Süddeutsche Zeitung

Arbeiten in der Schweiz:"Ein besseres Pflaster gibt es nicht"

Die Schweiz ist das beliebteste Auswanderungsland für Deutsche - mit gutem Grund.

Judith Raupp

Hannes Florian Räth ist Banker, ein richtiger Banker. Er sagt das von sich mit einem Unterton, als würde ihm seine Karriere selbst ein wenig unheimlich sein. Er, der ehemalige Russisch-Student hätte sich das jedenfalls nie träumen lassen. Nun sitzt der 33-jährige Schwabe im Konferenzraum der Großbank UBS am Paradeplatz in Zürich und schwärmt von tollen Aufstiegschancen. "Zürich ist mit New York und London einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt. Ein besseres Pflaster für Banker gibt es nicht."

Das mag wohl stimmen. In der kleinen Schweiz existieren 2500 Banken. Sie beschäftigen 115.628 Mitarbeiter, und viele Finanzinstitute sind immer noch auf Personalsuche. Die beiden Marktführer UBS und Credit Suisse melden für die Schweiz zusammen 1300 offene Stellen. Manchmal spielt ihnen der Zufall die gesuchten Fachkräfte in die Hände. Räth zum Beispiel hatte gerade bei der UBS in Deutschland angefangen, als er beiläufig einem Kollegen erzählte, dass er neben Deutsch und Geschichte auch Russisch studiert habe und diese komplizierte Sprache fließend beherrsche. Es dauerte nicht lange, bis der Anruf aus der Züricher Zentrale kam. Die UBS brauchte dringend jemanden, der die Kunden in Osteuropa betreute. Einer, der Russisch sprach, kam da gerade recht. Und Räth hatte mittlerweile betriebswirtschaftliche Fortbildungen besucht und zuvor schon bei einer Versicherung und einer deutschen Bank gearbeitet.

Fast drei Jahre ist es her, seit Räth nach Zürich wechselte. Inzwischen ist er zum Teamleiter aufgestiegen. Mit seinen Mitarbeitern spricht er wahlweise Englisch, Russisch oder Deutsch, wobei das mit dem Deutschen so eine Sache ist. "Obwohl ich aus Süddeutschland komme, hat mich der sprachliche Unterschied sehr überrascht", erzählt Räth. Den Dialekt in Zürich hat er zwar bald verstanden. Statt Fahrrad sagt er selbst schon Velo. Wenn aber Leute aus der Gegend von Bern oder aus dem Wallis mit ihm sprechen, kommt ihm das immer noch wie eine unverständliche Fremdsprache vor.

An seinem Arbeitsplatz in der Schweiz ist Räth sehr schnell aufgefallen, wie höflich alle miteinander umgehen. Der Mann mit dem Dreitagebart und dem dezent gestreiften Anzug findet, es gehe sogar richtig familiär zu. Hierarchien spielen eine viel geringere Rolle, als er es von Deutschland kennt. "Hier duzen sich alle sehr schnell. Das macht vieles einfacher", sagt er. Dass Schweizer überkorrekt und penibel seien, hält er längst für ein typisches Vorurteil der Deutschen gegenüber ihren südlichen Nachbarn.

Ziemlich unkompliziert lief auch die Suche nach der Wohnung. Räth hat einfach auf das schwarze Brett im Intranet der UBS geschaut. Und schon hat es geklappt. Er hätte fürs Erste auch in das bankeneigene Wohnheim ziehen können. Aber spätestens, als seine Frau aus Deutschland nachkam und sich der erste Nachwuchs ankündigte, wollte Räth ein richtiges Zuhause.

Heimisch fühlt sich die junge Familie auf alle Fälle in der Schweiz. "Zürich ist eine tolle Stadt. Der See, die nahen Berge und das kulturelle Angebot sind phantastisch", erzählt der Banker. Und sollte doch mal Heimweh aufkommen, sind es nicht einmal drei Stunden bis zu den Verwandten und Freunden in Tübingen.

In Zürich bezahlt Räth für die Miete und den Lebensunterhalt deutlich mehr als in seiner schwäbischen Heimat. Allerdings verdient er auch gut. Dass er fünf Tage weniger Urlaub hat als in Deutschland und die Arbeitswoche 42 Stunden zählt, stört den Wahlschweizer nicht. "Ab einer gewissen Stufe im Beruf arbeitet man sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz mehr als die Stunden, die im Vertrag stehen", sagt er.

Die Aufenthaltsbewilligung hat die UBS für Räth besorgt. Mittlerweile geht das problemlos, obwohl die Schweiz nicht in der Europäischen Union ist. Bis vor zwei Jahren durften Schweizer Unternehmen nur dann Ausländer einstellen, wenn sie für die Stelle keinen Schweizer oder keine Schweizerin mit entsprechender Qualifikation fanden. Seit diese Barriere gefallen ist, ziehen immer mehr Deutsche in das Alpenland, 14.409 waren es allein im vergangenen Jahr. Damit hat die Schweiz die USA als beliebtestes Auswanderungsland abgelöst. In die USA siedelten nur 13.569 Deutsche um. In Zürich stellen die Deutschen mittlerweile die größte Gruppe der Ausländer.

In den Fängen der Bürokratie

Auch Sascha Schneider ist einer von ihnen. Er ist vor eineinhalb Jahren von München in die Stadt an der Limmat gezogen, um an der Hochschule für Gestaltung und Kunst zu studieren. Der angehende Designer suchte ein berufsbegleitendes Studium, weil er seinen heimischen Ein-Mann-Betrieb für Mediengestaltung nicht aufgeben wollte. "In Deutschland habe ich nur Hochschulen gefunden, die Vollzeitstudien anboten", sagt Schneider.

Er hat sich das Ganze allerdings etwas einfacher vorgestellt. Schneider wollte neben seiner Firma in München auch in der Schweiz einen Unternehmenssitz eintragen lassen. Irgendwann hat er sich in der Bürokratie zwischen Deutschland und der Schweiz derart verheddert, dass er aufgegeben hat. "Ich habe mich bei den Schweizer Behörden einfach nicht mehr gemeldet", erzählt der Jungunternehmer. Deshalb will er seinen richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Nun ist er mit einer offiziellen Aufenthaltsbewilligung als Student in der Schweiz und arbeitet nebenher freiberuflich als Mediengestalter.

Um die Aufenthaltsbewilligung musste sich Schneider selbst kümmern. Aber mit der Bestätigung über den Platz an der Hochschule ging das reibungslos. Nach dem Studium würde er gern in der Schweiz bleiben. Denn auch Schneider gefällt der liebenswürdige Umgangston - und er rechnet sich bessere Berufschancen aus als in Deutschland. Seit die Schweiz und die Europäische Union ihre Grenzen für Arbeitswillige geöffnet haben, können EU-Bürger mit Sonderbewilligungen bis zu einem Jahr als Jobsucher in der Schweiz leben. Wer dann aber noch keine Arbeit gefunden oder ein eigenes Unternehmen gegründet hat, muss wieder ausreisen.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2006
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