Süddeutsche Zeitung

Arbeiten im Ausland: die Expat-Falle:Aus den Augen, aus dem Sinn

Wenn Mitarbeiter für die Firma ins Ausland gehen, tun sie das aus Neugier und oft auch mit einem Hintergedanken: Sie hoffen bei der Heimkehr auf eine Karriere in der Konzernzentrale. Doch zu Hause geraten sie leicht in Vergessenheit.

Christine Demmer

Wer zwei oder drei Jahre lang als Statthalter eines Konzerns in Indonesien oder Brasilien sitzt und noch unter vierzig ist, der gerät leicht ins Träumen. Er malt sich seine Karriere in schillernden Farben aus. Nach der Rückkehr, so hofft der auslandsentsandte Mitarbeiter, wird es erst richtig aufwärts gehen.

Wenn die Zentrale den Expatriate, kurz Expat genannt, eines schönen Tages zurückruft, ist die Enttäuschung groß: Der erhoffte Posten ist soeben extern besetzt worden. Oder es heißt, der Heimkehrer komme leider nicht in Frage, weil er angeblich dringend anderswo gebraucht werde. Schlimmer noch: Der Personaler denkt laut nach: "Was mache ich denn jetzt mit Ihnen?" Und dann schiebt er die müde Entschuldigung nach: "Ich hatte Sie gar nicht mehr auf dem Schirm."

Nicht mehr auf dem Radar der Personalentwickler zu sein, heißt für einen ins Ausland entsandten Mitarbeiter: Er ist in die Expat-Falle getappt. Die Falle tarnt sich mit Einkommenszulagen und attraktiven unternehmerischen Freiheiten in der Ferne. Verweilt der Expat aber auch nur eine Spur zu lang in der gepolsterten Nische, dann kommt er dort nicht mehr heraus - jedenfalls nicht ohne Blessuren an seiner Karriere.

"In vielen Firmen fehlt die Gesamtstrategie für eine Führungskräfteentwicklung mit internationaler Ausrichtung", sagt Hannelore Seelmann-Holzmann, asienerfahrene Sozialwissenschaftlerin und Beraterin für interkulturelle Zusammenarbeit. "Oft läuft es nach dem Beliebigkeitsprinzip: Im Ausland wird jemand gebraucht, es muss schnell gehen, also wird jemand rausgeschickt. Und dann kommt er eines Tages zurück, und die Personalabteilung schaut, was man mit ihm machen kann." Die Folge: Nach Schätzungen von Seelmann-Holzmann verlassen zwischen 60 und 80 Prozent aller Heimkehrer binnen eines Jahres das Unternehmen und heuern, getränkt mit Auslandswissen, bei der Konkurrenz an.

Der beste Rat, den sie einem Expat geben kann, ist der, die Personalabteilung fortwährend auf sich aufmerksam zu machen. Nur so gerate man nicht in Vergessenheit. "Man muss nerven", sagt Seelmann-Holzmann, "und sich stets darüber im Klaren sein, dass internationale Einsätze für Personaler noch immer Neuland sind. In den meisten Betrieben gibt es weder feststehende Prozesse noch eingeübte Verhaltensweisen. Also muss man beständig auf sich zeigen. Und kontinuierlich bohren: Was habt ihr nach meiner Rückkehr mit mir vor?"

Tim Rau aus München kann dem nur zustimmen. "Eine Auslandsentsendung ist eine große Chance und ein großes Risiko zugleich", sagt der Geschäftsführer der Personal- und Organisationsberatung Rau Consultant. "Kandidaten sollten sich das vorher gut überlegen, sonst kann der Schuss nach hinten losgehen. Wir erleben das immer wieder: Selbst große, global tätige Markenartikler haben das Rückkehrmanagement nicht im Griff. Damit drohen den Firmen zahlreiche Talente verlorenzugehen."

Meist läuft es so: Jahrelang signalisiert der ehrgeizige Ingenieur oder Betriebswirt, dass er um jeden Preis Karriere machen will. Nichts passiert. Eines Tages ruft ihn der Chef ins Büro. Heute sei sein Tag, schmeichelt er, in Peking werde dringend ein Vertriebsingenieur benötigt. Darauf habe der Mitarbeiter doch nur gewartet, nicht wahr? "Überlegen Sie sich das. Aber zögern Sie nicht zu lange. Sagen Sie mir am Montag Bescheid?"

"Klar", bestätigt Tim Rau, "ein solches Angebot ist einmalig, in der Regel wird man kein zweites Mal gefragt. Abzulehnen bedeutet einen dicken Malus in der Personalakte." Allerdings würden meist nur solche Mitarbeiter angesprochen, von denen man bereits wisse, dass sie an einem Auslandseinsatz interessiert seien. "Man kann sich also rechtzeitig, bevor die Frage gestellt wird, über das Firmennetzwerk informieren, wo die früher entsandten Kollegen nach ihrer Rückkehr untergekommen sind." Findet man sie gar nicht mehr im Firmennetz, dann sind sie mit großer Wahrscheinlichkeit in die Expat-Falle geraten.

Fern der Zentrale wächst die Gefahr der Entfremdung von beiden Seiten. "Der Mitarbeiter im Ausland hat einen neuen Lebensmittelpunkt, zu Hause wird er vergessen", sagt Rau. Der einzige Weg aus der Falle sind regelmäßige Besuche im Headquarter. "Man sollte schon vor der Entsendung verbindlich vereinbaren, mindestens jedes halbe Jahr die Zentrale besuchen zu können, besser noch jedes Vierteljahr. Denn sonst dreht sich die Welt ohne den Expat weiter."

Weil immer mehr enttäuschte Rückkehrer ihrem Ärger Luft machen, nehmen sensible Personaler das Thema allmählich ernst. Der Werkzeugmaschinen- und Laserhersteller Trumpf aus dem baden-württembergischen Ditzingen wird in den nächsten Monaten ein Team von Mitarbeitern nach China schicken, um den lokalen Einkauf aufzubauen. "Einige für wenige Wochen, andere für mehrere Jahre", sagt Gerd Duffke, Leiter der Personalentwicklung. "Jeder absolviert vorher ein interkulturelles Training, damit er weiß, was auf ihn zukommt."

Was die Mitarbeiter erwartet, wenn sie nach Ditzingen zurückkehren, kann Duffke heute natürlich noch nicht sagen. Als Vorbeugungsmaßnahme gegen mögliche Reintegrationsprobleme dient ein regelmäßiger schriftlicher und persönlicher Informationsaustausch. Außerdem will die Personalentwicklung den Prozess der Wiedereingliederung auf solide Füße stellen. "Und zwar nicht erst ein paar Wochen vor der Rückkehr, sondern viel früher", sagt Duffke. Wenn jemand zwei oder drei Jahre weg ist, müsse er sich erst wieder einleben. Es sei wichtig, dass die Firma das aktiv unterstütze. "Das darf keine Einbahnstraße ein. Wir können die Leute nicht bitten, für uns ins Ausland zu gehen, und sie anschließend im Regen stehen lassen."

Das klingt klug. Trotzdem sollte kein Expat darauf vertrauen, dass sich die Verantwortlichen in der Zentrale nach drei oder fünf Jahren an ihre Zusagen erinnern. Vielleicht ist der damalige Personalchef längst in Rente. Vielleicht hat der Eigentümer und damit die Personalstrategie gewechselt. Vielleicht stehen die Daheimgebliebenen an der Karriereleiter Schlange und lassen die nur vom Telefon bekannten Kollegen nicht vor. Wer dann nicht rempeln will, wird seine Träume anderswo wahr machen müssen.

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SZ vom 28.05.2011/holz
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