmenname Edeka gebildet wurde. Zu Edeka gehören unter anderem Spar und Simmel sowie Plus und Netto.

Auch Edeka-Konkurrent Rewe zählt mit mehr als 220.000 Mitarbeitern zu den großen Stellenschaffern. Im Internet wirbt der Handels- und Touristikkonzern, zu dem unter anderem Toom, Penny und Pro-Markt sowie die Reiseveranstalter ITS und Dertour gehören, händeringend um Mitarbeiter. Mehr als 1600 freie Jobs bot Rewe allein Anfang August im Internet auf seiner Stellenbörse an.

Freie Stellen zu besetzen, das wird im Handel immer schwieriger. Die Gehälter gehören nicht gerade zu den besten, und die Arbeitszeiten in Büros gelten oft als familienfreundlicher. Vor einiger Zeit kam der Deutsche Industrie- und Handelskammertag in einer Umfrage zu dem erschreckenden Ergebnis, dass einige junge Leute für eine Ausbildung noch gar nicht reif seien. Es fehle an Kenntnissen im Lesen, Rechnen und Schreiben. So gibt es Ausbildungsbetriebe, die gute Leistungen in der Berufsschule und im Betrieb extra belohnen.

Von den 30 umsatzstärksten an der Frankfurter Börse notierten Unternehmen beschäftigt Volkswagen in Deutschland die meisten Mitarbeiter. 224.000 Menschen arbeiten hierzulande an mehr als 20 Fertigungsstätten für das Unternehmen. Weltweit waren im vorigen Jahr erstmals mehr als 500.000 Menschen bei dem Volkswagen-Konzern angestellt. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von fast 26 Prozent.

Der Grund liegt nicht allein im Aufbau neuer Produktionsstätten, wie etwa in China. Der Anstieg hängt auch damit zusammen, dass die Porsche Holding Salzburg und der Nutzfahrzeughersteller MAN SE zum ersten Mal voll konsolidiert wurden. Doch Volkswagen ist nicht allein durch diese Integration kräftig gewachsen. Voriges Jahr schuf der Konzern 28 000 neue Arbeitsplätze, davon 7000 in Deutschland. Das waren vor allem Jobs für Ingenieure, Informatiker und Wirtschaftswissenschaftler.

Die Ex-Schlecker-Frau Sonja Weisenburger aus Maikammer hat bisher nur eine Stelle geschaffen: ihre eigene. Sie sei Geschäftsführerin und Putzfrau in einem. "Das wird auch eine Weile so bleiben", sagt sie. Doch sie hofft, dass sie sich eines Tages ein oder zwei Mitarbeiter leisten kann. Auf dem Arbeitsmarkt hat das kein Gewicht. Für Weisenburger aber ein sehr hohes. Sie hat eine Aufgabe. Und das ist für die Frau momentan das Wichtigste.

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