Süddeutsche Zeitung

Arbeitskampf:Streikgeld nur für Gewerkschaftsmitglieder

Lesezeit: 4 min

Welche Rechte Arbeitnehmer und Unternehmer im Arbeitskampf haben.

Von Rolf Winkel

Seit einiger Zeit gibt es Warnstreiks sowohl in der Metallindustrie wie auch in den Redaktionen von Tageszeitungen. Viele jüngere Arbeitnehmer haben eine solche Auseinandersetzung zwischen den Tarifpartnern noch nie erlebt. Dieser Beitrag in der SZ-Serie "Bescheid wissen, Nachteile vermeiden" informiert daher über die Rechte von Arbeitnehmern und Unternehmern im Arbeitskampf.

Wer darf Streiks organisieren?

Vereinigungen von Arbeitnehmern dürfen nach dem Grundgesetz einen Arbeitskampf organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen. Das gehört zur Vereinigungsfreiheit, die das Grundgesetz in Artikel 9 garantiert.

Wann dürfen Arbeitnehmer streiken?

Ein Streik muss von einer Gewerkschaft geführt werden. "Wilde Streiks" - ohne gewerkschaftliche Beschlussfassung - gelten in der Bundesrepublik als rechtswidrig. Ziel eines Streiks muss in der Regel der Abschluss eines Tarifvertrags sein. Während der Laufzeit eines Tarifvertrags besteht eine so genannte Friedenspflicht und damit ein Verbot, zu streiken. Politische Streiks oder Demonstrationsstreiks werden in Deutschland als rechtswidrig angesehen (was allerdings innerhalb der Europäischen Union umstritten ist).

Vor einem Streik gibt es in der Regel eine Urabstimmung der Gewerkschaftsmitglieder. Wenn eine qualifizierte Mehrheit (meist mindestens 75 Prozent, bei manchen Gewerkschaften gilt ein Quorum von 66 Prozent) für die Forderungen streiken möchte, kann die Gewerkschaft zum Ausstand aufrufen. Die Arbeitnehmer dürfen dann die Arbeit niederlegen, ohne Mitteilung an ihren Arbeitgeber - und ohne diesen um Erlaubnis zu fragen.

Sind auch Warnstreiks vor Urabstimmungen zulässig?

Das Bundesarbeitsgericht hat Warnstreiks (in denen kein Streikgeld der Gewerkschaft gezahlt wird) in einem Urteil vom 21. Juni 1988 für zulässig erklärt - und zwar nach Ablauf der so genannten Friedenspflicht. Die Warnstreiks können danach auch während noch laufender Tarifverhandlungen durchgezogen werden, um den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen.

Darf auch ein Betriebsrat zum Streik aufrufen?

Betriebsräte sind nach dem Betriebsverfassungsgesetz grundsätzlich verpflichtet, "Betätigungen zu unterlassen, die den Arbeitsablauf oder den Betriebsfrieden beeinträchtigen". Auch Arbeitskampfmaßnahmen sind den Räten nach Paragraph 74 Abs. 2 des Gesetzes ausdrücklich untersagt. Die Verbote beziehen sich auf den Betriebsrat als Institution. Gewerkschaftlich organisierte Mitglieder eines Betriebsrats dürfen sich aber an der Organisation eines von der Gewerkschaft einberufenen Streiks beteiligen. Ein Streikaufruf des Betriebsrats ist jedoch - nach dem Gesetz - rechtswidrig.

Müssen Streikende arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten?

Bei einem rechtmäßigen Arbeitskampf ruhen die arbeitsvertraglichen Pflichten. Der Arbeitnehmer muss nicht arbeiten und der Arbeitgeber keinen Lohn zahlen. Arbeitsrechtliche Folgen darf ein rechtmäßiger Streik für die Betroffenen nicht haben, da der Arbeitnehmer nur seine verbrieften Rechte wahrnimmt. Rechtliche Schritte kann ein Arbeitgeber in besonderen Situationen lediglich gegenüber der streikführenden Gewerkschaft einleiten (zum Beispiel in Fragen der Schadenshaftung), niemals gegen einzelne Streikende. Die Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik gilt allerdings in der Regel als Arbeitspflichtverletzung, die den Arbeitgeber zur außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung berechtigt - nach vorausgegangener Abmahnung.

Darf die Teilnahme an einem Streik in der Personalakte vermerkt werden?

Ein Eintrag in der Personalakte ist lediglich bei der Teilnahme an illegalen Streiks zulässig (etwa bei so genannten politischen Streiks). Allerdings braucht der Dienstherr auch bei einem legalen Streik eine Liste der Streikenden, da er diesen kein Entgelt zahlen muss. Aus den Lohnabrechnungen, die im Streikmonat Abzüge beim Arbeitsentgelt dokumentieren, kann so später - theoretisch - rückgeschlossen werden, wer sich am Streik beteiligt hat.

Dürfen auch gewerkschaftlich nicht organisierte Arbeitnehmer streiken?

Ja. Streiken dürfen alle Arbeitnehmer, für deren Betrieb die Gewerkschaft einen Streik ausgerufen hat - egal, ob sie gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht. Auch Auszubildende dürfen sich nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts am Ausstand beteiligen (Urteil vom 12.09.84, 1 AZR 342/83). Ein grundsätzliches Streikverbot gilt aber für Beamte, Richter und Soldaten.

Für wen gibt es Streikgeld?

Streikgeld gibt es nur für diejenigen, die (zumeist schon einige Wochen) Gewerkschaftsmitglieder sind. Unorganisierte gehen leer aus. Das Streikgeld wird sowohl an Streikende als auch an Ausgesperrte gezahlt. Wie hoch es ausfällt, ist in den Satzungen der einzelnen Gewerkschaften geregelt. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes beträgt die Streikunterstützung im Schnitt zwei Drittel des Bruttoeinkommens. Das Streikgeld ist nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs steuerfrei und unterliegt nach gleichlautender Auskunft des Bundesfinanzministeriums und der Oberfinanzdirektion Düsseldorf auch nicht dem so genannten "Progressionsvorbehalt" (BFH, BStBl II, 1991, 337).

Wie steht es um den Versicherungsschutz während eines Streiks?

Für die Dauer eines rechtmäßigen Arbeitskampfes bleibt die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Versicherungsschutz in der Pflegeversicherung erhalten. Dies gilt sowohl für versicherungspflichtige und freiwillige Mitglieder. Während des Streiks oder der Aussperrung werden keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung entrichtet. Die Rentenansprüche werden dadurch geringfügig vermindert. Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung werden - außer bei extrem langen Streiks - nicht beeinträchtigt.

Dürfen Unternehmen aussperren?

Nach der herrschenden juristischen Meinung dürfen Unternehmen als Antwort auf einen Streik Arbeitnehmer, die nicht am Arbeitskampf beteiligt sind, aussperren. Wird ein Betriebsteil bestreikt, so können die Arbeitnehmer der anderen Teile des Betriebs beispielsweise durch eine Aussperrung am Arbeiten gehindert werden - und bekommen dann keinen Lohn. Ebenso können Arbeitnehmer von nicht bestreikten Betrieben des Tarifgebiets ausgesperrt werden. Das Aussperrungsrecht ist allerdings - auch europaweit - umstritten. Bis zu einem Bundesarbeitsgerichtsurteil im Jahr 1988 war nach der hessischen Landesverfassung eine Aussperrung sogar verboten.

Können ausgesperrte Arbeitnehmer Arbeitslosengeld erhalten?

In der Regel nicht. Dies wird mit der so genannten Neutralitätspflicht der Bundesagentur für Arbeit begründet. Strittig ist dies weniger bei Aussperrungen im Tarifgebiet, sondern vor allem, wenn es um Fernwirkungen von Arbeitskämpfen geht. Beispiel: In einem Abnehmer- oder Zulieferbetrieb eines bestreikten oder ausgesperrten Unternehmens kann nicht mehr weiter gearbeitet werden, weil Material fehlt. In solchen Fällen zahlten die Arbeitsämter früher Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld - bis zu einer Gesetzesänderung im Jahr 1986. Seitdem gehen die von dieser "kalten Aussperrung" betroffenen Arbeitnehmer leer aus - sie erhalten weder Lohn noch Unterstützung von der Arbeitsagentur.

Problematisch ist diese - auch von Rot-Grün nicht geänderte - Regelung insbesondere, weil Unternehmen das Ausmaß der "kalten Aussperrung" selbst bestimmen können: Durch eine Aussperrung in einem strategisch wichtigen Zulieferer im Tarifgebiet kann beispielsweise in einer Vielzahl von Unternehmen, die außerhalb dieses Gebietes liegen, die Produktion lahm gelegt werden. Die betroffenen Arbeitnehmer haben dann das Nachsehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.513717
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 4.2.2004
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.