Arbeitsmarkt:Angst vor den anderen

Mobilitätsstudie 'Mobil in der Stadt'

Das tägliche Treiben im Berufsverkehr: Eine Straßenbahn am Haltestellenbereich vor dem Hauptbahnhof in Leipzig. (Symbolbild)

(Foto: picture alliance / Jan Woitas/dp)

Menschen mit Migrationshintergrund haben es im deutschen Arbeitsleben oft schwer - trotz guter Ausbildung und Anti-Diskriminierungsgesetz. Das hat Gründe.

Von Lea Hampel und Katharina Kutsche

Für Julian Mayer sind es stets die ersten fünf Minuten. Ob Besprechung oder Vorstellungsgespräch, es gilt, diese 300 Sekunden zu überwinden. Er ist ein ganz normaler junger Mann, hat breite Schultern, er trägt gern Poloshirts. Doch seine Haut, die ist eben oft einen Tick weniger weiß als die seiner Gesprächspartner, sein Haar etwas lockiger. Und offenbar ist das in diesen Momenten wichtiger als die Fakten: Mayer hat Maschinenbau und Produktionstechnik studiert, nebenher gearbeitet, in seinem Bereich gilt er als Nachwuchstalent, eine Fachkraft wie aus einem Wunschkatalog der Industrie. Und doch reagieren Menschen oft reserviert.

"Natürlich gibt es kein spezifisches Augenzucken, aber man merkt das einfach", sagt Mayer. Das ist der Grund, warum er seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Und der Grund, warum seine wichtigste Aufgabe in Vorstellungsgesprächen in den ersten Minuten ist, zu zeigen: Ich bin hier zu Recht.

Julian Mayer, 26 Jahre, ist einer von 18,6 Millionen Menschen, die der Definition des Statistischen Bundesamtes zufolge "Migrationshintergrund" haben: Sie besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt oder haben mindestens einen Elternteil, bei dem das der Fall ist - Mayer hat deutsche und ghanaische Wurzeln. Doch obwohl zum Jahresende 2016 mehr als eine Million Stellen in Deutschland unbesetzt waren, obwohl viele Betriebe dringend Auszubildende suchen und Fachkräfte fehlen, ändert sich erst allmählich etwas daran, wie Menschen wie Mayer behandelt werden.

Für sie gehört Diskriminierung, vor allem im Berufsleben, zum Alltag. Zwar ist die tatsächliche Dimension schwer zu erfassen. Dass etwa Afro-Deutsche oder Sinti und Roma regelmäßig diskriminiert werden, ist wahrscheinlich, aber nicht erfasst. Aber immer wieder zeigen Studien: Mit türkischem Namen oder nicht-weißer Haut hat man es auf dem deutschen Arbeitsmarkt schwer.

Die aktuellste Studie stammt von der Österreicherin Dorothea Weichselbaumer. Die Ökonomin verschickte ein Jahr lang 1500 fiktive Bewerbungen an deutsche Unternehmen. Die Bewerberinnen hießen, bei gleichem Foto und gleicher Qualifikation, Sandra Bauer oder Meryem Öztürk. In einer dritten Variante trug Meryem Öztürk auf dem Foto ein Kopftuch. Weichselbaumer konnte zeigen: Eine kopftuchtragende Muslima muss mehr als viermal so viele Bewerbungen schreiben wie eine deutsche Kandidatin, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Auch ohne Kopftuch erhielt die Bewerberin Öztürk weniger Antworten als Sandra Bauer. Besonders bitter: Die Diskriminierung stieg, je höher die erforderliche Qualifikation war. Auf dem Ausbildungsmarkt sieht es nicht viel besser aus.

Oft greifen bei Entscheidern verinnerlichte Stereotypen

Die Ursachen dafür sind vielfältig, meist aber sind Vorurteile und Fehlannahmen im Spiel. Albert Scherr leitet das Institut für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, er forscht zu Migration. Er sagt: Manchem Entscheider oder Mitarbeiter sei nicht bewusst, was er mit Migrationshintergrund assoziiert. Oft würden verinnerlichte Stereotypen greifen, vom unzuverlässigen Südländer oder extremistischen Muslim. Manche Vorurteile seien auch auf überkommene Annahmen zurückzuführen: Bis in die Achtzigerjahre waren viele Kollegen mit Migrationshintergrund Gastarbeiter oder nach hiesigen Standards schlechter ausgebildet. Das ist längst anders, die zweite, teils dritte Generation aus Gastarbeiterfamilien hat hier Schule, Ausbildung und Studium absolviert, hat einen deutschen Pass und fühlt sich zuhause, werde aber, so Scherr, mit den gleichen Vorurteilen wie Eltern und Großeltern konfrontiert.

Und selbst wenn Personaler keine Vorurteile haben oder das zumindest glauben, berücksichtigen sie oft unbewusst die (möglichen) Vorurteile anderer. Scherr sagt: Personaler überlegen, wer passt in meinen Betrieb, wen akzeptieren Kunden und Kollegen - und gehen davon aus, dass jemand, der anders aussieht oder heißt, weniger akzeptiert wird. Da scheint es einfacher, Bewerber mit demselben Hintergrund einzustellen, als sich mit Kunden oder Kollegen auseinandersetzen, die Vorurteile pflegen. Hinzu kommt eine menschliche, wenn auch nicht erfreuliche Komponente: Stallgeruch hilft, auch das zeigen Forschungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen aufsteigen, steigt, wenn sie aus der gleichen Region oder der Herkunftsstadt wie der Chef kommen.

"Wichtig ist, zu erkennen, dass 'anders' nicht schlechter ist"

Wie stark diskriminiert wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: "International operierende Großunternehmen haben dieses Problem eher nicht", sagt Scherr. Je kleiner das Unternehmen, desto größer sei die Gefahr von Diskriminierung. Das liege oft vor allem an fehlender Erfahrung - eine Art Teufelskreis des Nicht-Wissens. "Das Diskriminierungsrisiko sinkt massiv, wenn der Ausbildungsbetrieb oder der vorherige Arbeitgeber signalisiert, mit dem Mitarbeiter war alles in Ordnung", so Scherr.

All diese Faktoren haben gravierende Folgen im Arbeitsalltag. Julian Mayer wird zwar selten angepöbelt, auch offen angefeindet wurde er bisher nicht. Es sind eher subtile Dinge, Doppeldeutigkeiten - oder schlicht unangenehme Situationen. Immer wieder wurde er auf Dienstreisen mit Kunden und Geschäftspartnern als einziger am Flughafen ausführlich kontrolliert, teils in separaten Räumen. "Das fällt sehr negativ auf und trägt nicht dazu bei, dass man als ,normales' Mitglied der Gruppe gesehen wird", sagt er.

Vor allem in den vergangenen drei Jahren hat er den Eindruck, dass sich vieles zum Schlechteren verändert hat. Das ist nicht nur für den Einzelnen und die Gesellschaft problematisch, sondern ein wirtschaftliches Problem. Mayer erzählt von seiner besten Freundin, die Maschinenbau in Oxford studiert, und von anderen Kumpels, die Angebote aus dem Ausland haben. "Die gleichaltrigen Deutschen bleiben hier und ziehen aufs Land, meine Freunde mit Eltern aus dem Ausland gehen eher weg", sagt er. Dabei sei das Gefühl, weniger erwünscht zu sein als andere, nicht der Hauptgrund, "aber eine zusätzliche Komponente". Und selbst bei weniger hoch Qualifizierten hat es Auswirkungen: Wer wiederholt abgelehnt wird, resigniert und zieht sich zurück. Und gerät bei der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt ins Hintertreffen.

Doch was lässt sich tun gegen Diskriminierung? Immerhin: Wer diskriminiert wurde, kann sich seit 2006 an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) wenden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz reicht nach Auffassung von Scherr nicht weit genug - zumal es für Betroffene schwer ist, Diskriminierung nachzuweisen. Zugelassen sind nur Individualklagen, die Chancen auf Erfolg eher schlecht. Scherr fordert deshalb zusätzlich öffentliche Kampagnen.

Viele Unternehmen versuchen bereits, gegenzusteuern - das ist auch dem Fachkräftemangel geschuldet. Vor elf Jahren wurde die "Charta der Vielfalt" ins Leben gerufen, mittlerweile haben mehr als 2700 Firmen unterzeichnet. Bei der Telekom beispielsweise gab es Versuche mit anonymen Bewerbungen. Zwar ist der Konzern davon abgekommen, aber das Unternehmen setzt auf persönliche Gespräche - um Vorurteile aufgrund von Namen oder Foto durch die Begegnung aufzulösen.

60 Prozent

Weit mehr als die Hälfte aller bayerischen Unternehmen fürchtet den Fachkräftemangel. Bei einer Umfrage der IHK für München und Oberbayern im Herbst dieses Jahres benannten bayerische Firmen die fehlenden Arbeitskräfte als eines der größten Geschäftsrisiken, vor dem sie im kommenden Jahr stehen werden. Noch sieben Jahre zuvor hatte nur knapp jedes dritte Unternehmen den Fachkräftemangel als ein Risiko angegeben. Das Thema hat in den Befragungen andere Probleme überholt. Arbeitskosten, wirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie die Nachfrage im Inland gaben jeweils nur rund 40 Prozent der Unternehmer als ein mögliches Geschäftsrisiko an.

Zudem achten Unternehmen zunehmend darauf, ihre Mitarbeiter gezielt zu schulen. Alexander Reeb ist interkultureller Trainer in Göttingen. In Seminaren setzt er darauf, dass Teilnehmer ein Bewusstsein entwickeln: Was empfinde ich als fremd und warum? Wann fühle ich mich selbst fremd? Dabei geht es auch um das Verhalten von Bewerbern. Während eine deutsche Kandidatin Blickkontakt hält, schaut manch ausländischer Bewerber eher auf den Boden, weil das in seinem Kulturkreis als respektvoll gilt. "Wichtig ist, zu erkennen, dass 'anders' nicht schlechter ist", so Reeb.

Eine solche Herangehensweise ist aufwendig. Aber, so glaubt er, sie kann sich auch für einen Handwerksbetrieb lohnen, der sich neue Märkte oder Kundenkreise erschließen möchte. So ein Betrieb habe nichts gewonnen, wenn er einen Lehrling mit Migrationshintergrund einstellt, der aber die Ausbildung wegen zwischenmenschlicher Probleme dann nicht beendet. Ein interkulturelles Training sei da ein Investment ähnlich wie die Anschaffung einer neuen Maschine, so Reeb. Diese Erkenntnis haben immer mehr kleine Unternehmen. Und so wächst mit dem Fachkräftemangel die Bereitschaft, Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund einzustellen, nicht zuletzt, weil Vielfalt im Zweifelsfall sogar gut für den Umsatz ist.

Aufwendig oder nicht, nötig ist es auf jeden Fall. Langfristig, glaubt Julian Mayer, wird er sonst nicht der Einzige sein, der seiner Heimat den Rücken kehrt. "Immerhin ist man im Ausland tatsächlich fremd. Das ist besser, als sich in vertrauter Umgebung fremd zu fühlen", sagt er.

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