Arbeiten in der Krise:Geschwätz von gestern

Größerer Dienstwagen gefällig? Massage in der Mittagspause, Kita-Platz fürs Kind? Vor der Krise haben Firmen alles getan, um Mitarbeiter bei Laune zu halten. Was von den Versprechungen noch übrig ist.

Jutta Göricke

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schlechter Chef, iStock

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Ein größerer Dienstwagen gefällig? Eine entspannende Nackenmassage in der Mittagspause? Oder ein Platz für den Sprössling im betriebseigenen Kindergarten? Vor nicht allzu langer Zeit haben die Unternehmen alles gegeben, um ihre Fach- und Führungskräfte bei Laune zu halten. Das war vor der Krise. Damals waren Personalchefs bestrebt, ihren "Human Resources" Gutes zu tun, aufs Betriebsklima zu achten, Zugeständnisse bei der Gestaltung von Arbeits- und Privatleben zu machen. Was aber ist von der Harmonie geblieben, jetzt, wo die Controller wieder das Sagen haben?

Früher fiel ein schlechter Chef nicht so auf

3,41 Millionen Menschen waren laut Bundesagentur für Arbeit (BA) im Juni arbeitslos, acht Prozent mehr als im Vorjahr. Das macht Angst, auch den Mitarbeitern, die der ersten Kündigungswelle entkommen sind. Und wo Angst herrscht, geht die Motivation flöten. Die Führungskräfte wissen das. Nach einer Studie der Personalmanagement-Beratung Hewitt Associates sind 31 Prozent der Firmen in Zentral- und Osteuropa sich darüber im Klaren, dass die Leistungsbereitschaft aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage sinkt. Die Studie zeigt aber auch deutliche Defizite der Chefs, die zur Demotivation beitragen. Dabei ist eine unmotivierte Belegschaft das, was ein Unternehmen in Krisenzeiten am wenigsten brauchen kann.

Am Sigmund-Freud-Institut der Universität Frankfurt hat man herausgefunden, dass Führungskräfte sich in "Anpassungsprozessen primär als hart drängende Change-Agents" verstehen, die den ökonomischen Druck nach unten weitergäben und ihre Mitarbeiter mit den Folgen weitgehend alleinlassen. Die Beschäftigten beklagen, dass ihre Chefs oft die nötigen Führungskompetenzen nicht mitbringen, um den Wandel erträglich zu machen. "Führungskräfte scheinen in vielen Bereichen selber überfordert", sagt die Sozialpsychologin Bettina Daser.

Laut Hewitt-Studie versäumen die Chefs es, ihre Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse einzubinden oder ausreichend zu informieren. 19 Prozent empfänden keine Wertschätzung seitens des Arbeitgebers. Lediglich 46 Prozent fühlten sich gut über Veränderungen informiert, und nur 45 Prozent fühlten sich aus der Führungsetage heraus offen und ausreichend über die Zukunftsaussichten des Unternehmens unterrichtet. Dabei wird schon drohende Arbeitslosigkeit oft als extrem unangenehm erlebt. Gerade die Unsicherheit, nicht zu wissen, wie es weitergeht, sei belastend, sagt Nathalie Galais, Wirtschaftspsychologin an der Universität Erlangen-Nürnberg. Beteuerungen der Unternehmensführung, die Arbeitsplätze seien sicher, werde dann oft kein Glauben geschenkt.

Die Wahrheit ist: Diese Glaubenskrise, verursacht durch schlechtes Personalmanagement, währt schon länger als die Wirtschaftskrise. Das fiel in besseren Zeiten nur nicht weiter auf. In vielen Unternehmen sind die Mitarbeiter seit Jahren immer neuen Restrukturierungen ausgesetzt. Das Problem dabei: Veränderungsprozesse werden oft abgebrochen und durch neue ersetzt, ohne dass man die Ergebnisse der alten abwarte, sagt Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut. Diese Überlagerung sei nicht zuletzt eine Folge eines simplen Mechanismus: Wer über Veränderungsideen verfüge, steige auf und müsse seinen Aufstieg mit neuen Veränderungsideen rechtfertigen. "Können sich die Beschäftigten dem Innovationstempo nicht so schnell anpassen, neigen sie dazu, lediglich die Rhetorik zu wechseln, um sich selbst zu schützen", sagt Haubl. Schlimmstenfalls führt ein chaotisches Change-Management in die innere Kündigung - und bei den Topleuten zu Firmenhopping.

Fazit: Mit der Mitarbeitermotivation stimmte es schon vor der Krise nicht so richtig. Jetzt ist sie ganz im Keller.

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Früher sollten Mitarbeiter sich wohlfühlen

Belohnungsreisen fürs Backoffice, ein mobiles Massagekommando für die Mittagspause: Man hat von allerlei Bepamperungsmaßnahmen gehört damals, in besseren Zeiten. Auch von einigen substanziellen Versuchen, etwa Arbeit und Familienleben vereinbarer zu machen, was dem erklärten Wunsch der besonders begehrten Uniabsolventen entspricht: Laut Hochschul-Informations-System in Hannover ist es Berufseinsteigern heute weniger wichtig, ehrgeizige berufliche Ziele zu erreichen und viel Geld zu verdienen als für Familie und Partner da zu sein.

Wieviel ist das Humankapital den Unternehmen jetzt noch wert? Niemand wird den betriebseigenen Kindergarten schließen. Allerdings werden wohl kaum noch Mitarbeiter zum fröhlichen Teambuilding durch den Gebirgsbach gejagt - der Verband Deutsches Reisemanagement beklagt eklatante Einbrüche bei den Geschäftsreisen. Sonst aber tun die Unternehmen erstaunlich viel, um ihre Mitarbeiter zwar nicht unbedingt bei Laune, aber wenigstens in Lohn und Brot zu halten. Sie haben aus den Fehlern der letzten Krise gelernt, als sie gutes Personal auf die Straße gesetzt haben und, als es wieder aufwärts ging, ohne Spezialisten dastanden. "Die Unternehmen nutzen in bisher nicht gekanntem Ausmaß interne Strategien, um den Personaleinsatz der verschlechterten Auftragslage anzupassen", sagt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Statt zu entlassen, werde die Auslastung der Beschäftigten verringert - vor allem durch Kurzarbeit, Senken der wöchentlichen Arbeitszeit, Abbau von Überstunden und eine Reduzierung der Guthaben auf den Arbeitszeitkonten.

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Fachkräftemangel, dpa

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Früher herrschte Fachkräftemangel

Gestern herrschte Fachkräftemangel. Heute auch. Trotz Flaute haben Unternehmen nach wie vor Schwierigkeiten, qualifizierte Bewerber für offene Stellen zu finden. Begehrt sind vor allem, wen wundert's, Ingenieure und IT-Spezialisten. Laut Arbeitsmarktreport der Stuttgarter Dekra-Akademie, einem Weiterbildungsunternehmen, sind derzeit Maschinen- und Fahrzeugbauer sowie Elektrotechniker am begehrtesten. Und nicht nur Akademiker haben hier gute Chancen. Wer eine Ausbildung als Elektroniker mitbringt, ist auch sehr willkommen.

Der hohe Bedarf an Ingenieuren hat laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln dazu geführt, dass Ältere sich kaum Sorgen um Jobs machen müssen: Waren 1999 noch etwa 42.000 Ingenieure über 50 arbeitslos, so sank diese Zahl dem IW zufolge bis 2008 auf 8900 - ein Rückgang um 80 Prozent. Nicht unter die "Top Ten" der gesuchten Technikberufler schaffen es laut Dekra-Report die Bauingenieure und Architekten. Bemerkenswert ist aber, dass hier die Zahl der offenen Stellen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als ein Drittel gestiegen ist.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg meldet den zweithöchsten Bedarf, gleich nach den Ingenieuren, im sozialen Bereich. Gesucht werden Sozialpädagogen, Erzieher sowie Alten- und Krankenpfleger. Auf ganz Deutschland hochgerechnet erwarteten 63.000 Arbeitgeber in den kommenden drei Jahren einen steigenden Bedarf in den sozialen Berufen.

Auch Vertriebler dürften wenig Probleme bei der Stellensuche haben. Neben Call Center Agents fänden sich laut Dekra-Report Kundenbetreuer nach wie vor unter den am häufigsten gesuchten Fachkräften.In fast allen Berufen des serviceorientierten Gastgewerbes habe sich die Zahl der Stellenangebote gegenüber dem Vorjahr erhöht. Spitzenreiter seien Kellner und Restaurantfachkräfte.

Folgt man der Workplace Survey, für die der Personaldienstleister Robert Half mehr als 6000 Personal- und Finanzmanager in 20 Ländern befragt hat, werden auch Spezialisten für das Finanz- und Rechnungswesen dringend gebraucht. Besonders dem deutschen Arbeitsmarkt mangele es an Finanzfachleuten.

Bei 12,6 Prozent der offenen Stellen wird laut Dekra-Bericht erwartet, dass man Führungsverantwortung übernimmt. Peter Littig, Dekra-Direktor für Bildungspolitik, resümiert: "Dass die absolute Anzahl der Stellenangebote gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen ist, überrascht nicht. Im Umkehrschluss von einer Entspannung am Fachkräftemarkt zu reden, wäre jedoch falsch."

Wohin das führt, zeigt eine Untersuchung des Bundesbildungsministeriums: In Deutschland, das 2007 in Sachen Innovationskraft den Anschluss an die europäischen Spitzennationen verloren habe, sei der Mangel an Hochqualifizierten, insbesondere an Naturwissenschaftlern und Ingenieuren so gravierend, dass er das Wirtschaftswachstum bremse. Foto: dpa

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Früher sollten Arbeitnehmer lebenslang lernen

Wer nichts dazulernt, wird abgehängt. Deshalb sind Weiterbildungsangebote im Unternehmen gerade für Hochqualifizierte ein wichtiges Kriterium, wenn sie sich für einen neuen Job entscheiden. Vor allem engagierte Mittelständler, die sich im Kampf um Köpfe besonders ins Zeug legen müssen, waren daher in besseren Zeiten bestrebt, auf entsprechende Bewerberwünsche einzugehen - "weil man sich zurecht einen Return of Investment erwartete", sagt Hans-Joachim Schade vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn.

Und wie steht es heute ums Coachen im Betrieb? Jürgen Graf, Autor der Studie "Weiterbildungsszene Deutschland", beobachtet, dass in schwächelnden Branchen Weiterbildungsprogramme für Fach- und Führungskräfte eingefroren werden. "Da lassen sich kurzfristig Einsparpotentiale realisieren."

Ein krasser Widerspruch zu den Absichtsbekundungen der Personalverantwortlichen, die im Rahmen der Human-Resources-Trendstudie 2009 der Gummersbacher Managementberatung Kienbaum nach ihren Maßnahmen in der Krise befragt wurden: Demnach wollen 44 Prozent von ihnen trotz aller Einsparungen "in die Optimierung von Kompetenz- und Skillmanagement investieren". Graf sagt: "Da klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander." Seine Einschätzung wird durch eine Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2006 gestützt. Demnach ist das Thema "berufliche Weiterbildung" längst nicht ausreichend in deutschen Unternehmen implementiert. Während die Arbeitnehmer in Frankreich im Durchschnitt 713 Stunden, die Schweizer 723 Stunden und die Dänen sogar 943 Stunden ihres Lebens mit Lernen verbringen, kommen die Deutschen nur auf 398.

Erstaunlich auch die Zurückhaltung der Firmen in Kurzarbeit, die jetzt eigentlich die Zeit nutzen und ihre Mitarbeiter in Kurse schicken könnten. Die Arbeitsagentur hat 150 Millionen Euro zur Qualifizierung von Kurzarbeitern zur Verfügung gestellt, 16,5 Millionen steuert der Europäische Sozialfonds für Fach- und Führungskräfte bei. Allein: Erst ein Bruchteil des Geldes ist bislang abgerufen worden. Das betrifft vor allem die geringer Qualifizierten, die es am dringendsten brauchen könnten. "Wir haben eine Unternehmenskultur, die eher Topleute fördert", sagt Hans-Joachim Schade vom BIBB. Da bei denen - siehe Jürgen Graf - jetzt aber auch gespart wird, steht Deutschland bald noch schlechter da im internationalen Vergleich.

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Früher gab es gutes Geld für gute Arbeit

Ein BMW der Siebener-Serie, hohe Leistungsprämien: Vor nicht allzu langer Zeit legte man gerne noch was oben drauf, um Top-Performer an sich zu binden. Vorbei. Laut einer Untersuchung der Gummersbacher Managementberatung Kienbaum überlegen 39 Prozent der Unternehmen heute "prioritär", wie sie die Personalkosten, den dicksten Brocken im Budget, senken können. 72 Prozent stellen weniger Leute ein oder haben einen Einstellungsstopp verhängt. Und diejenigen, die schon im Unternehmen sind, müssen mit einer Kürzung ihrer variablen Gehaltsbezüge rechnen: ohne Erfolg keine Prämie. Bei Ingenieuren in Führungspositionen etwa ist in diesem Jahr das Gesamteinkommen gegenüber dem Vorjahr von durchschnittlich 103.000 Euro auf 100.000 Euro gesunken, bei den Fachpositionen von 62.000 Euro auf 60.000 Euro. Durch die anhaltend schwierige Situation fallen auch die Grundgehaltssteigerungen mit durchschnittlich 2,7 Prozent um fast einen Prozentpunkt geringer aus als 2008.

Insgesamt sollen die Pro-Kopf-Löhne nach Berechnungen der Commerzbank im laufenden Jahr real zurückgehen. Zwar steigen die Tariflöhne noch um 2,2 Prozent. Zugleich aber streichen die Firmen Sonderzahlungen und freiwillige Leistungen. Zudem versuchten sie, Öffnungsklauseln in Tarifverträgen zu nutzen. Der effektiv gezahlte Lohn werde dieses Jahr daher nur um 0,3 Prozent zulegen. Angesichts einer erwarteten Inflation von etwa 0,4 Prozent "erleiden die Lohn- und Gehaltsempfänger ein Minus", sagt Commerzbank-Ökonom Eckart Tuchtfeld. 2010 werde es voraussichtlich nicht besser.

Foto: iStock (SZ vom 11.7.2009/bön)

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