Süddeutsche Zeitung

Arbeiten vorm Bildschirm:"Zu langes Sitzen ist eine Belastung für den Körper"

Vorm PC sitzt fast jeder falsch: Zu starr und unbeweglich. Auf Dauer macht das krank. Wie man's richtig macht und ohne viel Aufwand Bewegung in den Arbeitsalltag bringt. Ein Interview.

Wer vorm Bildschirm falsch sitzt, zahlt mit Schmerzen. Nicola Holzapfel sprach mit Armin Windel, Leiter der Gruppe Ergonomie bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, über die Risiken der PC-Arbeit.

sueddeutsche.de: Ist das Arbeiten vorm Bildschirm ungesund?

Armin Windel: So ungesund wie jede Tätigkeit, bei der man eine Körperhaltung zu lange einnimmt. Wer bei einem Autohersteller am Fließband steht oder im Innenraum eines Wagens liegt und dort Kabel verlegt, arbeitet sicherlich ungesünder. Das ist auch eine Frage des Vergleichs.

Das Arbeiten vor dem Bildschirm an sich ist nicht ungesund. Aber die Anforderungen im Tagesablauf verleiten dazu, Dinge zu tun, die für den Körper schlecht sind.

sueddeutsche.de: Was ist denn schlecht dabei?

Windel: Zu langes Sitzen ist eine Belastung für den Körper und statisches Sitzen, also ohne weitere Bewegung, ist absolut schlecht. Vor dem Bildschirm neigt man dazu, eine Körperhaltung einzunehmen, die das momentane Arbeiten zwar erleichtert, etwa wenn man hoch konzentriert da sitzt, aber langfristig schadet.

sueddeutsche.de: Ab wann sitzt man zu lange?

Windel: Man sollte pro Stunde fünf bis zehn Minuten lang andere Tätigkeiten machen, zum Beispiel aufstehen und zum Schrank gehen oder sein Telefon etwas weiter wegstellen und ruhig mal im Stehen telefonieren.

Sehr gut ist es, im Stehen zu arbeiten und drei bis vier Stehperioden pro Tag einzulegen. Im Stehen kann man zwar nicht so gut die Tastatur bedienen, aber man kann dann ja zum Beispiel seine E-Mails beantworten.

sueddeutsche.de: Wie viele Stunden darf man denn insgesamt am Tag vorm PC hocken?

Windel: Die Bildschirmarbeitsplatzverordnung gibt dafür keinen Richtwert vor. Wer pro Stunde fünf bis zehn Minuten etwas anderes tut und die vorgeschriebenen Pausen einhält, also eine halbe Stunde Mittag macht und nach neun Stunden Arbeit noch einmal 15 Minuten pausiert, kann schon den ganzen Tag vor dem Bildschirm arbeiten.

sueddeutsche.de: Und während der Mittagspause soll man wahrscheinlich spazieren gehen?

Windel: Bewegung ist definitiv das Richtige. Auf keinen Fall sitzen bleiben - vor allem nicht das Brötchen aus der Schublade ziehen und dann womöglich noch vorm Bildschirm essen. Und auch nicht zu schwer essen. Danach ist man sonst müde und bewegt sich wieder nicht.

sueddeutsche.de: Und wenn ich mich jetzt ausreichend bewege, reicht das?

Windel: Der Arbeitsplatz sollte auch möglichst optimal gestaltet werden. Oft steht zum Beispiel der Monitor falsch. In vielen Büros gibt es noch Desktop-Geräte. Wenn dann der Bildschirm so hoch steht, dass die erste Zeile über der Augenhöhe beginnt, ist man gezwungen nach oben zu schauen und spannt den Schulter- und Rückengürtel an. Das führt langfristig zu dauerhaften Schäden.

Statistiken zeigen ja, dass zwei Drittel aller Berufstätigen den Orthopäden konsultieren und ein Drittel aller arbeitsbedingten Erkrankungen Muskel- und Skelett-Erkrankungen sind.

sueddeutsche.de: Und das kommt von der Bildschirm-Arbeit?

Windel: Das kann von der Zwangshaltung kommen, die man vor dem PC einnimmt. Wenn man zu statisch sitzt, führt das zu den gleichen Beschwerden wie das Heben zu schwerer Lasten.

sueddeutsche.de: Wie sitzt man denn richtig?

Windel: Es gibt die Theorie des rechten Winkels. Unter- und Oberschenkel sollten einen rechten Winkel bilden und die Schultern nach unten hängen. Die Oberarme werden parallel zum Körper gehalten. Die Unterarme bilden einen rechten Winkel mit der Tischplatte. Wenn das nicht funktioniert, muss man den Tisch höher stellen.

sueddeutsche.de: Und anders darf man nicht sitzen?

Windel: Doch: Die beste Sitzhaltung ist immer die nächste. Mit der Theorie des rechten Winkels erreiche ich erst einmal eine optimale Anpassung. Die meisten guten Stühle haben einen flexiblen Rückenhebel. Das soll zur Bewegung einladen und das sollte man auch machen. Aber viele stellen den Hebel fest und bewegen sich dann auch entsprechend weniger.

sueddeutsche.de: Muss man immer gerade sitzen und darf man auch mal lümmeln?

Windel: Sie dürfen sitzen, wie es Ihnen gefällt. Sie sollten nur darauf achten, dass es nicht zu statisch ist.

sueddeutsche.de: Was ist mit Liegen?

Windel: Ich denke nicht, dass das unbedingt nötig ist. Da machen Sie lieber mal eine Übung zwischendurch.

sueddeutsche.de: Haben Sie eine für uns?

Windel: Setzen Sie sich rechtwinklig hin und nehmen Sie die Arme nach oben, so dass die Oberarme nach vorne gestreckt sind, parallel zum Fußboden. Die Handflächen sind nach oben zur Decke gedreht. Drehen Sie sich jetzt beim Ausatmen nach links und beim Einatmen wieder zurück in die Mitte. Und dann das Ganze in die andere Richtung. Das ist eine effektive Übung für den Schulter-Nacken-Bereich.

Oder machen Sie das: Senken Sie das Kinn auf das Brustbein. Im Ausatmen beugen Sie den Kopf nach unten zu den Beinen hin, beim Aufrichten rollen Sie die Wirbelsäule wie eine Perlenschnur auf - angefangen beim Lendenwirbel bis Sie wieder gerade sitzen und nach vorne schauen

sueddeutsche.de: A propos schauen: Was gilt bei der PC-Arbeit für die Augen ?

Windel: Das wichtigste ist der Sehabstand zum Bildschirm. Viele haben den Bildschirm zwar korrekterweise so auf dem Schreibtisch stehen, dass er hinten bündig abschließt. Der Abstand zwischen Auge und Bildschirm sollte aber auf jeden Fall 50 bis 60 Zentimeter betragen. Dafür muss der Tisch mindestens einen Meter tief sein. Was viele gar nicht wissen ist, dass das Betriebssystem einstellbar ist. Da macht man sich lieber die Schrift größer und lässt den Bildschirm nach hinten wandern.

Am besten sind LCD-Bildschirme. Sie sind so flach, dass der richtige Abstand gewährleistet ist.

sueddeutsche.de: Brauchen die Augen Pausen?

Windel: Augenübungen wären hervorragend. Wichtig ist es, die Sehdistanz zu verändern und das Auge in die Ferne schweifen zu lassen. Auch richtiges Augenrollen ist gut: Zehnmal mit den Augen in die eine und dann in die andere Richtung rollen. Aber das finden viele ätzend ... Sie können auch mit den Augen ihren Namen in den Himmel schreiben.

Oder Sie reiben die Hände ganz fest aneinander und legen dann die Handflächen wie Schalen auf die Augen. Das ist auch eine schöne Entspannungsübung.

sueddeutsche.de: Gibt's den Mausarm wirklich?

Windel: Ja, der offiziell Begriff ist "RSI", repetitive strain injury. Das heißt, dass Beschwerden im Hand-Arm-System auftreten aufgrund kurzer zyklischer Bewegungen. Es ist ja eine Art von Zwangshaltung, wenn ich den Arm längere Zeit ruhen lassen und nur mit dem Zeigefinger klicke. Der Druck auf die Handgelenke ist dabei relativ groß, das belastet die Nerven und Sehnen. Ungünstig ist es, wenn das noch einhergeht mit einer Schweißbildung oder der Computer womöglich auf einer Glasplatte steht - was übrigens die schlechteste Unterlage überhaupt ist - und es dadurch zu Temperaturschwankungen kommt.

sueddeutsche.de: Was kann ich tun, wenn mir Nacken, Arm oder Augen weh tun?

Windel: Als erstes den Arbeitsplatz überprüfen: Ist das Tisch- und Stuhlsystem richtig? Fällt keine Blendung auf den Bildschirm? Gibt es irgendwelche anderen Faktoren wie zum Beispiel Zugluft? Vielleicht muss ich auch mein Arbeitsverhalten umstellen oder sportlich aktiv werden. Aber wenn die Schmerzen länger als eine Woche dauern, muss man zum Arzt.

sueddeutsche.de: Und welcher Sport darf's sein? Joggen?

Windel: Die Sportart, die einem gut tut, ist die Richtige. Ich würde vielleicht eher etwas empfehlen, was den ganzen Körper beansprucht wie zum Beispiel Yoga, das bietet sich für alle Altersgruppen an. Aber Bewegung ist immer gut.

Man kann im Büro alles richtig machen, wenn man seine Freizeitaktivitäten nicht darauf abstimmt und sich dann abends mit einem Bier aufs Sofa knallt, nützt das wenig.

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