Bereits eingepreist in dieser Prognose ist die Rente mit 67. Nicht dagegen die neue abschlagsfreie Rente ab 63, die sich nach ihrer Verabschiedung viele Ältere nicht entgehen lassen. Zwischen Sommer 2014 und Sommer 2015 waren das immerhin etwa 100 000 Beschäftigte mit einem sozialversicherungspflichtigen Job. Und auch die Folgen der gerade beschlossenen Flexi-Rente, die das Ausgleiten aus dem Job vor dem eigentlichen Rentenalter begünstigt, bleiben unberücksichtigt. Da reiht sich Fragezeichen an Fragezeichen. Die Verunsicherung ist groß. Eine Mehrheit der EU-Bürger sieht die Zukunft des Sozialstaates pessimistisch. 70 Prozent der Deutschen befürchten, dass der Staat die Renten schon im Jahr 2050 nicht mehr garantieren kann.
Als Erfolgsgeschichte einer umsichtigen Arbeitsmarktpolitik aber wird gefeiert, dass die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren zugelegt hat. Allein in der Altersgruppe zwischen 65 und 70 Jahren hat sich der Anteil der Erwerbstätigen innerhalb eines Jahrzehnts von sechs Prozent auf 14 Prozent mehr als verdoppelt. Diese Wachstumstendenz werde sich verstärken, heißt es. Ohne dafür schon handfeste Belege anführen zu können. Nötig allerdings wäre das allemal. Schließlich steht der Abschied der Babyboomer-Generation aus der Arbeitswelt bevor. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat für die 140 wichtigsten Berufe ausgerechnet, dass von diesen gegenwärtig 6,7 Millionen Beschäftigten fast jeder dritte in den nächsten 15 Jahren in den Ruhestand gehen wird. Die Zahl der Nachrücker bleibt deutlich darunter. Doch schon jetzt ist das Lamento über die wachsende Facharbeiterlücke groß.
Tolle Perspektiven also für die Golden Ager. Die Gesellschaft, möchte man meinen, sieht sie in ihrer demografischen Not nicht mehr nur als Kostgänger, sondern mehr und mehr auch als Fortschrittsträger, ausgerüstet mit einem nachhaltigen, weil weitgehend erneuerbaren Tatendrang und versehen mit dem vermeintlichen Qualitätskriterium "Je älter, desto besser". Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede mehr sein. Die Erfahrung der Alten verbindet sich mit der Risikobereitschaft der Jugend und schafft damit einen bemerkenswerten Mehrwert für die gesamte Gesellschaft.
Wenn das so wäre, müsste die Politik in dieser schönen neuen Welt des Miteinanders der Generationen eigentlich Anreize schaffen, dass fitte Arbeitnehmer freiwillig bis 70 und länger arbeiten können. Bislang Fehlanzeige. Politiker kümmern sich noch immer lieber um das Schicksal des in die Jahre gekommenen Dachdeckers, dem man im reifen Alter nicht mehr zumuten möchte, hoch oben auf den Dächern herumzuturnen - siehe Rente mit 63. Auch die Gewerkschaften feiern eher stoisch ihre Siege im Kampf um einen möglichst frühen und finanziell erträglichen Ausstieg ihrer Mitglieder aus dem Berufsleben.
Und die Arbeitgeber? Die postulieren bei jeder Gelegenheit, ihrem verbissenen Jugendwahn abgeschworen zu haben, der beinah jeden Arbeitsuchenden von Ende 30 an zum alten Eisen machte. Doch wirklich geändert hat sich nicht viel - im Gegenteil: Zwischen 2010 und 2014 stieg die Zahl der über 55-jährigen Arbeitslosen um fast zehn Prozent auf knapp 600 000. Eine Tendenzwende zeichnet sich nicht ab. So ist die Chance für angehende Rentner, weiterbeschäftigt zu werden, eher gering.
Rahmenbedingungen für Weiterbeschäftigung im Alter sind schlecht
Jenseits einiger Vorzeigeprojekte - von Daimler Benz bis zur Deutschen Bahn - gibt es gerade unter den über fehlende Fachkräfte klagenden Mittelständlern kaum Konzepte dafür. Allenfalls Einzellösungen für langjährige Mitarbeiter, die ungern an die große Glocke gehängt werden. Zumal die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine Weiterbeschäftigung schlecht sind. So dürfen Arbeitgeber den arbeitswilligen Senioren keine befristeten Arbeitsverträge anbieten, sondern nur unbefristete. Dieses Risiko aber will kaum einer eingehen. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass durch Krankheiten längere Ausfälle bei den älteren Menschen drohen, immer noch deutlich höher als bei jungen Leuten. Das Gros der arbeitswilligen Alten kann nichts gegen dieses Prinzip der Risikovermeidung tun und bleibt ganz einfach zur Rente verdammt.
Es stimmt: Immer mehr Menschen, die 65 oder älter sind, brauchen zum Überleben Hilfe vom Staat oder begründen ihren anhaltenden Arbeitseifer mit drohender oder bereits jetzt erdrückender Altersarmut. Den wachsenden Unruhestand im letzten Drittel des Lebens aber begründet das nicht oder eben nur zum Teil. Hinzu kommt die Suche nach dem späten Lebenssinn, das Beharren auf dem Glücksanspruch, der Wille, in der digitalen Welt noch einmal durchzustarten. Oder einfach nur Spaß am Tätigsein im Alter.
Klar, der Beruf soll nicht alles sein im Leben. Aber das Leben ohne Beruf ist auch nicht alles. Dabei ist längst nicht verbürgt, dass mit 66 der Spaß am Job erst richtig anfängt. Aber weitgehend befreit von Karriere, Selbstoptimierung und Konkurrenz, können sich die aktiven Alten den Luxus erlauben, bei aller nötigen Wertschätzung von Arbeitgebern oder Kunden, niemandem als sich selbst zu gefallen. Wichtiger aber noch ist, dass ihr Leben Struktur behält und nicht ausfranst. "Wer sich totarbeitet, lebt länger und zufriedener", antwortete unlängst einer dieser weißhaarigen Workaholics auf die Frage: Was geht noch, Alter? Gegen die Krise, in die ihn das Ende seiner Berufstätigkeit gestürzt hätte, hat er ein Mittel: weiterarbeiten.