Süddeutsche Zeitung

Arbeiten auf der Ölplattform:Ein Job für Schwindelfreie

Bohrmeister und Schichtführer gesucht: Erstmals seit Jahren sind wieder viele Stellen bei deutschen Bohrfirmen vakant.

Joachim Göres

Die Preise für Erdöl und Erdgas steigen rasant. Das schmerzt viele Privatleute, doch es gibt auch Freude über diese Entwicklung - nicht nur bei den Produzenten in Russland oder Saudi-Arabien, sondern auch in Deutschland. "Erstmals seit Jahren arbeiten bei unseren Mitgliedsunternehmen wieder mehr als 6000 Menschen", sagt Hartmut Pick, Sprecher des Wirtschaftsverbandes Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) in Hannover. "In der gesamten Branche der deutschen Erdöl- und Erdgasförderer und Zulieferer sind es mehr als dreimal so viel."

Pick hat beobachtet, dass viele Firmen händeringend nach Fachleuten suchen und sich gegenseitig sogar ihre besten Mitarbeiter abwerben. "Der Boom wird die nächsten Jahre anhalten, denn wegen der hohen Energiepreise wird weltweit stark in neue Bohrungen investiert."

Die KCA Deutag Drilling GmbH in Bad Bentheim an der Grenze zu den Niederlanden hat im vergangenen Jahr 50 neue Leute eingestellt, für das kommende Jahr will sie weitere 30 Fachleute verpflichten. Oliver Siebel, Personalleiter des Bohrunternehmens mit insgesamt 780 Mitarbeitern, beurteilt die Lage selbstkritisch: "Wir sind selber schuld, dass uns jetzt die Mitarbeiter fehlen. Jahrelang haben wir nicht mehr ausgebildet, weil klar schien, dass sich neue Bohrungen immer weniger lohnen würden."

Das Problem seiner und etlicher anderer Firmen: Ihnen fehlen Bohrmeister und Schichtführer. Erfahrungen am Bohrturm sind entscheidend, damit die Millionen-Investitionen bei der Suche nach Erdöl und Erdgas nicht buchstäblich in den Sand gesetzt werden. Mehrere Unternehmen schicken darum jetzt langjährige Mitarbeiter an die Bohrmeisterschule nach Celle in Niedersachsen - die einzige Ausbildungsstätte in Europa, in der angehende Bohrmeister und Schichtführer nach den Richtlinien der international anerkannten "Drilling Contractors Association" ausgebildet werden.

Diese erfahrenen Kräfte fehlen nun als Bohrarbeiter. Ersatz wird gesucht, doch es gibt derzeit keine Kandidaten mehr am Markt. Daher wirbt die Agentur für Arbeit bundesweit um Interessenten für eine Weiterqualifizierung zum Bohrfacharbeiter. Besonders gefragt sind Schlosser, Kfz-Mechaniker und Elektrotechniker für den Einsatz in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. "In der DDR gab es eine hervorragende Ausbildung zum Tiefbaufacharbeiter", sagt Siebel, "doch diese Leute sind inzwischen bei Bohrungen in der ganzen Welt aktiv, vor allem in Russland."

Rudi Kriechbaum ist Manager der Oilfield Services Vechta der Schlumberger GmbH. "Wir bieten alle Dienstleistungen rund ums Bohren wie das Ausmessen und Zementieren von Bohrlöchern und haben gut zu tun", sagt er. "Derzeit sind sehr viele neue Erdöl- und Erdgasbohrungen in Deutschland in der Planung, bei den hohen Energiepreisen machen die sich in jedem Fall bezahlt." In dem Unternehmen im emsländischen Vechta arbeiten 150 Beschäftigte, die bei Bohrungen in Deutschland und Österreich eingesetzt werden. Acht neue Leute wurden 2005 eingestellt, weitere werden gesucht. Vor allem Mechaniker, Elektriker und Kraftfahrer. "Qualifizierte Bewerber gibt es genügend. Entscheidend ist, ob sie bereit sind, teilweise auch an Feiertagen, nachts oder längere Zeit in größerer Entfernung von ihrer Heimat zu arbeiten", sagt Kriechbaum.

Von kostenintensiven Bohrungen in großen Meerestiefen wie beispielsweise vor Westafrika, in die immer mehr Geld investiert wird, profitieren Unternehmen mit entsprechender Technik. Der US-Konzern Cameron produziert in seinem deutschen Werk in Celle Ventiltechnik für Unterwasserbohranlagen. Das Geschäft boomt seit Anfang 2005. Im vergangenen Jahr wurden bereits 80 neue Mitarbeiter eingestellt, für dieses Jahr sind weitere 50 Neueinstellungen geplant - von der Fachkraft für die Konstruktion und den Einkauf bis zum Schlosser für die Fertigung.

Nicht nur deutsche Unternehmen buhlen um Fachkräfte. So sucht die Agentur für Arbeit in Emden derzeit im Auftrag von Firmen aus den USA, Norwegen, den Niederlanden und Brasilien bundesweit 500 Männer für die Arbeit auf Bohrinseln vor der Küste Norwegens - Männer im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, die schwindelfrei sind und eine Ausbildung als Elektriker, Mechatroniker, Metallhandwerker oder Landmaschinenschlosser haben. Alkohol ist tabu, eine Zigarette im Freien kostet den Job.

Jahresverdienst: 40.000 Euro

Wer sich bewirbt, sollte fließend Englisch sprechen, denn das ist die internationale Arbeitssprache auf den Bohrinseln. Schon das Bewerbungsanschreiben und der tabellarische Lebenslauf sollten in englischer Sprache abgefasst sein, nur Zeugnisse müssen nicht übersetzt werden. Die Vorstellungsgespräche finden ebenfalls auf Englisch statt.

Von bisher 1000 Interessenten haben nur 100 die erste Hürde bei der Vorauswahl geschafft. Sie erwartet 14 Tage Arbeit am Stück bei zwölf Stunden Dienst pro Tag. Dafür gibt es einen Jahresverdienst von 40.000 Euro bei freier Kost und Logis auf dem Meer.

Warum der Branche in Deutschland bis vor kurzem keine große Zukunft prophezeit wurde, zeigt ein Blick auf die Statistik. Vor 40 Jahren lag die Erdölförderung noch mehr als doppelt so hoch wie heute und ging seitdem bis vor kurzem kontinuierlich zurück. Das in Deutschland geförderte Erdöl kann nicht einmal drei Prozent des heimischen Verbrauchs decken. Die inländische Erdgasproduktion ist dagegen in den letzten zehn Jahren relativ stabil und spielt für die heimische Energieversorgung eine wesentlich größere Rolle: 19 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases kommt aus heimischen Quellen, vor allem aus der Nordsee und dem Emsland.

Wie lange überhaupt noch nach Erdöl und Erdgas gesucht wird, darüber streiten die Experten. Zwar gibt es jedes Jahr Schätzungen zu den weltweiten Reserven, doch diese Zahlen verändern sich ständig - sie sind abhängig vom Preis und vom technischen Fortschritt, der heute Bohrungen möglich macht, die vor ein paar Jahren noch undenkbar waren.

Die Freude darüber ist nicht ungeteilt. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert, keine neuen Ölfelder mehr zu erschließen, weil alleine durch die Förderung des Erdöls riesige Mengen von Kohlendioxid an die Umwelt abgegeben werden - ganz zu schweigen von den Millionen Tonnen Erdöl, die jährlich durch undichte Pipelines in vielen Ländern verloren gehen.

Kontakt: Über die Weiterbildung zum Bohrfacharbeiter informiert die Agentur für Arbeit in Celle unter Tel. 05141-961888. Bewerbungen um Jobs auf Bohrinseln vor Norwegens Küste können bis Ende Februar schriftlich an die Agentur für Arbeit in Emden gerichtet werden, Herr van Laaten, Schlesierstr. 10-12, 26723 Emden, Stichwort Bohrinsel, Tel. 04921-808302.

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Quelle:
SZ vom 21.2.2005
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