Süddeutsche Zeitung

Arbeiten für wenig Geld:Aus Spaß am Nähen

Maßschneider verdienen 1000 bis 1750 Euro im Monat.

Von Susanne Klauser

Kalin Brammertz sprüht vor Begeisterung, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Die 23-Jährige ist Gesellin im Maßschneiderhandwerk und dass sie in ihrem Beruf wenig verdienen wird, war ihr von Anfang an klar. Aber das spielte bei ihrer Entscheidung für den Beruf der Damenmaßschneiderin keine Rolle. Für sie ist wichtig, dass sie gerne zur Arbeit geht. "Meine Arbeit macht mir Spaß und ich finde es schön, wenn man am Abend sieht, was man gemacht hat", sagt sie. "Für eine Schneiderin ist es toll, wenn ein Kleidungsstück fertig ist und es einem selbst gefällt."

In der kleinen Werkstatt am Pasinger Marienplatz näht die Damenschneiderin alles, vom Brautkleid bis zum Hosenanzug für die junge Geschäftsfrau. Drei Jahre hat sie nach ihrem Realschulabschluss dafür gelernt und ist froh, dass ihre Chefin aus dem letzten Lehrjahr sie zumindest halbtags übernehmen konnte. Denn trotz ihres bescheidenen Lohns von sieben Euro brutto pro Stunde ist sie als Gesellin eigentlich viel zu teuer für eine kleine Maßschneiderei. Im Monat kommt sie auf 482 Euro netto. Urlaubs- und Weihnachtsgeld gibt es keines. "Ich komme damit gut klar, aber wenn ich eine eigene Wohnung hätte, würde ich untergehen", sagt sie.

Bisher kann Kalin Brammertz bei ihrer Mutter in München wohnen, und so sind jeden Monat die Ausgaben für ihren VW-Polo der größte Posten auf der Ausgabenseite. Ungefähr 60 bis 80 Euro Tankkosten fallen im Monat an, manchmal auch mehr. Dazu kommt die Handyrechnung, und zwischendurch kauft sich sogar eine Damenschneiderin Kleidung von der Stange. "Ich finde die Sachen aber meistens viel zu teuer. Konfektion hat oft nicht die Qualität und Verarbeitung, die ich erwarte, wenn ich soviel Geld dafür ausgeben soll", sagt sie. Deshalb näht sie sich ihre Kleidung oft selbst und spart dabei noch einen Teil ihres Lohns. Ein maßgeschneidertes Oberteil aus japanischem Stoff, wie sie es unlängst für eine Kundin genäht hat, wäre unerschwinglich für die begeisterte Damenschneiderin.

In den vergangenen Jahren ist die Beschäftigung im Maßschneiderhandwerk so stark zurückgegangen, dass für Damenschneider nur noch in Bayern eine Tarifvereinbarung besteht. Der tariflich festgelegte Zeitlohn beträgt 6,58 bis 8,78 Euro, das sind maximal 1464 Euro brutto im Monat.

Durch einen traditionell besseren Organisationsgrad und die noch aufwändigere Verarbeitung im Herrenmaßschneiderhandwerk liegt der Bruttolohn mit ungefähr 1750 Euro in Westdeutschland etwas höher. "Aber auch ein Schneider in der Bekleidungsindustrie verdient nur 10,20 Euro pro Stunde", sagt Peter Donath, Experte für textile Tarifpolitik bei der IG Metall. "Damit liegen die Löhne in der Bekleidungsindustrie auf den hintersten Rängen unter den Industrielöhnen in Deutschland", so Donath.

Trotz der niedrigen Löhne im Schneiderhandwerk decken viele Betriebe ihren Bedarf an Arbeitskräften lieber mit Lehrlingen. "Kleine Schneidereien können es sich oft nicht mehr leisten, Gesellen zu haben. Da muss man sehen, wo man bleibt", sagt Brammertz, die sich zur Zeit nach einer neuen Vollzeitstelle umschaut. "In der Änderungsschneiderei in einem Kaufhaus verdient man als Schneiderin meistens ein bisschen mehr als in einem kleineren Betrieb." Immerhin zwischen acht und elf Euro pro Stunde könnte sie dort verdienen.

Manuela Dolores Kölbl, Besitzerin des kleinen Maßateliers, hat Verständnis für ihre Gesellin. Sie würde sie gerne behalten, aber das kann sie sich nicht mehr lange leisten. Auch sie stellt lieber jedes Jahr eine neue Auszubildende ein. "Das Handwerk ist sehr aufwändig, und oft haben die Kunden kein Verständnis dafür, dass ein Kleidungsstück dann auch teurer ist", sagt sie. Ein maßgeschneiderter Anzug kostet bei ihr, abhängig vom Stoff, mindestens 650 Euro. Ein Brautkleid ist für 700 Euro aufwärts zu haben. "Konfektionsware ist immer Massenware. Aber die Kundinnen, die zu uns kommen wollen etwas Individuelles haben, zum Beispiel für einen außergewöhnlichen Anlass wie einen Ball oder ihre Hochzeit", sagt Kalin Brammertz.

Für die Zukunft des Maßschneiderhandwerks hofft Schneidermeisterin Kölbl auf die jungen Kunden. "Es gibt viele Business-Frauen zwischen 26 und 30 Jahren, die sich einen Maßanzug leisten könnten. Wenn diese Kundengruppe einmal den Unterschied zwischen Konfektion und einem passgenauen Anzug aus einem hochwertigen Material erkannt hat, geht es auch mit unserem Handwerk wieder aufwärts."

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Quelle:
SZ vom 24.11.2004
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