Arbeitsamt-Affäre:Chronik eines angekündigten Rücktritts

Erste Folgen des Skandals um die geschönten Statistiken der Arbeitsämter.

Alexander Hagelüken

(SZ vom 21.2.2002) Berlin , 20. Februar - Bernhard Jagoda kämpft lange, sehr lange. Als er nach dreieinhalb Stunden endlich aufgibt, rechnet keiner der Anwesenden mehr damit. Selbst die nicht, die ihn schon dazu drängen, bevor er überhaupt den Saal E 200 betritt. "Ich glaube kaum, dass Herr Jagoda in der Lage ist, die notwendigen Reformen umzusetzen", verkündet Arbeitsstaatssekretär Gerd Andres (SPD), als er morgens zum Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung kommt. Zu diesem Zeitpunkt wirkt Jagoda so, als wolle er die Rücktrittsforderungen einen weiteren, langen Tag aussitzen.

Arbeitsamt-Affäre: Bernhard Jagoda zu Beginn seiner Befragung durch die Bundestagsabgeordneten im Arbeits- und Sozialausschuss

Bernhard Jagoda zu Beginn seiner Befragung durch die Bundestagsabgeordneten im Arbeits- und Sozialausschuss

Kurz vor 9 Uhr 30 trottet der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit ins Paul-Löbe-Haus, wo die Ausschüsse des Bundestags zusammenkommen. Der neue Bau, direkt gegenüber vom Kanzleramt, besteht vor allem aus einer hellen, hohen Halle mit Glasdach. Dem runden Ausschussraum, in den Jagoda geht, fehlt diese räumliche Großzügigkeit völlig. Der Saal E 200 erinnert an ein Getreidesilo, nur aus Beton. In diesem Silo, ganz nahe am Fenster, verschanzt sich Bernhard Jagoda. Neben sich hat er seinen Stellvertreter Heinrich Alt postiert, der schnell einspringt, wenn dem Chef die Antworten ausgehen. Vor sich hat Jagoda vier voluminöse Gesetzbücher aufgebaut, so breit wie er selbst.

"War ich zu scharf?"

Bedächtig dreht er seinen Körper zu den Abgeordneten, die ihm Fragen stellen. Der 61-Jährige hat dieselbe Leichenbittermiene aufgesetzt, mit der er alle vier Wochen im Fernsehen verkündet, wie viele Millionen Deutsche im letzten Monat wieder keinen Arbeitsplatz gefunden haben. Jagoda hält den Kopf leicht gesenkt. Doch ein Schuldeingeständnis ist das nicht. Als ihn der SPD-Abgeordnete Peter Dreßen offen zum Rücktritt auffordert, lehnt Jagoda entschieden ab. "War ich zu scharf?", fragt Dreßen, ein leutseliger Badener, draußen vor der Tür eine Kollegin. Die Abgeordneten müssen erst Mut fassen. Anders als Jagoda.

Empört erzählt ein Sozialdemokrat in der Zigarettenpause, der Präsident habe tatsächlich gerade wieder die Recherchen des Bundesrechnungshofes angezweifelt. Dabei ist Dieter Engels, der Vizepräsident des Rechnungshofes, doch extra nach Berlin gekommen, um nochmals vorzutragen, was längst alle wissen: Die tollen Erfolgsnachweise aus Jagodas Haus stimmen nicht. Bis zu 70 Prozent der angegebenen 3,9 Millionen Stellenvermittlungen sind falsch. Sogar Jagodas eigene Innenrevision bestätigt dieses Ergebnis inzwischen. Doch der Präsident tut so, als sei nichts gewesen: "Wir arbeiten weiter wie bisher".

Belastende E-Mails

An diesem Mittwoch werden E-Mails aus der Bundesanstalt bekannt. Aus ihnen geht hervor, dass die Verdunkelungs-Vorgänge schon im Dezember bekannt waren, lange bevor der Rechnungshofbericht öffentlich wurde.

"Die Statistik wird weit über das bisher angenommene Maß getürkt", heißt es in einer internen E-Mail der Bundesanstalt. Zur Rechtfertigung schrieb Jagoda kürzlich an Arbeitsminister Walter Riester, die Formulierung "getürkt" sei "bedauerlicherweise missverständlich". Missverständlich.

Beachtliche Karriere

Seit fast neun Jahren leitet Bernhard Jagoda die Bundesanstalt für Arbeit, die größte Behörde der Republik. Er wollte diesen Posten erst 2005 aufgeben, wenn er die Altersgrenze erreicht. Seine feierliche Verabschiedung in den Ruhestand sollte den krönenden Abschluss seiner Karriere bilden, einer Laufbahn, mit der er nicht rechnen durfte.

Bernhard Jagoda wurde 1940 als Sohn eines Bergmanns geboren, in Oberschlesien, einer von fünf Kindern. Nach der Volksschule hat er eine Verwaltungslehre absolviert, in der Stadtverwaltung im nordhessischen Treysa gearbeitet, zuletzt als sogenannter Obersekretär für Sozialhilfe. Nebenbei engagierte er sich für die hessische CDU in der Kommunalpolitik.

Es ist diese Tätigkeit, die den Obersekretär in ungeahnte Höhenflüge katapultiert: Bundestagsabgeordneter, Staatssekretär unter Sozialminister Norbert Blüm, schließlich Präsident der Bundesanstalt für Arbeit. Jagoda unterstehen mehr als 90.000 Mitarbeiter. Er kann jährlich mehr als 20 Milliarden Euro für Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme verteilen. Er ist durch seine ständigen Fernsehauftritte bekannt. Sowas gibt keiner so einfach auf.

Gefährlicher Strudel

Jagodas Beharrungsvermögen wurde vor allem für die Bundesregierung zum Problem. Je länger der Präsident an seinem Stuhl klebte, desto mehr drohten SPD und Grüne in den Strudel der Arbeitsamtsaffäre gezogen zu werden. Aus dem Kanzleramt wurde Arbeitsminister Riester signalisiert, bis Ende dieser Woche müsse eine Lösung für Jagoda her.

Riester zögert lange. "Er möchte sich unbedingt anständig verhalten", sagt ein Vertrauter. Riester ringt mit sich. Schließlich fordert er Jagoda in einem diskreten Gespräch auf, seinen Hut zu nehmen. Der Präsident verweist darauf, dass er als Beamter auf Zeit bei einem Rücktritt die Pensionsansprüche aus seiner neunjährigen Amtsdauer verlieren würde. Riester weist sein Haus an, zu prüfen, wie sich finanzielle Verluste vermeiden ließen.

Als Riester an diesem Mittwoch das Ausschuss-Silo im Paul-Löbe-Haus betritt, weiß er trotz dieses Vorgesprächs mit Jagoda nicht, wie der Tag ausgehen wird. Der Minister trägt einen von diesen hellgrauen Anzügen nebst blauer Krawatte, wie so oft. Er wirkt darin wie ein ehrlicher Buchhalter, nicht wie ein entschiedener Macher.

Walter Riester ist an diesem Morgen unsicher, aber er hat registriert, dass sich immer mehr Getreue von Jagoda abwenden. Da melden sich hohe Beamte der Behörde bei Vorstandsmitgliedern der Bundesanstalt und behaupten, dass sie selbst schon immer Reformen gefordert hätten. Da sollen Positionen für die Nach-Jagoda-Ära abgesichert werden.

Das ist das Ende

Unangenehm für den Präsidenten sind auch die Sitzungen des Vorstands der Nürnberger Bundesanstalt. Da muss er sich vor dem Arbeitgeberfunktionär Christoph Kannengießer rechtfertigen. Vor dem Mann, der in den Zeitungen beinahe täglich seinen Abgang fordert.

Der Präsident wirkt angeschlagen in diesen Sitzungen, erzählt ein Teilnehmer. Manchmal sagt er nur zwei Sätze, dann verstummt er. Sein treuer Stellvertreter Heinrich Alt ergreift dann für ihn das Wort. Alt gehört der SPD an und Jagoda der CDU. Aber sie halten zusammen. "Die Bundesanstalt für Arbeit ist eine Partei für sich", sagt ein Kenner. "Diese Leute sind es gewohnt, ohne große Einflußnahme der Regierung zu machen, was sie wollen."

Vielleicht hat Jagoda gedacht, dieser Zusammenhalt rette ihn, egal was kommt. Doch je länger sich an diesem Mittwoch die Ausschuss-Sitzung hinzieht, desto besser erkennt er, wie er sich täuscht. Immer mehr Abgeordnete sagen deutlich, was sie von ihm halten. Es ist kurz vor 13 Uhr, da wagt die grüne Abgeordnete Thea Dückert noch mal einen direkten Anlauf. Jagoda spreche doch ständig vom Vertrauen, das für seine Arbeit nötig sei. "Dieses Vertrauen ist weg", sagt Dückert, eine gewöhnlich leise, zurückhaltende Person.

Und Jagoda gibt auf. "Dann muss eben eine Möglichkeit gefunden werden für einen Neuanfang ohne mich", erklärt er umständlich. Das ist das Ende. Jagoda stiehlt sich aus dem Saal, mit unbewegtem Gesicht. Er möchte nichts sagen. Der Präsident eilt weg, bevor ihn die Kameraleute entdecken. Sagen möchte er immer noch nichts. Dafür will ein anderer reden: Der Arbeitsminister. Jagodas Worte seien "ein gutes Signal", spricht Riester in die Mikrofone, "ein sehr gutes Signal". Selten wirkte er so erleichtert.

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