Arbeiten mit Handicap:Verhindern Werkstätten für Behinderte die Inklusion?

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Beeinträchtigte Arbeiter in einer Werkstatt des Selbsthilfevereins Lebenshilfe (Foto: Florian Peljak)

Sie wollen ihre produktivsten Mitarbeiter nicht an den ersten Arbeitsmarkt verlieren. Selten gelingt der Übergang auf eine reguläre Stelle.

Von Miriam Hoffmeyer

Die Männer sind ein gut eingespieltes Team: Uwe Pautsch harkt das alte Stroh zusammen, Willi Metzler schaufelt es in den Schubkarren. "Vorsicht", ruft Wolfgang Detterer und zieht die Auffahrrampen des Anhängers aus, der zwischen Pony- und Wildschweingehege geparkt ist. Dann balanciert er den Schubkarren hoch zur Ladefläche. Kindergartenkinder winken den Arbeitern zu, später kommt ein Tierpfleger zur gemeinsamen Zigarettenpause vorbei. Gegen Mittag ist die Gruppe mit den Gehegen der Ziegen, Rinder, Zebras und Dromedare im Wildpark Schwarzach fertig.

Detterer, Metzler und Pautsch sind bei den Werkstätten der Johannes-Diakonie Mosbach beschäftigt. Früher haben sie Metall bearbeitet oder Pulver beschichtet und hatten während der Arbeitszeit keinen Kontakt zur Außenwelt. Jetzt sind sie mit der 13-köpfigen Dienstleistungsgruppe der Werkstätten jeden Tag unterwegs: Außer dem Wildpark pflegen sie öffentliche Grünanlagen, Gärten und Friedhöfe, im Herbst kommen die Streuobstbesitzer der Region zu ihrer mobilen Apfelkelter.

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Alle Arbeiter der Gruppe haben leichte geistige Behinderungen, einige auch psychische Probleme. Ihnen gefällt die viele Abwechslung und wohl auch die selbstverständliche Zugehörigkeit zum Alltag der Kommunen, in denen sie arbeiten. "In der Pulverbeschichtung hatte ich oft so eine innere Unruhe", sagt Uwe Pautsch, ein bärtiger Mann in den Vierzigern. "Hier draußen ist es viel besser. Am Abend falle ich so richtig schön ins Bett."

Günter Sporer begleitet die Dienstleistungsgruppe seit ihrer Gründung vor neun Jahren zu allen Einsätzen. "Die Idee war, Arbeitsplätze außerhalb der Werkstätten zu schaffen", sagt der gelernte Gärtner und Heilerziehungspfleger. Die Inklusion behinderter Menschen auch in die Arbeitswelt ist seit der Ratifizierung der Uno-Behindertenrechtskonvention offizielles Ziel der Politik. Die Frage ist, wie die Existenz der Behindertenwerkstätten damit zu vereinbaren ist, in denen bundesweit ungefähr 300 000 Menschen arbeiten.

Drei Viertel der Werkstattbeschäftigten haben geistige, 21 Prozent psychische, die übrigen Sinneseinschränkungen. Aus historischen Gründen wohnen und arbeiten oft mehrere Hundert behinderte Menschen an einem Ort. Die Johannes-Diakonie ist mit etwa 2200 Werkstatt- und Tagesbetreuungsplätzen die größte Einrichtung dieser Art in Baden-Württemberg. Im strukturschwachen Odenwald alle Werkstattbeschäftigten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unterzubringen, erscheint praktisch unmöglich.

Schnittstelle mit regulärem Arbeitsmarkt ist klein

Viele Werkstätten versuchen heute, sich stärker nach außen zu öffnen: mit Dienstleistungsgruppen wie in Mosbach oder durch Kooperationen mit Unternehmen oder Berufsschulen. "Die Werkstatt als Gebäude tritt in den Hintergrund, Leistungen werden immer häufiger ortsunabhängig erbracht", sagt Kathrin Völker, die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen. Außenarbeitsplätze von Werkstattbeschäftigten in Unternehmen förderten die Inklusion und könnten "im Idealfall" zu einer Übernahme führen.

Diese Form der Leiharbeit steht allerdings in der Kritik: zum einen als Ausbeutung, weil Werkstattbeschäftigte als "Rehabilitanden" nur ein Taschengeld erhalten. Zum anderen, weil nur jedem hundertsten der Sprung auf eine reguläre Stelle gelingt. Wer erst einmal in einer Behindertenwerkstatt angefangen hat, bleibt normalerweise sein Leben lang dort.

Johannes Köhn ist Geschäftsführer der Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen (LAG Hamburg). "Die Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt stärker zu unterstützen, ist für die Werkstätten gar nicht attraktiv", sagt er. "Dadurch verlieren sie ja ihre besten Mitarbeiter und schaffen ihre Stückzahlen nicht mehr. So wie die Werkstätten heute aufgestellt sind, fördern sie sicher nicht den Auftrag der Behindertenrechtskonvention."

Es gibt verschiedene Ansätze, um Menschen mit Behinderungen besser in die Arbeitswelt zu integrieren. In staatlich geförderten Integrationsunternehmen muss der Anteil der Schwerbehinderten zwischen 25 und 50 Prozent liegen. Derzeit sind ungefähr 11 000 Menschen mit Behinderungen in solchen Firmen angestellt. Sie erhalten Tarif- oder Mindestlohn, können allerdings - anders als in den Werkstätten - auch abgemahnt und gekündigt werden.

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Martin Klein, Professor für Sozialwesen an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, hält das Modell für sehr erfolgreich. Ein Problem sei allerdings, dass die Förderung von Integrationsunternehmen von den Einnahmen abhängt, die die Bundesländer aus der Ausgleichsabgabe erhalten - also dem Geld, mit dem sich Unternehmen von der Verpflichtung loskaufen, die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Mitarbeiter zu beschäftigen. In einigen Bundesländern sind diese Einnahmen nur gering. "Wenn Inklusion wirklich ernst genommen würde, müsste nach neuen Möglichkeiten gesucht werden, mehr Integrationsunternehmen zu fördern", sagt Klein.

Neue Wege aus der Werkstatt soll das individuelle "Budget für Arbeit" nach dem Bundesteilhabegesetz öffnen, das vom kommenden Jahr an jedem Werkstattbeschäftigten in Deutschland zusteht. Es ermöglicht dauerhafte hohe Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche die geringere Arbeitsleistung ausgleichen sollen. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, kann auf seine alte Stelle in der Werkstatt zurückkehren.

Großbritannien hat Behindertenwerkstätten abgeschafft

In acht Bundesländern wird das Budget für Arbeit schon erprobt. Dass Behindertenwerkstätten schon bald überflüssig werden, hält Martin Klein allerdings für ausgeschlossen. "Die Inklusionsidee ist grundsätzlich richtig. Aber aufgrund der Erfahrungen, wie Inklusion bislang in den Schulen umgesetzt wurde, ist die Sorge berechtigt, dass das letztlich zu organisierter Verantwortungslosigkeit führt", warnt der Professor.

Auch Johannes Köhn von der LAG Hamburg ist gegen Forderungen nach einer radikalen Abschaffung der Werkstätten. Die möglichen Folgen lassen sich in Großbritannien besichtigen: 2013 wurden dort der Inklusion zuliebe die letzten Behindertenwerkstätten geschlossen. Heute ist die Hälfte der früheren Beschäftigten arbeitslos.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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