Die Porsche-Felgen glänzen, die Schmiedemeister im Hauptwerk haben sie gefertigt. Apostolos Anastasopoulos wuchtet sie einzeln vom Stahlträger und hängt sie an eine Schiene. Seit 19 Jahren arbeitet er in dieser Lackiererei im schwäbischen Leonberg. Die Arbeit ist schwer, Anastasopoulos schmal. Er trägt Kopfhörer, hört Musik - das denken seine Kollegen. Doch in Wahrheit lauscht er einem Sprecher, beim Audiolehrgang "Heilpraktiker". Er ist 49 Jahre alt. Für immer will er den Job hier nicht machen.
Für Anastasopoulos und seine Kollegen wird die baden-württembergische Landesregierung in diesem Jahr ein neues Gesetz schaffen: das Recht auf Bildungsurlaub. Auch die neue rot-rot-grüne Koalition in Thüringen hat vereinbart, Arbeitnehmern fünf Tage Freistellung für Weiterbildungskurse zuzusichern. In den ersten 100 Tagen ihrer Regierungszeit soll hier der Bildungsurlaub kommen, hat Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow angekündigt. Die Idee ist nicht neu. In zwölf Bundesländern können Arbeitnehmer schon seit vielen Jahren freie Tage neben ihrem regulären Urlaub beantragen, um sich beruflich, politisch oder ehrenamtlich fortzubilden. Allerdings nehmen die wenigsten von ihnen von dieses Recht in Anspruch. Bildungsexperten schätzen, dass nur etwa ein bis drei Prozent aller Arbeitnehmer, die Anspruch hätten, Bildungsurlaub nehmen. Wem also nützt dieses Gesetz?
Hilft Bildungsurlaub Menschen mit niedrigem Ausbildungsstand weiter?
Weiterbildung ist wichtig für Anastasopoulos und seine Kollegen von der Otto Fuchs Oberflächentechnik GmbH. Vor vier Jahren hat er hier einen Betriebsrat gegründet, er kennt die Probleme. Rund 115 Leute arbeiten hier, bis zu 30 von ihnen in Leiharbeit, und die meisten von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Etwa die Hälfte von ihnen hat nie etwas gelernt. Sie alle könnten einen Sprachkurs besuchen, auch Seminare über die deutsche Kultur und die Gesetze wären wichtig, sagt Anastasopoulos. Bei Otto Fuchs bekämen sie gutes Geld für harte Arbeit, aber sie benötigten kaum Vorkenntnisse. Verhilft der Bildungsurlaub diesen Menschen zum Aufstieg? Die Übernahme von Leiharbeitern in den Betrieb scheitert häufig an ihren Deutschkenntnissen. Wer besser spricht, kommt leichter zu einer Festanstellung bei Otto Fuchs, hat Anastasopoulos beobachtet. Der baden-württembergische Plan sieht vor, dass Arbeitnehmer an fünf Tagen pro Jahr Deutsch lernen.
Apostolos Anastasopoulos öffnet das Betriebsratsbüro: ein Pressholztisch, ein Spind, ein Computerschrank. Eine halbe Stunde fährt die S-Bahn von hier nach Stuttgart - für Seminare wäre das zu weit. Ein Kollege von der Leiharbeitsfirma, Mitte 20, Grieche wie er, hatte Anastasopoulos vor einiger Zeit nach Deutschunterricht in der Stadt gefragt. "Mach' das lieber in Leonberg", antwortete er. Doch die Schichten sind unregelmäßig, früh, spät und nachts, immer im Wechsel. "Jetzt ist er schon ein Jahr hier", sagt Anastasopoulos: "Die Zeit reicht nicht dafür." Denn wer fest angestellt werden will, der muss auch Einsatz zeigen. Und wer im Fremdunternehmen zu lange ausfällt, gefährdet seinen Platz dort. Daran würde auch ein Rechtsanspruch auf fünf freie Tage nichts ändern.
In Nordrhein-Westfalen, wo es die freie Bildungswoche schon seit 30 Jahren gibt, wundert sich Uta Pippert vom Bildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) über die neue Initiative der Bundesländer. Ihre letzten Flyer für den Bildungsurlaub hat sie vor 15 Jahren verteilt, mit Fotos von glühenden Kohlen und dem Slogan: "Ihr gutes Recht." Pippert sagt: "Damals richtete er sich an bildungsferne Schichten." Die Arbeitnehmer, die heute in ihre Weiterbildungsberatung kommen, spekulierten eher auf einen Bildungsscheck. Damit bezuschusst der Staat Kurse am Abend oder am Wochenende. Der Chef muss davon gar nichts erfahren.
Seminare sind teuer. Baden-Württemberg wird für Fortbildungen, die Arbeitnehmer während ihres Bildungsurlaubs besuchen, regulär keine Kosten übernehmen. Das Bildungsministerium verweist auf bestehende Förderprogramme aus Bundesmitteln und oder dem Europäischen Sozialfonds. "Der Bildungsurlaub steht nicht allen offen", sagt Joachim Ruth vom DGB in Stuttgart: "Wenn man sich die Lohnentwicklung ansieht, wird das schwierig." Ein Mitarbeiter der Otto Fuchs Lackiererei müsste also nicht nur seinen Arbeitgeber von der freien Woche überzeugen - er müsste auch die Kursgebühr auftreiben oder aus eigener Tasche zahlen. In Thüringen plant die Landesregierung, Arbeitgebern in diesen fünf Tagen die Hälfte des Lohns zu erstatten.
Für eine Mitarbeiterin der Katholischen Sozialstation Stuttgart, 52, graue Locken und Strickpulli, ist alles glatt gegangen. Ihr Job war es einmal, die Wohnungen von Senioren aufzuräumen und für sie einzukaufen. Qualifikation: Hauswirtschaftslehre. Heute ist sie Pflegefachkraft. Mit 48 Jahren wurde sie bei ihrem Unternehmen wieder zur Auszubildenden. Ihre Vorgesetzte Margit Fink sprach sie an und bat sie, sich weiterzuqualifizieren. Unterstützt durch ein Umschulungsprogramm der Bundesagentur für Arbeit ging sie drei Jahre lang zur Berufsschule und absolvierte Praktika im Krankenhaus.
Die Sozialstation wartete auf sie. "Es ist unser Interesse, dass die Mitarbeiter bleiben", sagt Fink. Hier gibt es schon lange fünf freie Fortbildungstage im Jahr - auch ohne vorgeschriebenen Bildungsurlaub. Wenn sie zusätzlich Urlaubstage opfern, können Angestellte der Sozialstation Kurse über Palliativmedizin besuchen oder zum Pflegedienstleiter aufsteigen.
Forscher des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) stellten fest, dass rund ein Drittel der befragten Unternehmen in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren, weil sie auf dem Arbeitsmarkt "keine Fachkräfte finden konnten". Allerdings, das ergab die Studie auch, besuchten diese rund ein Drittel der Seminare in ihrer Freizeit. Vor allem für Frauen mit Kindern kann das ein entscheidendes Hindernis sein.
Der Bedarf an Teilqualifizierung ist hoch - und bislang nicht gedeckt
In der Lackiererei in Leonberg gibt es keinen Auszubildenden und nur einen Umschüler. Anastasopoulos selbst kam als ausgebildeter Mathematiklehrer nach Deutschland, ohne Sprachkenntnisse. Oft denkt er darüber nach, doch noch zur Schule zu gehen, eine Fortbildung zu beginnen. Bloß wovon leben und was, wenn es nicht klappt? Für eine Praxis als Heilpraktiker bräuchte er Startkapital. "Ich habe so viel probiert, aber ich bin immer noch hier", sagt er und lächelt. Seine Tochter ist zehn Jahre alt. "Sicher ist sicher", meint er.
"Was uns fehlt, sind mehr Angebote im Bereich der Teilqualifizierung", sagt die Arbeitsvermittlerin Pia Schmitt von der Stuttgarter Arbeitsagentur. Fortbildungen also, die zu flexiblen Zeiten stattfinden, aber Stück für Stück zu einem Abschluss führen. Auch die IW-Forscher raten, Ungelernte in einzelnen Modulen zu qualifizieren. Sind fünf Tage Bildungsurlaub ein erster Schritt dorthin? Oder nützt er nur großen Unternehmen mit starken Betriebsräten und Angestellten im öffentlichen Dienst? "Er ist von hohem symbolischen Wert", betont Joachim Ruth vom DGB.