Arbeitnehmer-Verhalten:Du bist nicht allein

Welcher Mitarbeiter geht früher? Wer lässt das Telefon lange klingeln und wer surft privat? Die Überwachung am Arbeitsplatz ist technisch kein Problem. Aber was darf der Chef überhaupt wissen?

Von Fabienne Melzer

Der kleine Sender am Armaturenbrett war Joachim Sommer eigentlich egal. Offiziell war das GPS-Koordinationssystem Anfang Juni zur besseren Einsatzplanung im Wagen des Außendienstmitarbeiters installiert worden. "Wir wussten natürlich alle, dass der Chef damit auch unsere Arbeit kontrollieren konnte", sagt Joachim Sommer (Name geändert). Doch er machte sich keine Sorgen. Was sollte der Apparat schon über seine Arbeit erzählen? Aus seiner Sicht gab es nichts, was der Chef nicht wissen durfte.

Computer-Bildschirm

Arbeitnehmerdatenschutz wird in vielen Betrieben nachrangig behandelt.

(Foto: Foto: dpa)

Die fristlose Kündigung an seinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub Ende August 2003 traf ihn dann wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Begründung: Nichteinhaltung der Arbeitszeit. Fassungslos starrte Sommer auf das Papier. Als Anlage erhielt er die Protokolle des GPS-Koordinationssystems. Mit Hilfe des kleinen Apparates hatte der Chef seine Beschäftigten rund um die Uhr überwacht. Drei Mitarbeiter erhielten eine Abmahnung, Sommer die Kündigung.

"Dabei hatte der Chef nur die Tage genommen, an denen ich kürzer gearbeitet hatte. Dass ich an anderen Tagen mehr Stunden im Dienst war, spielte keine Rolle." Die Arbeit im Außendienst funktioniere nun mal nicht nach dem Stechuhrprinzip. "Ich lasse doch bei einem Kunden nicht alles stehen und liegen, nur weil ich Feierabend habe." Mehrarbeit glich Sommer an ruhigeren Tagen wieder aus. Unterm Strich, denkt der 34-Jährige aus Aachen, arbeitete er fast immer mehr. Doch davon wollte sein Chef nichts hören. Er bezichtigte seinen Mitarbeiter des Betruges und warf ihn hinaus.

Sommers Klage endete wie viele Kündigungsverfahren vor deutschen Arbeitsgerichten mit einem Vergleich. Die fristlose Kündigung wurde in eine fristgerechte zum Jahresende umgewandelt, und er erhielt eine Abfindung. "Mir war es lieber, mit einer ordentlichen Abfindung zu gehen, als mich weiterhin in einem solchen Betrieb bespitzeln zu lassen."

Ist Plaudern schon Betrug?

Überwachung im Betrieb ist technisch schon lange kein Problem mehr. Schließlich gibt es kaum einen Arbeitsplatz, der nicht vernetzt ist. Telefonanlagen erfassen das Arbeitsverhalten der Beschäftigten und können aufzeichnen, wie lange sie ihre Apparate klingeln lassen. Computer halten die Bearbeitungszeiten einzelner Aufträge fest.

Statistiken lassen sich mit wenigen Handgriffen auf der Tastatur in Sekundenschnelle erstellen. "Vorgesetzte können beispielsweise auswerten, wer freitags immer früher geht und montags immer später kommt, und danach auch Personalentscheidungen treffen", sagt Ulrich Flake von der Technologieberatungsstelle beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Hessen.

Solche Zahlengläubigkeit findet Karin Schuler fatal. Die Diplom-Informatikerin ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Datenschutz und berät Betriebe zum Thema Datenschutz und IT-Sicherheit.

Über Erhebungen, nach denen Arbeitnehmer etwa stundenlang auf Kosten der Firma privat im Internet surfen, kann Schuler nur den Kopf schütteln. "Viele glauben, sie könnten durch Abgreifen der Daten ihren Beschäftigten Betrug nachweisen. Dabei kommt kein Arbeitgeber auf die Idee, auszurechnen, wie viel Zeit seine Beschäftigten mit Privatgesprächen im Kollegenkreis verbringen."

Gesetzlicher Wirrwarr

Arbeitnehmerdatenschutz werde in vielen Betrieben nachrangig behandelt. "Eine große Zahl von Betrieben hat keinen Datenschutzbeauftragten, oder er wurde lediglich pro forma ernannt", sagt Karin Schuler. Das gelte besonders für kleine Betriebe. Nach einer Umfrage des Bundesverbands der deutschen Industrie hatten nur 43 Prozent der kleinen Betriebe einen Datenschutzbeauftragten. Davon übten zwei Prozent ihre Aufgabe hauptamtlich aus. Bei den mittleren Betrieben lag der Anteil zwar schon bei 80 Prozent. Hauptberufliche Datenschutzbeauftragte waren aber auch hier mit sieben Prozent die Ausnahme.

Dabei ist die Aufgabe nicht gerade einfach. Annähernd 100 Gesetze regeln den Datenschutz im Betrieb. Ein eigenes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gibt es nicht, obwohl es schon seit einigen Jahren auf der Agenda der Politiker steht. Nicht-Juristen blicken da kaum durch. Zudem beklagen Betriebsräte Lücken im Gesetz. So ist beispielsweise die Datenspeicherung an die Einwilligung der Betroffenen geknüpft. Doch wie freiwillig ist die Einwilligung, wenn davon der Arbeitsplatz abhängen kann?

Nicht nur der gesetzliche Wirrwarr überfordert viele Betriebe. Datenschutz könne man nicht im Laden kaufen, sagt Karin Schuler. Er müsse vielmehr bei jedem einzelnen Arbeitsschritt mitgedacht werden. Diese Aufgabe ist keineswegs unlösbar. Betriebe wie die Mannheimer ABB AG machen es vor. Bei dem Elektrokonzern gibt es seit vier Jahren eine Richtlinie zum Datenschutz, in der die Verwendung personenbezogener Daten auf das notwendige Mindestmaß beschränkt wurde. Damit das Thema auch in den Köpfen der Beschäftigten verankert wird, besucht der Konzerndatenschutzbeauftragte Lutz Neundorf regelmäßig die 50 Niederlassungen im Bundesgebiet, schult Leute vor Ort und betreibt Aufklärung im hauseigenen Intranet.

"Wir wollen die Leute für das Thema sensibilisieren", sagt Neundorf. Natürlich gebe es unterschiedliche Erwartungen auf beiden Seiten. "Arbeitgeber wollen gerne alles wissen, Arbeitnehmer wollen gar nichts preisgeben. Beides geht in dieser absoluten Form nicht." Gerade das findet Neundorf spannend: "Für mich ist es eine Herausforderung, das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen zu schützen, und trotzdem kein betrieblicher Hemmschuh zu sein."

So selbstverständlich gehen nicht alle Betriebe mit dem Thema um. Auf Widerstand stoßen Datenschützer dabei nicht nur auf Arbeitgeberseite. Auch unter den Beschäftigten gelten sie häufig als Bremser, die ihnen nur Arbeit machen. Die Vorbehalte kennt auch Lothar Bräutigam, Berater für Betriebs- und Personalräte aus Darmstadt. "Das gängige Argument lautet: Wir haben hier doch nichts zu verbergen." Viele würden erst wach, wenn sie merkten, dass man die Technik auch gegen sie verwenden könne. Aber da sei es oft schon zu spät.

Besser gar nichts speichern

Wenn es hart auf hart kommt, bleibt den Betroffenen nur der Gang vors Arbeitsgericht. Dort stehen ihre Chancen allerdings gar nicht schlecht, meint Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bremen. Insgesamt gebe es in Deutschland eine relativ gute Datenschutzstruktur. "Wir haben die Datenschutzbeauftragten und die Aufsichtsbehörden der Länder." An letztere können sich Beschäftigte wenden, wenn es in ihrem Betrieb keinen eigenen Beauftragten gibt. Für den Arbeitsrechtler ist der beste Schutz aber noch immer die Daten-Sparsamkeit. Die Verwendung gespeicherter Daten an bestimmte Zwecke zu binden, sei eine Sache. Doch nur, was überhaupt nicht gespeichert werde, könne letztendlich auch niemals gegen die Beschäftigten verwendet werden.

Eine zweischneidige Sache, findet Robert Killer, Betriebsratsvorsitzender bei der Telekom-Tochter T-Systems in Frankfurt. "Ich bin nicht grundsätzlich gegen den Einsatz von Datenbanken." In Skill-Datenbanken, die Fertigkeiten der Beschäftigten speichern und beispielsweise Qualifikationsprofile erstellen können, sieht Killer auch Chancen. "Wenn damit der richtige Mensch an den richtigen Platz gebracht werden kann, ist das sicher gut." Doch es gebe Grenzen. Daten dürften nicht beliebig lange und in beliebigem Umfang gespeichert werden, meint Robert Killer. Leistungs- und Verhaltenskontrollen seien ohnehin nicht Aufgabe des Computers. "Das sollten gute Führungskräfte schon selbst erkennen."

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