Arbeiten bei der Bank:"Mit Zockerei hat die Krise nichts zu tun"

Banken-Lobbyist Michael Kemmer gibt der Politik die Schuld an der Finanzkrise. Im SZ-Interview spricht er zudem über das schlechte Image der Geldinstitute, böse Investmentbanker sowie brave Kundenberater - und erläutert, warum er jungen Menschen immer noch zum Bankjob raten würde.

Harald Freiberger

Michael Kemmer, 54, ist viel in der deutschen Bankenwelt herumgekommen. Er war bei einem privaten Institut (Bayerische Vereinsbank), bei einem genossenschaftlichen (DG Bank) und bei einem öffentlichen (BayernLB). Wegen der Affäre um die Hypo Alpe Adria musste er dort vor knapp zwei Jahren als Vorstandschef zurücktreten. Seit einem Jahr ist Kemmer Hauptgeschäftsführer des privaten Bankenverbands BdB - und hat gerade wieder viel zu tun, um den Ruf der Banker zu verteidigen.

Chinesiche Yuan und amerikanische Dollar

Ein Job in der Bankbranche? Michael Kemmer hält ihn trotz der Krise für empfehlenswert.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Kemmer, fühlen Sie sich zur Zeit manchmal einsam?

Michael Kemmer: Wieso das denn?

SZ: Neulich in der Talkshow von Maybrit Illner saßen Sie ganz allein da: Alle - Politiker, Börsenexperte, Occupy-Aktivist - haben auf Sie eingeprügelt.

Kemmer: So ist das zur Zeit, die Diskussionen werden sehr emotional geführt, mit rationalen Argumenten kommt man dagegen schwer an.

SZ: Jetzt dürfen Sie "rational" sein.

Kemmer: Die Banken sind für die derzeitige Krise nicht verantwortlich. Es handelt sich um eine Staatsschuldenkrise, die dadurch entstand, dass die Politik nicht solide gewirtschaftet hat. Es fing schon vor Jahrzehnten an und betrifft übrigens nicht nur Griechenland oder Italien. Deutschland und Frankreich haben 2002 als erste die Euro-Verschuldungskriterien gebrochen und die Hürden für andere Länder niedriger gelegt.

SZ: Warum richten sich die Proteste gegenwärtig dann trotzdem hauptsächlich gegen Banken?

Kemmer: Weil zu wenig differenziert wird. Mit Zocken hat die Krise überhaupt nichts zu tun. Staatsanleihen waren ja das Gegenteil von Zockerpapieren. Sie galten über Jahrzehnte als langweilig und absolut sicher. Es war auch politisch gewollt, dass Banken die Verschuldung von Staaten finanzieren und Staatsanleihen kaufen. Deshalb mussten die Institute dafür auch kein Eigenkapital hinterlegen.

SZ: Die Staatsschulden sind auch gestiegen, weil die Staaten in der Finanzkrise Banken retten mussten.

Kemmer: Das trifft auf Irland zu, nicht aber zum Beispiel auf Griechenland; dort wurden 2008 keine Banken gerettet. Die Staatsschulden waren schon vor der Krise in den meisten Ländern sehr hoch. Die Hälfte der Euroländer hat die Maastricht-Kriterien bereits vor 2008 verletzt.

SZ: Stünden denn die Banken ohne die Staatsschuldenkrise derzeit tadellos da?

Kemmer: Für die deutsche Kreditbranche gilt das auf jeden Fall. Die Banken profitieren davon, dass die Konjunktur im Inland so gut läuft. Ohne die Belastungen durch die Schuldenkrise würden sie gute Gewinne machen und könnten ihr Eigenkapital weiter stärken.

SZ: Stattdessen aber wird gerade über eine Zwangskapitalisierung diskutiert.

Kemmer: Nach allem, was aus Brüssel und London verlautet, wird der Kapitalbedarf für deutsche Institute nicht so hoch ausfallen, sie dürften das ohne Staatshilfe in den Griff bekommen. Das ist auch sinnvoll, weil sie gut kapitalisiert sind.

Bankmitarbeiter unter Vertriebsdruck

SZ: Wenn die Politiker die Hauptverantwortung tragen, gleichzeitig aber mit dem Finger auf die Banken zeigen, müssten Sie doch wütend auf sie sein.

Michael Kemmer

"Es ist menschlich, von eigener Verantwortung abzulenken": Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des privaten Bankenverbands BdB, über die Rolle der Politiker in der Krise.

(Foto: AP)

Kemmer: Es bringt nichts, auf überschäumende Emotionen selbst emotional zu reagieren. Ich versuche mit Argumenten zu überzeugen. Ich habe auch Verständnis für Politiker, sie haben eine sehr schwere Aufgabe, und es ist menschlich, von eigener Verantwortung abzulenken.

SZ: Wenn man Sie so reden hört, meint man, Banken hätten nie Fehler gemacht.

Kemmer: Natürlich haben Banken vor der Finanzkrise 2008 große Fehler gemacht. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber seitdem ist bei den Banken viel passiert, um die Missstände abzustellen.

SZ: Der Eindruck ist ein anderer, nämlich dass die Banken genauso weitermachen wie vor der Finanzkrise.

Kemmer: Das stimmt nicht, sie haben ihr Eigenkapital gestärkt und stärken es weiter. Sie sind krisenresistenter. Sie haben die Boni auf langfristige Auszahlung umgestellt, um die Risikobereitschaft der Mitarbeiter einzudämmen. Sie haben das gesamte Risikomanagement verbessert.

SZ:Trotzdem verdienen Investmentbanker wieder Millionen.

Kemmer: Nicht alle, einige werden auch entlassen. Es kommt darauf an, hochspezialisierte Fachkräfte nach Leistung zu bezahlen. Wenn sie für ihre Firmen oder Kunden großen und nachhaltigen Wert schaffen, sollen sie viel verdienen.

SZ: Viele Dinge, die die Finanzkrise mitverursacht haben, sind oder waren bis vor kurzem schon wieder voll am Laufen: Verbriefungen, Zertifikate, riskanter Handel mit Wertpapieren.

Kemmer: Verbriefungen und Zertifikate sind nicht von Natur aus schlecht, sie haben eine wichtige Funktion für die Wirtschaft. Es gilt, die schädlichen Aspekte davon zu vermeiden. Produkte ohne volkswirtschaftlichen Nutzen sind deshalb auch zu Recht wieder vom Markt verschwunden.

SZ: Was in der Öffentlichkeit ankommt, ist, dass Sie sich gegen alle Regulierungsvorschläge sperren.

Kemmer: Das stimmt nicht, wir unterstützen prinzipiell die neuen Baseler Eigenkapitalrichtlinien, und auch das deutsche Restrukturierungsgesetz sehen wir als richtig an. Wir wehren uns nur gegen eine Überregulierung. Es bringt nichts, Banken zu überfordern. Eine Bank, die kein Geld verdient, ist auch nicht in der Lage, unsere Wirtschaft zu finanzieren. Vereinzelt müssen europäische Institute vielleicht kapitalisiert werden, aber nicht in der Breite. Am Ende müsste das Kapital doch wieder von den Staaten kommen und würde deren Verschuldung erhöhen, die ja bekanntlich der Kern der Krise ist.

SZ: Unter Beschuss sind nicht nur die ein Prozent Investmentbanker, sondern auch die 99 vermeintlich braven Bankberater. Verbraucherschützer und Gewerkschaften stellen einen zunehmenden Vertriebsdruck fest, Kunden bekämen nicht das, was sie brauchen, sondern das, was der Bank am meisten Provision bringt.

Kemmer: Die Banken arbeiten daran und nehmen das Thema sehr ernst. Seit der Lehman-Krise haben viele Banken sowohl die Vertriebsvorgaben als auch die Bonifikationssysteme überarbeitet. Im Vordergrund einer jeden Beratung muss das Kundeninteresse stehen. Deshalb werden Vertriebsvorgaben heute dokumentiert und sowohl von der Bank wie auch der Aufsicht kontrolliert. Berater erhalten Anreize bei vielen Banken heute nur noch dann, wenn auch die Kundenzufriedenheit hinreichend berücksichtigt wurden.

SZ: Haben Sie es je bereut, Banker geworden zu sein?

Kemmer: Auf keinen Fall, es ist nach wie vor einer der interessantesten und vielfältigsten Berufe, die es gibt. Ich kann jedem jungen Menschen, der Interesse an wirtschaftlichen Zusammenhängen hat und einen abwechslungsreichen Job sucht, empfehlen, Banker zu werden.

SZ: Haben Sie Nachwuchssorgen?

Kemmer: Die Krise macht sich hier nicht bemerkbar. Die Ausbildung zum Bankkaufmann ist weiterhin beliebt. 2010 Jahr ist die Zahl der Ausbildungsverhältnisse um vier Prozent gestiegen.

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