Serie "Arbeiten nach Corona":"Wir wissen das schon seit Jahrzehnten"

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Gerade in der Pflege reicht Applaus von den Balkonen nicht aus: Was muss sich ändern? (Foto: Carsten Thesing/imago images; Bearbeitung SZ)

Warum werden ausgerechnet die am schlechtesten bezahlt, die am meisten für die Gesellschaft leisten? Die Soziologin Friedericke Hardering glaubt nicht, dass sich daran etwas ändern wird.

Interview von Julian Erbersdobler

Friedericke Hardering ist Arbeitssoziologin an der Goethe-Universität in Frankfurt und forscht auch zum Thema Sinn im Job. Ändert sich durch die Krise unser Blick auf bestimmte Berufe?

SZ: Frau Hardering, in den vergangenen Wochen standen Menschen in systemrelevanten Berufen im Fokus. Wäre jetzt nicht auch die Gelegenheit, um über unsinnige Jobs zu sprechen?

Friedericke Hardering: Gibt es wirklich so viele Menschen, die unter Bullshit-Jobs leiden? Nach Zahlen des European Working Conditions Survey sagen fast 80 Prozent der Befragten, dass sie ihre Arbeit als nützlich empfinden. Auch die Daten des DGB-Index Gute Arbeit deuten in die gleiche Richtung. Beschäftigte erleben Teile ihrer Arbeit als sinnlos, manche mögen in Bullshit-Jobs sein, aber viele identifizieren sich auch mit ihrer Arbeit. Und dann ist es ja auch nicht so, als wären alle Beschäftigten ihrem Job ausgeliefert.

Wie meinen Sie das?

Gerade gut bezahlte Hochqualifizierte könnten ja auch kündigen, wenn sie merken, dass sie unglücklich sind. Das viel größere Problem ist, dass manche Menschen in systemrelevanten Berufen arbeiten, sich aber ihre Miete nicht leisten können.

Haben Sie Hoffnung, dass sich daran etwas nach der Krise ändern könnte?

Ich finde, es ist zumindest schon mal ein Anfang, dass wir uns in dieser Zeit mit der Frage auseinandersetzen, wie wir Arbeit bewerten. Welche Jobs sind wichtig? Aber natürlich geht es im nächsten Schritt dann auch um die Bezahlung. Und da bin ich weniger optimistisch.

Wieso?

Es ist kein Geheimnis, dass manche Menschen in systemrelevanten Branchen extrem schlecht bezahlt werden. Wir wissen das schon seit Jahrzehnten. Das hätte man also schon lange ändern können. Hat man aber nicht. Warum ist das so? Schauen wir uns zum Beispiel mal das Gesundheitswesen an. Eine der wichtigsten Maximen der deutschen Politik lautet: Deutschland soll ein starker Wirtschaftsstandort sein. Diesem Interesse wird vieles untergeordnet. Deshalb wird der Gesundheitssektor auch eher vernachlässigt als beispielsweise die Automobilindustrie.

Kommt dazu nicht auch noch das Problem, dass Menschen, die ihren Job als erfüllend empfinden, anfälliger dafür sind, ausgebeutet zu werden?

Ja, auch hierzu gibt es Studien. Auch wenn es erst mal komisch klingen mag, aber es kann gefährlich sein, wenn man sich zu sehr mit seiner Arbeit identifiziert.

Friedericke Hardering hat Politische Wissenschaft studiert und über die Zunahme von Unsicherheiten in der Arbeitswelt promoviert. (Foto: oh)

Weil man sich zu sehr abhängig macht?

Es ist immer gut, verschiedene Sinnquellen im Leben zu haben, Freizeit, Familie, Freunde, Sport, Job. Manchen fehlt dieses Gleichgewicht. Gerade in der Pflege gibt es hohe Burnout-Raten. Ihre Arbeit ist den Beschäftigten sehr wichtig und gleichzeitig sind die Rahmenbedingungen schlecht. Das kann gefährlich werden, körperlich, aber auch mental. Der Ethnologe David Graeber geht sogar davon aus, dass manche Tätigkeiten besonders schlecht bezahlt werden, weil man weiß, dass man immer jemanden findet, der den Job aus einer gesellschaftlichen Verantwortung heraus machen wird. Im Zweifel sogar, ohne dafür Geld zu bekommen.

Am Donnerstag, 9. Juli, lesen Sie: Sind Frauen die Verliererinnen der Krise? Alle Folgen der Serie gibt es online unter: SZ.de/arbeitennachcorona.

© SZ vom 07.07.2020/jerb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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