Arbeiten im Ausland:Erst mal weg - und bald wieder da

Das zeigen die TV-Shows nicht: Wer Deutschland verlässt, kehrt meist nach einigen Jahren zurück. Die klügsten Köpfe gehen dem Land jedenfalls nicht verloren.

F. Berth

Martin Mulsow war mal Auswanderer. Einer der Hochqualifizierten, die das Land verließen, weil es mit der Karriere in der Bundesrepublik nicht vorwärtsging. Mulsow hatte in den neunziger Jahren mit Bestnoten in Philosophie promoviert. Er hatte sich im Jahr 2000 mit einer vielgelobten Arbeit über radikale Aufklärer im späten 17. Jahrhundert habilitiert. Doch ins Schema der deutschen Universitäten schien er nicht zu passen: Für eine Professur bei den Philosophen kam Mulsow nicht infrage, weil seine Arbeiten zu historisch waren. Und den Historikern galt er als zu philosophisch. "Ich bin zwischen den Disziplinen unterwegs - das hat es damals nicht leichtgemacht", sagt Mulsow heute.

Obama in Dresden

Die meisten deutschen Auswanderer sind zwar mal weg, kommen aber nach ein paar Jahren zurück.

(Foto: dpa)

In den USA ging es pragmatischer zu. Die renommierte Rutgers University in New Jersey interessierte sich für den Forscher. Sie bot ihm eine Lebenszeitstelle, ohne ihn in das Korsett eines Fachgebiets zu zwängen. Mulsow überlegte kurz, dann nahm er die Offerte an. Im Sommer 2005 emigrierte er mit seiner Familie in die USA. Damals hätte er auch in einer der Fernsehshows auftreten können, die auf allen Kanälen zu sehen waren. Sie hießen "Deutschland ade" oder "Mein neues Leben" und zeigten Filme über Menschen, denen es in der Bundesrepublik zu eng, zu bürokratisch, zu träge zuging.

Ein paar Fernsehmagazine über die Unzufriedenen laufen noch heute. Doch Martin Mulsow ist inzwischen kein Auswanderer mehr. Nach drei Jahren kehrte er in die Bundesrepublik zurück. Nicht enttäuscht, sondern in seiner Karriere einen Schritt weiter: Die Universität Erfurt lockte ihn im Jahr 2008 mit einer Professur, gepaart mit einem Direktorenposten an einem Forschungszentrum im nahen Gotha. "Dass ich drüben in den USA schon Professor war, hat dabei sicher eine Rolle gespielt", sagt Mulsow.

Der Lebenslauf von Martin Mulsow illustriert, was die Migrationsforscher Andreas Ette und Lenore Sauer herausgefunden haben: Den gefürchteten brain drain, eine Abwanderung der kompetentesten Köpfe aus Deutschland, gibt es in der Welt der Wissenschaft nicht. Die meisten gehen nicht, weil sie die Bundesrepublik satthaben und Amerika oder die Schweiz so wunderbar sind, sondern weil eine Zwischenstation im Ausland inzwischen bei jüngeren Wissenschaftlern ganz gewöhnlich geworden ist.

Drei Manager gehen, einer kommt

Ette und Sauer, die beide am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung arbeiten, haben die bisher genaueste Untersuchung über deutsche Auswanderer vorgelegt. Sie fanden heraus, dass diejenigen, die Deutschland verlassen, tatsächlich zu den am besten Ausgebildeten zählen: Etwa die Hälfte der erwerbstätigen Emigranten hat einen Hochschulabschluss. So arbeiten allein in der Schweiz derzeit mehr als 25.000 Deutsche mit Hochschulzeugnissen. In den USA sind es knapp 20.000, in den EU-Ländern etliche Zehntausend mehr. Ein dramatischer Verlust von Kompetenz und Kenntnissen, könnte man meinen.

AUS FÜR DEUTSCHEN SCHIRMLADEN IN NEW YORK

Als Professor in die USA - aber nur zeitweise: Den gefürchteten brain drain, eine Abwanderung der kompetentesten Köpfe aus Deutschland, gibt es in der Welt der Wissenschaft nicht.

(Foto: dpa)

Doch Ette und Sauer analysieren eben auch, wer zurückkehrt. Gestützt auf verschiedene Datenquellen, stellen sie fest, dass "die meisten Deutschen gegenwärtig für einen begrenzten Zeitraum migrieren". Das heißt: Sie sind zwar mal weg, aber nach ein paar Jahren wieder da. Nur etwa jeder fünfte Emigrant bleibt länger - das heißt fünf Jahre oder mehr - im Ausland.

Besonders mobil sind Wissenschaftler wie der Philosoph Martin Mulsow. Jeder Dritte, der Deutschland in Richtung EU verlässt, arbeitet als Forscher. Doch im vergangenen Jahrzehnt, so stellt die Untersuchung von Ette und Sauer fest, kehrten etwa 74 Prozent dieser Wissenschaftler wieder zurück. Der brain drain ist also vergleichsweise gering. Und einiges deutet darauf hin, dass sogar "die Besten der Besten" nach einigen Jahren wieder da sind: "Die Höchstqualifizierten kehren zurück, während weniger Qualifizierte längerfristig im Ausland bleiben", stellen Ette und Sauer fest.

Ein wenig anders verhalten sich Führungskräfte, die zweite große Gruppe der Auswanderer. Auf drei Manager, die das Land verlassen, kommt nur einer, der zurückkehrt. "Hier könnte man tatsächlich von einem brain drain sprechen", sagt Lenore Sauer. Doch diesen Verlust wird die Wirtschaft in der Bundesrepublik kaum bemerken: Innerhalb des von Ette und Sauer analysierten Jahrzehnts gingen dem Land auf diese Weise etwa 14.000 Führungskräfte verloren, mehr nicht.

Dramatische Abwanderung sieht anders aus. Und die Sorge, dass in ein paar Jahren die meisten Menschen mit Hochschuldiplom das Land verlassen haben könnten, ist wohl unnötig. Deutschlands Akademiker sind mobil geworden, mehr nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: