Süddeutsche Zeitung

Arbeitswelt:Kann man Berufliches und Privates überhaupt trennen?

Arbeiten heißt heute auch, Kollegen am Privatleben teilhaben zu lassen. Die neue Arbeitswelt verlangt danach - auch wenn das manchmal Einblicke bringt, die man niemals haben wollte.

Von Angelika Slavik

Das Wochenende ist ja eine ausgezeichnete Gelegenheit, mal über grundlegende Fragen nachzudenken, vor allem, wenn die meisten Kollegen ein verlängertes Wochenende voller Fun, Fun, Fun haben und man selber eines voller Work, Work, Work. Dass die anderen ein sehr gutes Wochenende haben, weiß man, weil sie Fotos bei Facebook oder Instagram posten. So ist man immer recht gut informiert - manchmal auch über die Dinge, die man lieber nicht gewusst hätte. Welcher Kollege im Urlaub auf Flamingoshorts und Schlapphut setzt zum Beispiel. Oder wer unterm Hemd bemerkenswert behaart ist.

Von derlei Herausforderungen fürs subjektive ästhetische Empfinden mal abgesehen, ist interessant, wie sehr sich das Verhältnis von Privatheit und Professionalität verändert hat. Während früher erwartet wurde, Berufliches und Persönliches klar zu trennen, ist das heute nicht nur schwer geworden - es ist aus der Zeit gefallen. Arbeiten heißt heute, Einblicke in sein privates Leben zuzulassen, ob man will oder nicht.

Das hat, erstens, damit zu tun, wie sich die Arbeitswelt verändert hat. Viele Menschen arbeiten heute in Arbeitszeitmodellen, die die Trennlinie zwischen Freizeit und Job verschwimmen lassen. Wer zum Kindergarten hetzt und gleichzeitig ein berufliches Telefonat führt, muss dem Gesprächspartner zwangsläufig erklären, warum es erst Anzeichen von Atemnot und dann Benjamin Blümchens größte Hits im Hintergrund zu hören gibt.

Dazu kommt, dass digitale Vernetzung heute zum professionellen Kontaktmanagement gehört. Während bei Businessnetzwerken wie LinkedIn oder Xing die Lage einfach ist, wird es bei Facebook oder Instagram komplizierter - manche Menschen nützen diese Plattformen dienstlich, manche privat, oft vermischen sich die Dinge, weil man eine Freundschaftsanfrage von einem wichtigen Job-Kontakt nicht ablehnen will. Und dann ist der künftig eben auch über alles informiert: Kindergeburtstag, Bergbesteigung, Flamingobadehose.

Manchem Kollegen entkommt man auch auf Instagram nicht

Dazu kommt aber auch, drittens, dass sich die Ansprüche von Mitarbeitern nicht mehr mit jenen früherer Generationen vergleichen lassen. Lange hat die Hierarchie im Unternehmen ausgereicht, um Vorgesetzten die Akzeptanz und damit auch die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiter zu sichern. Das funktioniert nicht mehr, weil die jungen Arbeitnehmer Aufgaben und Strukturen sehr kritisch hinterfragen. Zudem ist Wirtschaft komplex und schnelllebig geworden, das gibt Mitarbeitern in Schlüsselpositionen automatisch viel Einfluss.

Wer in dieser Gemengelage also Führungsverantwortung hat, muss verstehen, dass Loyalität und Leistungsbereitschaft von Arbeitnehmern heute maßgeblich an der Persönlichkeit ihrer Vorgesetzten hängen. Und in diese Persönlichkeit muss man dann eben auch Einblick gewähren - denn für einen unnahbaren Chefroboter strengt sich niemand mehr an, als unbedingt notwendig.

Diese neue Privatheit im Job bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Wer das Chaos seines Alltags mit den Kollegen teilt, erwartet Verständnis, wenn kotzende Kinder oder anstrengende Schwiegermütter die eigene Leistung beeinträchtigen. Das ist für Kollegen nicht immer einfach, deshalb muss man verdammt kritisch mit sich selbst sein - und sicherstellen, dass man das wieder ausgleicht, wenn demnächst beim Kollegen die Kinder kotzen.

Weil man der Entwicklung also ohnehin nicht entkommen kann, blättert man vielleicht mal abends durch eines dieser alten Fotoalben, die nur betrachten kann, wer sie gerade in der Hand hat. Vielleicht findet man ein Bild aus Kindertagen. Fotografiert es ab, postet es bei Instagram und schreibt dazu: "Good old times." Gibt sicher viele Likes von den Kollegen.

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