Arbeiten im Rentenalter:Silver Worker haben keine Lust auf Ruhestand

Wenn mit 65 noch lange nicht Schluss ist: Manche Menschen müssen aus finanziellen Gründen im Rentenalter arbeiten - doch vor allem Akademiker bleiben zunehmend aus Spaß an der Freude im Job.

Miriam Hoffmeyer

Vor seinem 65. Geburtstag hatte Lothar Knauer überlegt, dass es eigentlich schön wäre, noch ein bis zwei Jahre länger im Betrieb zu bleiben. Heute ist er 70 Jahre alt und arbeitet immer noch Vollzeit. Bei einer Düsseldorfer Spedition kümmert sich der Betriebswirt seit mehr als 30 Jahren um alles, was mit Zoll und Behördenangelegenheiten zu tun hat. "Manchmal fahre ich auch noch den Gabelstapler", sagt Knauer. "Zum Glück bin ich ja körperlich fit."

Die meisten Deutschen verabschieden sich deutlich vor der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand, auch wenn sich dieser Zeitpunkt seit Jahren nach hinten verschiebt. 2010 gingen deutsche Männer im Durchschnitt mit 63,8 Jahren in Rente, Frauen mit 63,3 Jahren. Eine kleine, stetig wachsende Gruppe von Älteren aber will vom süßen Nichtstun nichts wissen. Nach der Mikrozensus-Erhebung des Statistischen Bundesamtes sind inzwischen etwa sechs Prozent aller 65- bis 74-Jährigen und ein Prozent der über 75-Jährigen erwerbstätig. Insgesamt sind das 670.000 arbeitende Senioren, 120.000 mehr als vor fünf Jahren.

Mehr als zwei Drittel von ihnen arbeiten Teilzeit, 40 Prozent sind selbständig. In Wirklichkeit ist das Heer der "Silver Workers" aber noch weit größer. Denn der Mikrozensus basiert auf Stichproben - und ob sich ein Rentner, der nebenher Zeitungen austrägt, in der Umfrage als Erwerbstätiger oder als Ruheständler bezeichnet, hängt eher vom Zufall ab. Die Bundesanstalt für Arbeit registrierte vor einem Jahr allein 725.000 geringfügig Beschäftigte über 65 Jahren.

Der Wunsch, aktiv zu bleiben

Treibt die Not die Alten in die Büros und an die Werkbänke? Eine Studie der Leuphana-Universität Lüneburg ergibt ein anderes Bild. Wichtigstes Motiv der Befragten war der Wunsch, aktiv zu bleiben. Auch die Anerkennung und Wertschätzung anderer, die Freude an der Arbeit und die sozialen Kontakte am Arbeitsplatz wurden häufig genannt. Nur zehn Prozent der Befragten gaben finanzielle Gründe an. Allerdings ist die Datenbasis der Studie mit 146 Befragten eher schmal. Und viele Silver Workers haben Kinder, die noch finanziell von ihnen abhängig sind, oder wollen einfach den gewohnten Lebensstandard beibehalten.

Lothar Knauer blieb seiner Spedition aus mehreren Gründen treu. Geld spielte eine Rolle, denn nach seiner Scheidung stand seiner Exfrau ein erheblicher Teil seiner Rente zu. Aber die persönliche Verbundenheit mit seinem Chef und den Kollegen war der wichtigste Grund, dabei zu bleiben. "Die Arbeit macht mir immer noch ungeheuren Spaß", sagt Knauer. "Die meisten Kunden kenne ich schon lange, für sie ist ein fester Ansprechpartner im Betrieb sehr wichtig. Diese Kontakte zu Kunden und Kollegen machen die Sache so zufriedenstellend."

Wegen der demographischen Entwicklung wird die Arbeitsleistung der Älteren für die Gesellschaft wichtiger. Die Europäische Kommission hat 2012 zum "Jahr für aktives Altern" ausgerufen. Denn von 2013 an wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Europa abnehmen, die Zahl der über 60-Jährigen jedes Jahr um zwei Millionen steigen. Die EU strebt deshalb an, Älteren mehr Möglichkeiten zum Arbeiten geben, sei es erwerbsmäßig oder ehrenamtlich.

Eine Reihe von Hindernissen

Dabei gibt es mehr als genug Hindernisse: Wer in Deutschland als Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst tätig ist, muss nach dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ausscheiden. Ausnahmen gibt es höchstens für angesehene Wissenschaftler. Auch das Steuer- und Abgabenrecht behandelt Silver Workers stiefmütterlich: Lothar Knauer muss sowohl sein Gehalt als auch seine Rente versteuern.

Die Entwicklungspsychologin und Altersforscherin Ursula Staudinger von der Jacobs University Bremen fordert, solche "Strafen" abzuschaffen. Außerdem müssten die Arbeitgeber sich besser auf die Silver Workers einstellen, vor allem mit mehr Teilzeitangeboten und Weiterbildungsmöglichkeiten. "Diese Mitarbeiter wünschen sich vor allem Flexibilität und mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeit. Mit wenigen Veränderungen kann man viel erreichen." Staudinger ist sicher, dass künftig immer mehr Menschen länger arbeiten wollen und auch werden: "Die nachwachsenden Generationen kommen aktiver und fitter im Rentenalter an, zugleich schrumpft das Arbeitskräfteangebot."

In welchen Branchen besonders viele Senioren tätig sind, ist nicht erforscht. Die Vermutung liegt nahe, dass überdurchschnittlich viele Silver Workers Akademiker sind. 60 Prozent der Teilnehmer an der Studie der Leuphana-Universität hatten einen Hochschulabschluss. Zudem bleiben viele Selbständige - Unternehmer, Ärzte, Anwälte oder Architekten - traditionell länger im Beruf.

Vor allem Akademiker arbeiten lange

Seit die Altersgrenze von 68 Jahren für Kassenärzte abgeschafft wurde, praktiziert mancher Landarzt auch noch nach dem 70. Geburtstag, schon weil er keinen Nachfolger findet. Fachärzte im Ruhestand mit Spezialkenntnissen können sich vor lukrativen Arbeitsangeboten kaum retten. "Durch die Mangelsituation eine rege Nachfrage", sagt Michael Weber von der Honorarärzte-Vermittlung "Hire a Doctor". Über das Alter der vermittelten Ärzte führe man zwar nicht Buch, um Altersdiskriminierung zu vermeiden. Aber der Anteil der über 65-Jährigen liege "gefühlt bei zehn Prozent".

Bei ihren Studien hat Ursula Staudinger festgestellt, dass auch viele der befragten Monteure oder Fertigungsarbeiter durchaus interessiert waren, über die Altersgrenze hinaus in ihrem Job zu bleiben. "Arbeit ist sinnstiftend", sagt Staudinger. Und zwar besonders, wenn sie freiwillig erbracht wird - wenn man arbeiten kann, aber nicht mehr muss.

Lothar Knauer kann das nur bestätigen. "Rein rechtlich betrachtet, könnte ich von heute auf morgen aufhören. Natürlich würde ich nie einfach so den Kuli hinschmeißen. Aber diese Möglichkeit gibt mir das Gefühl, völlig frei zu sein."

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