Arbeiten in Russland:Der Mann, der in der Kälte kocht

Wenn russischen Firmen die Experten fehlen, locken sie mit viel Geld.

Christine Demmer

(SZ vom 26.7.2003) Diesen Frühsommer wird Holger Lang so schnell nicht vergessen: Ein Staatsbesuch jagte den nächsten, Fotografen und Journalisten, wo man auch hinsah. Haufenweise Touristen bei der 300-Jahr-Feier in Sankt Petersburg. Und alle, alle wollten natürlich gut essen. Da hatte der deutsche Koch im Grand Hotel Europe beide Hände voll zu tun. "Arbeitstage mit vierzehn oder mehr Stunden sind auch zu jubiläumsfreien Zeiten keine Seltenheit", sagt er. Und wenn Großereignisse anstehen, wird es noch später.

Holger Lang

Holger Lang möchte nicht nach Deutschland zurück

(Foto: Foto: SZ)

Mit seinen 36 Jahren steht Lang als Executive Sous Chef (stellvertretender Küchenchef) an der Spitze einer Brigade von 70 Köchen und 30 Lehrlingen. Im Schichtbetrieb versorgen sie die sieben Restaurants und Bars des Luxushotels und bieten internationale und russische, kantonesische und mediterrane Gaumengenüsse. "Ich unterstütze den Küchenchef to manage den Küchenablauf, mache die Bestellungen, die Menü-Planung und habe noch ein paar andere functions", beschreibt er seine Tätigkeiten in jener Sprachmischung aus Englisch und Deutsch, die langjährigen Ex-Patriates eigentümlich ist.

Lang arbeitet seit 1993 außerhalb von Deutschland. "Mir gefällt dieses Leben", sagt er. "Man muss zwar auf einiges verzichten, zum Beispiel auf Familie, aber es hat auch sein Gutes. Man lernt viele Leute kennen, andere Kulturen und Sprachen." Der Küchenchef spricht Englisch und Portugiesisch, Spanisch und Russisch. "Die basics", sagt er bescheiden.

Dass Holger Lang in Russland gelandet ist, hält er eher für einen Zufall. "Ich habe vorher 18 Monate in Saudi-Arabien gearbeitet. Da hörte ich über einen meiner Headhunter von diesem Job hier, und weil mein Chef und ich uns schon aus Jeddah kennen, bin ich nach St. Petersburg gegangen." In der Branche läuft ziemlich viel über connections, wie Lang es ausdrückt. Seine Bewerbungsunterlagen liegen gleich bei drei auf Gastronomie spezialisierten Headhuntern in London, Toronto und München, und von Zeit zu Zeit flattert eine Anfrage auf seinen Tisch.

Jetzt arbeitet der Deutsche schon fast ein Jahr lang in der Nobelherberge am Newski Prospekt. Nicht nur in den Temperaturen unterscheidet sich diese Station von der vorangegangenen in Saudi-Arabien. "St. Petersburg ist eine prachtvolle Stadt und die Menschen sind sehr zugänglich", sagt Lang. "Das Leben hier ist viel lockerer als in Deutschland." Besonders attraktiv für Singles sei das Szeneleben: "Diese Stadt schläft nachts höchstens zwei Stunden."

Wenn der Rubel rollt

Das mag man sich von Saudi-Arabien nicht ganz so vorstellen. In Jeddah war Lang, auch als Sous-Chef, für Qualitäts- und Kostenkontrolle verantwortlich, außerdem für Training und Motivation der Küchenmannschaft sowie für die Bewirtung eines angegliederten Themenparks mit einer food capacity von bis zu 2000 Gästen. Man stelle sich vor: 2000 Amuse gueules. 2000 Hors d'Œuvres. 2000 Consommés. 2000 Zwischengerichte. 2000 Hauptgerichte. 2000 Avant-desserts. 2000 Nachspeisen. 2000 mal gleichbleibend perfekte Qualität à la minute. Das setzt ein funktionierendes Team und eine generalstabsmäßige Planung voraus.

Holger Lang hat seinen Beruf von der Pike auf gelernt. Kochausbildung, Aufstieg zum Commis de Cuisine, vier Stationen als Chef de Partie in verschiedenen Restaurants in Deutschland, danach in die Schweiz, das immer noch gelobte Land der Speisemeister. Meist blieb er nur für eine Saison, wie es branchenüblich ist. Doch in Portugal brach Lang seinen Rekord: Er verbrachte dreieinhalb Jahre an der Algarve. Dort stand unter anderem die ISO 9001-Zertifizierung für schlanke und effiziente Küchenmanagement-Strukturen an. Zwischendurch legte er in Deutschland seine Küchenmeisterprüfung ab. Sie gilt als Sprungbrett für eine internationale Karriere.

"Nach Deutschland zurück möchte ich nicht", versichert der Globetrotter. Es zieht ihn zurück an die Algarve, in seine Wahlheimat. Irgendwann einmal will er sich in Portugal niederlassen, ein Haus kaufen, vielleicht ein Restaurant eröffnen oder ein Hotel. Dafür braucht er allerdings Startkapital. Auch deshalb arbeitet er gerne im Ausland. "Ich verdiene hier in Russland mehr als das Doppelte von dem, was man mir in Deutschland bieten würde", erzählt er völlig frei von der typisch deutschen Geheimniskrämerei. Wenn der Rubel so rollt, kann man schon einiges für die Erfüllung seines Lebenstraums zurücklegen.

Ausreichend sozialversichert ist der Koch über das Hotel, die Verpflegung wird - wen wundert's - gestellt. Russland als Arbeits- und Lebensort gehört nicht eben für viele Deutsche zu den heiß begehrten Plätzen der Welt. Genau deshalb locken russische Arbeitgeber, die unbedingt einen ausländischen Spezialisten brauchen, mit vergleichsweise hohen Einkommen. Besonders knapp sind in westlicher Technologie und Design erfahrene Ingenieure sowie mehrsprachige und serviceorientierte Fachkräfte für die Spitzengastronomie und den Tourismus.

Internationale Berufserfahrung und exzellentes Englisch sind Pflicht, aber nicht unbedingt Russisch - wenngleich die Kenntnis der Landessprache natürlich die Integration erheblich erleichtert. In den Metropolen Sankt Petersburg und Moskau siedeln zahlreiche westliche Unternehmen, gegen Osten hin wird's allerdings erheblich dünner. Bis zum nächsten Prunk-Jubiläum wird sich das freilich mit Sicherheit geändert haben. Wladiwostock sei stark im Kommen, wird gemunkelt.

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