Arbeiten für Hilfsorganisationen:Nichts für Sozialromantiker

Im Ausland leben, interessante Leute treffen und dabei noch Gutes tun: Von einer Karriere bei internationalen Hilfsorganisationen träumen viele. Doch wer wirklich einen Job will, muss seinen Lebenslauf aufpäppeln - die Konkurrenz ist groß.

Anne-Ev Ustorf

Wenn Matthew Jackson über seine zehn Jahre als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen erzählt, sprüht er vor Begeisterung. "Es gab die absurdesten Situationen", sagt der 33 Jahre alte New Yorker. "Ich habe Seite an Seite mit marxistischen Guerilleros gearbeitet, Hilfskonvois in Krisengebieten organisiert, internationalen Diplomaten beim Volkstanz inmitten von Minenfeldern zugeschaut. So was bekommt man sonst nicht zu sehen." In 15 Ländern hat Jackson für verschiedene Organisationen gearbeitet, unter anderem in Bosnien, Afghanistan und im Sudan. Aufregend, bereichernd, komplex - so beschreibt er seine NGO-Karriere. Heute lebt Jackson in New York und berät Menschen, die im Hilfesektor arbeiten wollen. Denn es ist gar nicht mehr so einfach, einen Job bei internationalen Organisationen zu bekommen.

Security guards watch over Greenpeace activists arrested for raising inflatable model of wind turbine in Brasilia

Wenn Greenpeace-Demonstranten nach einem spektakulären Auftritt festgenommen werden, wirken sie wie Helden im Actionfilm. Doch dieses Image kann die falschen Leute anziehen.

(Foto: Reuters)

Viele NGOs haben sich mittlerweile zu globalen Konzernen entwickelt, die geschickt Millionenspenden eintreiben und sich dabei von großen Unternehmensberatungen coachen lassen. Die deutsche Hilfsorganisation Brot für die Welt zum Beispiel konnte im Jahr 2009 insgesamt 64,7 Millionen Euro einnehmen und damit mehr als tausend Projekte in über 80 Ländern finanzieren. Sie ist Mitglied der ACT Alliance, einem internationalen kirchlichen Netzwerk für humanitäre und Entwicklungshilfe, das 40.000 Mitarbeiter weltweit beschäftigt, Freiwillige nicht mitgerechnet. Auch das Internationale Rote Kreuz ist längst ein ernstzunehmender Arbeitgeber und bietet weltweit mehr als 13.000 Menschen einen Job, Unicef beschäftigt 7500 Mitarbeiter.

Dennoch sind die Hürden bei den Hilfsorganisationen hoch. "Es ist schwer geworden, einen Fuß in die Tür zu kriegen", sagt Jackson. "Die Belegschaften sind inzwischen völlig international. Wer dort arbeiten will, muss sich gegen kluge, qualifizierte und motivierte Leute aus der ganzen Welt durchsetzen."

Doch nicht nur die Hilfsorganisationen, auch die Motive der Berufsanwärter haben sich verändert. Altruismus und soziale Ader waren gestern - seit es als Karrierevorteil gilt, sich sozial zu engagieren, suchen abenteuerlustige Absolventen vermehrt den Weg zu NGOs. Zumindest für ein paar Jahre. Denn Großunternehmen wie Microsoft, Volkswagen oder die Deutsche Bahn achten neben fachlicher Exzellenz heute auch auf soziales Engagement im Lebenslauf. Da kommen ein paar Jahre logistische Aufbauarbeit in Liberia oder regionales Projektmanagement in Guatemala gut an. Mit dem Ergebnis, dass sich im Hilfesektor der Wettbewerb verschärft.

"Man muss bereit sein, ganz unten anzufangen", rät Jackson. "Ein Jahr Freiwilligendienst ist fast schon Voraussetzung ." Danach hätten vor allem Logistiker, Linguisten, Ingenieure, Ärzte, IT-Spezialisten, Psychologen und Agrarwissenschaftler gute Chancen auf Jobs im internationalen Hilfesektor. Das gelte aber auch für Geistes- und Sozialwissenschaftler, die ihren Lebenslauf entsprechend aufzupeppen wüssten, etwa im Hinblick auf ihre Qualitäten beim Verfassen von Berichten oder auf Statistikkenntnisse, die bei Projektauswertungen nützlich sein könnten. Unabdingbar seien außerdem interkulturelle Kompetenz, die Fähigkeit zu verantwortungsvollem Handeln und natürlich eine gewisse Abenteuerlust, denn kaum ein Einsatzgebiet ist hundertprozentig sicher, meint Jackson.

Mitten im moralischen Dilemma

Als Einstieg empfehlen sich vor allem kleine Hilfsorganisationen, Jobangebote finden sich auf Portalen wie www.reliefweb.int oder www.eldis.org oder direkt auf den Webseiten der NGOs. Doch auch hier ist Hartnäckigkeit gefragt. "Hilfsorganisationen sind nicht per se glücklich über jeden, der helfen will", bestätigt die Agrarökonomin Alina Hachtwisch, die für die kleine amerikanische Organisation Catholic Relief Services zwei Jahre in Burundi im Einsatz war und diese Zeit als sehr bereichernd empfand. "Selbst Freiwillige müssen bereits viele Kompetenzen mitbringen. Das nackte Bedürfnis, Menschen in Krisen zu helfen, reicht beileibe nicht aus.

Mehr Schaden als Hilfe

Inwieweit NGOs den Menschen in Krisengebieten allerdings tatsächlich zu helfen vermögen, ist seit einigen Jahren umstritten. Gerade in Bezug auf Afrika plädieren viele internationale Experten mittlerweile für eine Aussetzung der Hilfeleistungen. Denn es hat sich gezeigt, dass internationale Hilfe notleidende Menschen in eine andauernde Abhängigkeit von Almosen zwingen kann und Konflikte bisweilen sogar verlängert.

Meist müssen Hilfsorganisationen den Rebellenführern oder korrupten Regime der Einsatzländer nämlich eine Art Steuer zahlen, um dort überhaupt aktiv werden zu dürfen. So stellte die UN Monitoring Group fest, dass ungefähr die Hälfte aller Nahrungshilfe für das hungernde Somalia - etwa 225 Millionen Dollar pro Jahr - in den Taschen der Warlords, ihrer Geschäftspartner und der korrupten lokalen Mitarbeiter des World Food Programs verschwand. Eine stolze Summe Geld, mit der sich weitere Kriege führen lassen, die wiederum Elend produzieren. Die Hilfe ist also längst zum Geschäft geworden.

Die Täter profitieren

Auch Hachtwisch hat über das moralische Dilemma der internationalen Hilfe ausgiebig nachgedacht. "Jeder, der den Einsatz in einem Krisengebiet plant, hat die Pflicht, sich vorher genau darüber zu informieren", sagt die 36-Jährige. "Und dann muss jeder selbst entscheiden, ab welchem Punkt die Hilfe in seinem Zielland den Opfern mehr schadet, als dass sie Leiden lindert. Denn wenn die Täter stärker profitieren als die Guten, ist es nicht immer die beste Option zu bleiben. Dann werden wir alle zu Mittätern."

Wer also in der internationalen Hilfe tätig werden will, muss viele Kompetenzen mitbringen - von Enthusiasmus und Hartnäckigkeit über akademische Abschlüsse bis hin zu genauen Landeskenntnissen und der Fähigkeit, moralische Dilemmata zu reflektieren. Fazit: Ein Job für Hochqualifizierte.

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