Arbeiten im Alter:"Ich wache sowieso immer um sechs Uhr morgens auf"

Arbeiten im Alter: Als Ärztin, Monteur, Betreuerin und Kfz-Meister - diese Senioren arbeiten weiter, obwohl sie das Rentenalter schon erreicht haben.

Als Ärztin, Monteur, Betreuerin und Kfz-Meister - diese Senioren arbeiten weiter, obwohl sie das Rentenalter schon erreicht haben.

(Foto: Rolf Oeser, Privat (3))

Viele Senioren arbeiten weiter, obwohl sie längst in Rente gehen könnten. Wollen oder können sie nicht anders?

Von Miriam Hoffmeyer

Die Welt bereisen, mit den Enkeln spielen, endlich mal den Keller ausmisten - die Vorfreude auf den Ruhestand ist groß. Doch immer mehr Senioren können das Arbeiten am Ende doch nicht lassen. Laut Statistischem Bundesamt war 2015 jeder siebte 65- bis 70-Jährige erwerbstätig.

Dieser Anteil hat sich innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt. Die Erhöhung der Regelaltersgrenze spielt dabei eine kleinere Rolle, als man annehmen könnte. Denn die Entwicklung verlief in allen Altersjahrgängen sehr ähnlich. Selbst bei den 69-Jährigen verdoppelte sich die Erwerbstätigkeitsquote auf zehn Prozent im Jahr 2015. Nach dem 70. Geburtstag arbeiten deutlich weniger Menschen, doch auch ihre Zahl ist gestiegen.

Minijob? Nicht der Rede wert!

Wie arbeitsam die deutschen Senioren tatsächlich sind, ist damit aber noch nicht vollständig erfasst. Denn viele Rentner halten ihre Minijobs offenbar für nicht weiter erwähnenswert, wenn sie an den Befragungen des Statistischen Bundesamts teilnehmen. Während dieses zuletzt von 900 000 Erwerbstätigen im Rentenalter ausging, einen hohen Anteil an Selbständigen mit eingeschlossen, registrierte die Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr nicht nur 255 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte über 65, sondern dazu noch eine knappe Million Minijobber.

Warum so viele Ältere arbeiten, ist umstritten. Wer frühmorgens Zeitungen austrägt oder im Supermarkt aushilft, dürfte in erster Linie eine zu knappe Rente aufbessern wollen. Andererseits zeigen Untersuchungen wie das Survey des Deutschen Zentrums für Altersfragen, dass weit mehr Männer als Frauen im Alter arbeiten und höher Gebildete eher als gering Qualifizierte. Das sind genau die Personengruppen, die eine relativ gute Altersversorgung haben.

Unternehmer, Ärzte oder Ingenieure gehen oft besonders spät in den Ruhestand. Nach verschiedenen Studien ist es den arbeitenden Senioren am wichtigsten, dass sie etwas Sinnvolles tun und ihr Wissen und ihre Erfahrung weitergeben können. Das extra verdiente Geld können sie trotzdem gut gebrauchen - manchmal sogar für eine Weltreise.

Die Landärztin findet keinen Nachfolger

Ellen Wedekind, 68, ist Allgemeinmedizinerin im hessischen Groß-Karben: "Ich führe meine Landpraxis ganz normal weiter, auch wenn ich jetzt schon 68 bin. Meine Arbeit macht mir viel Spaß und ich kann sie auch immer noch gut erledigen. Das hinterfrage ich dauernd: Bin ich noch fit genug, vernünftige Diagnosen zu stellen? Ich bin seit fast 40 Jahren Landärztin und habe auch immer Ärztlichen Bereitschaftsdienst gemacht. Ich habe mehrere Patienten erfolgreich reanimiert und Babys auf die Welt geholfen. Man weiß nie, was passiert, das macht die hausärztliche Arbeit so spannend!

Andererseits möchte ich gern noch mal studieren: Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt. Mein altes Lateinbuch liegt schon auf meinem Schreibtisch, aber ich komme einfach nicht dazu.

Das Wissen älterer Mitarbeiter wird noch gebraucht

Nach langen Kämpfen mit der Kassenärztlichen Vereinigung habe ich erreicht, dass für Karben 2016 endlich ein weiterer Kassensitz zugelassen wurde. Seitdem habe ich eine Gemeinschaftspraxis mit einer jüngeren Kollegin. Ich versorge aber immer noch mehr als 2000 Patienten. Im Nachbarort habe ich eine Zweitpraxis, dort hält ein Kollege die Stellung, der auch schon im Rentenalter ist. Sobald es Nachfolger für ihn und für mich gibt, gehe ich. Aber die meisten jungen Ärzte wollen heute lieber als Angestellte arbeiten. Es ist nicht so, dass die Alten nicht loslassen können - ich lasse sofort los. Aber erst, wenn ich weiß, dass für meine Patienten und Angestellten gesorgt ist.

Weil die Honorare für niedergelassene Ärzte gedeckelt sind und ich jahrelang viel mehr Patienten behandelt habe als vorgesehen, hatte ich zeitweise Schwierigkeiten, die Praxis zu halten. Auch deshalb lasse ich mir schon seit dem sechzigsten Geburtstag eine vorgezogene, um 20 Prozent gekürzte Altersrente vom Ärztlichen Versorgungswerk auszahlen. Wenn die Rente in Zukunft nicht ausreichen sollte, werde ich einfach weiter Bereitschaftsdienste machen. Der Bedarf ist ja da."

Jüngere Monteure kennen sich mit alten Motoren nicht aus

Manfred Lundschien, 66, ist Monteur bei Henkelhausen in Wesseling: "Arbeiten ist für mich nichts Negatives, das hält mich körperlich und geistig fit. Deshalb war ich sofort einverstanden, als Henkelhausen mich gefragt hat, ob ich länger im Betrieb bleiben möchte. Ich kümmere mich um die Wartung und Reparatur von Notstromaggregaten in ganz Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel in Krankenhäusern. Die Kunden kennen mich und freuen sich, dass ich immer noch komme.

Notstromaggregate sind sehr langlebig, weil sie selten laufen. Es gibt noch Zwei- oder Viertaktmotoren aus den Sechzigerjahren, die junge Monteure gar nicht kennen. Darum gehört es zu meinen Aufgaben, die Jüngeren anzulernen. Ich arbeite Vollzeit, habe aber viele Freiheiten und organisiere meine Termine selber. Dafür muss ich im Notfall auch schon mal abends oder am Wochenende raus.

Mein Arbeitsvertrag lief 2015 aus, als ich die Altersgrenze erreicht hatte. Jetzt habe ich einen befristeten Vertrag zu denselben Konditionen. Neben dem Gehalt beziehe ich schon meine Rente. Ich hätte darauf verzichten können und dann später eine höhere Rente bekommen, pro Arbeitsmonat hätte es 0,5 Prozent Zuschlag gegeben. Aber ich weiß ja nicht, wie alt ich werde, da lege ich lieber jetzt etwas zurück. Außerdem studieren meine Kinder noch und sind froh, wenn Papa ihnen das Auto und die Versicherungen bezahlt!

Ich arbeite seit 51 Jahren und bin zum Glück gesund. Natürlich kann nicht jeder so lange dabei bleiben. Meine Frau ist jünger und wird erst mit 66 in Rente gehen dürfen, dabei hat sie als Erzieherin einen besonders anstrengenden Beruf.

Ende dieses Jahres gehe ich endgültig in den Ruhestand. Das heißt, vielleicht mache ich dann noch einen Minijob. Ich wache sowieso immer um sechs Uhr morgens auf, das gewöhne ich mir jetzt auch nicht mehr ab."

Eine ehemalige Bankangestellte will der Gesellschaft etwas zurückgeben

Marianne Kondring, 73, ist Betreuerin im niedersächsischen Kreiensen: "Ich betreue eine Frau, die genauso alt ist wie ich, aber große Gesundheitsprobleme hat. Im Schnitt bin ich zweimal pro Woche bei ihr, um sie zum Einkaufen und zu Ärzten zu begleiten. Wir verstehen uns gut, und sie ist immer sehr dankbar, wenn ich komme. Früher habe ich ihr auch im Haushalt geholfen, aber dazu habe ich keine Lust mehr, das macht jetzt ein sozialer Dienst.

"Nach einem Jahr zu Hause fiel mir schon die Decke auf den Kopf"

Ich bin jetzt seit zwölf Jahren Betreuerin und habe schon ganz verschiedenen Leuten geholfen. Solange es geht, will ich dabei bleiben. Ich bin gesund, aber ich muss auch meinen chronisch kranken Ehemann versorgen. Einige Bekannte wundern sich, dass ich zusätzlich noch jemanden betreue. Aber das ist etwas anderes, weil man mehr Abstand hat. Und ich komme so öfter mal raus und habe Abwechslung.

Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht, aber dann war ich jahrzehntelang Bankangestellte. Die Bank hat zweimal nacheinander fusioniert und mich mit 57 Jahren in Altersteilzeit geschickt, mit 60 war ich Rentnerin. Aber nach einem Jahr zu Hause fiel mir schon die Decke auf den Kopf und ich wollte unbedingt wieder arbeiten. Zuerst habe ich in einem Call Center Versicherungen verkauft, aber da ging es nur darum, die Kunden über den Leisten zu ziehen, darum habe ich schnell wieder gekündigt.

Eine Freundin hat mir dann den Tipp gegeben, die Qualifizierung zur Betreuerin zu machen. Finanziell lohnt sich der Job allerdings kaum. Ich bin beim Deutschen Roten Kreuz geringfügig beschäftigt und bekomme für meine Arbeitsstunden den Mindestlohn, das ist praktisch ein Taschengeld. Aber ich mache es ja nicht nur deswegen. Mir ist es früher immer gut gegangen, und so kann ich etwas an die Gesellschaft zurückgeben."

Ein Autoexperte der 60er Jahre konserviert das Wissen seiner Generation

Roland Haug, 64, ist Kfz-Meister und Betriebswirt in Fellbach: "Der Mensch braucht eine Aufgabe, ein Hobby kann ihm das nur zeitweise und bedingt geben. Das habe ich in den sechs Monaten meines Ruhestandes schnell gemerkt. In dieser Zeit konnte ich mich zwar mehr um meine Familie kümmern, mein Haus modernisieren und meinen kleinen Oldtimer, eine Isetta, pflegen, aber eine erfüllende Aufgabe fehlte. So war ich froh, über das Senior Expert Programm für neun Monate wieder in die Firma einsteigen zu können.

In der Restaurierungswerkstatt in Fellbach fand ich ein interessantes Projekt. Wenn einer der erfahrenen Mitarbeiter dort ausscheidet, darf das Wissen nicht verloren gehen, deshalb erstelle ich darüber eine Dokumentation in Wort und Bild. Im Speziellen kümmere ich mich um Fahrzeuge der Fünfziger und Sechzigerjahre, wie den Mercedes 300 SL. Bei der Restaurierung kommt es sehr auf Detailwissen an, zum Beispiel auf die Sattlerarbeit beim Flechten eines Türgriffes.

Ich war mein ganzes Berufsleben bei Daimler, viele Jahre davon als Kfz-Ausbildungsmeister in der Technischen Berufsausbildung. Zuletzt habe ich Crashtestergebnisse an Prototypen-Fahrzeugen im Werk Sindelfingen begutachtet. Mit 63, nach 45 Berufsjahren, schied ich aus dem Unternehmen aus.

Da man im normalen Arbeitsalltag immer viele Projekte gleichzeitig am Laufen hat, was sehr anstrengend sein kann, macht es nun richtig Freude, sich nur um eins in aller Tiefe kümmern zu können. Besprechungen, E-Mail-Verkehr und Telefonate halten sich in Grenzen, was ich als angenehm empfinde. Und es gibt mir sehr viel, Wissen und Erfahrung zu dokumentieren und an jüngere Kollegen weiterzugeben, das ist ein schönes, bereicherndes Gefühl."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: