Süddeutsche Zeitung

Arbeiten in Schweden:Sechs Stunden sind genug

In einem schwedischen Altenheim testen die Mitarbeiterinnen, ob auch eine kürzere Arbeitszeit reicht.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Seit ihre Mitarbeiter zwei Stunden früher am Tag nach Hause gehen, kommt Ann-Charlotte Dahlbom Larsson kaum noch hinterher. Nicht, weil wegen der kürzeren Arbeitszeiten so viel liegen bleibt. Sondern weil es offenbar die ganze Welt interessiert, wenn 82 schwedische Krankenschwestern mit dem Sechs-Stunden-Tag experimentieren. Wer mit Ann-Charlotte Dahlbom Larsson sprechen möchte, einer der Leiterinnen des Svartedalens-Altenheim in Göteborg, braucht Geduld. Eben erst haben sich wieder zwei Fernsehteams angemeldet. Es riefen auch Kollegen aus schwedischen Städten an, "unser Projekt hat etwas ausgelöst".

Zwei Jahre Zeit für das Experiment

Dabei ist es zunächst nur ein Experiment, eine Idee der Linkspartei, für die der Stadtrat vergangenes Jahr gestimmt hat. Seit Anfang Februar arbeiten Pfleger und Pflegerinnen im Svartedalens-Heim nun noch sechs Stunden täglich, bei vollem Lohn. 14 neue Mitarbeiter musste die Stadt dafür einstellen und etwa acht Millionen Kronen, 860 000 Euro, ausgeben. Bis Ende 2016 soll das Projekt dauern. Dann soll es sich zeigen, ob sich die Mitarbeiter weniger krank melden, wenn sie weniger arbeiten, was sich dadurch vielleicht einsparen ließe und wie sich die Heimbewohner bei alledem fühlen.

Ergebnisse gibt es noch nicht. Bisher berichteten alle Pflegerinnen, dass sie mehr Energie hätten, entspannter seien, mehr Schlaf bekämen und Dinge täten, zu denen früher keine Zeit war. "Kochen zum Beispiel", sagt Berater Bengt Lorentzon, der das Projekt für die Stadt auswertet. Dahlbom Larsson ist auch zufrieden. "Früher sind die Mitarbeiter müde zur Arbeit gekommen und müde nach Hause gegangen."

Wer erschöpft sei, habe weniger Geduld, und die ist im Umgang mit Senioren besonders wichtig. Auch Krankmeldungen seien diesen Sommer bereits zurückgegangen. "Ich glaube, das liegt an den sechs Stunden", sagt Dahlbom Larsson. Oder besser gesagt, an den umgerechnet 30 Stunden pro Woche, denn die einzelnen Schichten sind immer noch unterschiedlich lang.

In Schweden ist die Sechs-Stunden-Idee nicht neu. Die Bergbau-Stadt Kiruna in Nordschweden hat ihrem Pflegepersonal von 1989 an kürzere Arbeitszeiten gegönnt. 2005 entschied sich die Stadt zu spät dazu, Kosten und Nutzen auszuwerten. Weil man keine Vergleichsdaten gesammelte hatte, war ein eindeutiges Fazit unmöglich. Die Stadt beschloss nach 16 Jahren, die Tage aus Kostengründen wieder zu verlängern.

Kurze Arbeitszeiten als Anreiz

Der Job als Pfleger hat auch in Schweden nicht den besten Ruf. Viele halten es für harte Arbeit, "hart für Körper und Geist", sagt Heimleiterin Dahlbom Larsson. Kürzere Arbeitszeiten könnten mehr Menschen in den Beruf locken, hofft sie.

An der Göteborger Uni-Klinik hat das geklappt. Dort fand man nicht genug Krankenschwestern, die bei den anstrengenden, orthopädischen Operationen assistieren wollten. Als die Leiterin der Abteilung die Arbeitszeit für diese OP-Schwestern um zwei Stunden täglich kürzte, hatte sie wieder genug Interessenten. Auch die Stadt Stockholm hat schon mit dem Sechs-Stunden-Tag experimentiert.

Birgitta Olsson war vor 20 Jahren die Forschungsleiterin des Stockholmer Projektes, bei dem Mitarbeiter aus verschiedenen Gruppen, die Senioren, Kinder oder geistig Behinderte betreuten, früher nach Hause gehen durften. Olssons Forscherteam stellte dieselben Fragen wie die Forscher in Göteborg. "Die Mitarbeiter fühlten, dass sich ihr Sozialleben verbesserte, sie besser schlafen und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen konnten", sagt Olsson. Im Job waren sie entspannter. Ein kürzerer Arbeitstag bedeute nicht, dass man schneller arbeiten müsse, sondern besser organisieren. Anfang der Neunzigerjahre schrieb Olsson ihre Doktorarbeit über ein Krankenhaus in Södertälje, südlich von Stockholm. Dort haben sich Früh- und Spätschicht mitten am Tag für vier Stunden überlappt - ausgerechnet zu der Zeit, in der viele Patienten Mittagsschlaf machten. Das Krankenhaus kürzte daraufhin die Schichten um je eine Stunde.

Das erfolgreichste Beispiel: Eine Toyota-Werkstatt

Im Stockholm-Projekt entschied jedes Team selbst, wie es sich umorganisieren wollte. Am Ende musste im Schnitt nur jede zweite Stunde, die das Stammpersonal weniger arbeitete, durch zusätzliche Hilfen ersetzt werden. "Das war leider immer noch nicht Beweis genug für den konservativen Stadtrat", sagt Olsson. Der stellte das Projekt nach zwei Jahren wieder ein.

Das erfolgreichste schwedische Beispiel für den Sechs-Stunden-Tag stammt nicht von Politikern . Eine Toyota-Werkstatt in Göteborg hat ihn vor 13 Jahren für ihre Mechaniker eingeführt. Sie arbeiten in zwei Schichten, von sechs Uhr morgens bis mittags, von mittags bis sechs Uhr abends. So ist die Werkstatt zwölf Stunden lang geöffnet, früher waren es nur acht. Damals mussten die Kunden drei bis vier Wochen auf einen Termin warten, erinnert sich Martin Banck, der die Idee hatte. Das neue Schichtsystem ist günstiger, die Mitarbeiter freuen sich über die geschenkte Zeit. "Sie sind viel effizienter geworden", so Banck. Im ersten Jahr sei der Profit um 25 Prozent gestiegen.

Ein Altenheim lässt sich nur schwer mit einer Autowerkstatt vergleichen. "In der Industrie kann man die Produktivität messen, wir können das nicht", sagt Berater Lorentzon. Ob sich ein Sechs-Stunden-Tag für Göteborg rechnet, wird am Ende nur schwer herauszufinden sein. Wenn die Mitarbeiter weniger krank werden und später in Rente gehen, profitiert das Land mehr als die Stadt.

Am Ende entscheiden die Politiker

Am Ende kommt es in Göteborg, wie in Kiruna und Stockholm, auf die Politiker an. Die konservativen Moderaten waren von Anfang an dagegen, allen voran Stadtratsmitglied Maria Rydén. Sie hält das Experiment für eine "schreckliche Idee", andere Probleme sei viel drängender, es gebe nicht genug Heime, nicht genug Betten, nicht gut Personal. "Auf keinen Fall kann Göteborg sich das leisten", sagt sie über den Sechs-Stunden-Tag. "Es kostet Geld, da müssen wir ehrlich sein", räumt Daniel Bernmar von den Linken ein. Jahrelang sei es der konservativen Regierung nur darum gegangen, mehr anstatt besser zu arbeiten. Bernmar weiß, die Arbeitszeitreform ist "unmöglich, für eine Kommune allein." Die Ergebnisse müssen daher mehr Menschen überzeugen, als den Göteborger Stadtrat. Sonst wird es wieder nur ein Experiment bleiben.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2015/chwa
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