Arbeit - Papenburg:Betriebsratschef der Meyer-Werft pokert um Hunderte Jobs

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Die Meyer-Werft in Papenburg. Foto: Sina Schuldt/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Papenburg (dpa/lni) - Für Nico Bloem ist klar, auf wessen Seite er steht. "Ich habe mich entschieden, dass ich immer ein Vertreter von sozialer Gerechtigkeit sein werde", sagt der Betriebsratschef des größten deutschen Schiffbaubetriebs, der Meyer-Werft in Papenburg. IG-Metaller ist er, SPD-Mitglied, und auch da entschieden links: "Ich sehe die SPD nach wie vor als Arbeiterpartei."

Der klassenkämpferische 26-Jährige steht im Zentrum des bitteren Arbeitskampfes bei dem kriselnden Kreuzfahrtschiffbauer. Als Betriebsrat versucht er, den Verlust Hunderter Stellen abzuwenden. Natürlich müsse er das große Ganze im Blick haben, sagt Bloem. "Aber gewählt ist man als Vertreter der Belegschaft."

Anderthalb Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat die Werft kein vereinbartes Konzept, wie die Jahre bis 2025 überstanden werden sollen. Seit Monaten liegen beide Seiten über Kreuz. Die Leitung um Seniorchef Bernard Meyer und seine Söhne Jan und Tim wirft Bloem und der örtlichen IG Metall vor, durch unbezahlbare Maximalforderungen den Bestand des Unternehmens zu gefährden.

Mit einer Online-Befragung versuchte die Leitung zuletzt, ohne Betriebsrat die Zustimmung der Mitarbeiter zum Abbau von 660 Jobs zu gewinnen. Das ging selbst Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu weit. Er habe dieses Vorgehen "als ein Foul empfunden", sagte er. Weil rief beide Seiten zu gutem Willen auf. Die Landesregierung hat mehrfach versucht zu vermitteln. Aber Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) stellte schon im April fest: "Die Sozialpartnerschaft vor Ort ist äußerst schwierig, und jede Partei erhebt Vorwürfe gegen die jeweils andere Partei."

Bloem konterte den Vorstoß von oben mit einer Betriebsversammlung vor den Werfttoren, zu der am Montag über 1000 Beschäftigte kamen. Er ist bodenständiger Emsländer. In Weener im Stadtteil Möhlenwarf wuchs er auf, dort wohnt er mit Freundin und baut am Wochenende am neuen eigenen Haus. Wie viele Jungen wollte er Fußball-Profi werden, spielte von der F-Jugend bis zu den Herren. Aber dann ging er doch zur Werft und lernte Schiffbauer. Zwei Onkel arbeiten ebenfalls bei Meyer, einem der größten Arbeitgeber an der Ems. Sein Onkel Paul Bloem war früher ebenfalls Betriebsratschef. Nun gehört er zur Geschäftsführung, zuständig für Beziehungen der Werft in die Politik.

Der Neffe trat am ersten Tag als Azubi der IG Metall bei und wurde nach einem Jahr Jugendvertreter im Betriebsrat. 2018 wählte ihn die Belegschaft an die Spitze ihrer Vertretung. Es sei Bloem gelungen, mögliche Bedenken wegen seiner Jugend und wegen seines Onkels auszuräumen, sagt Thomas Gelder, einer seiner Unterstützer und Bevollmächtigter der IG Metall für Leer/Papenburg. Auch Gelder war mal Betriebsratschef bei Meyer, so klein ist die Welt im Emsland. "Man muss wirklich Respekt haben vor dem Mut, den Nico hat", sagt er. "Wenn er von etwas überzeugt ist, dann kämpft er beharrlich."

Bei der Geschäftsführung kommt das als unverantwortliche Sturheit des Duos Bloem/Gelder an. "Wir kommen nicht zueinander. Der Betriebsrat und die IG Metall in Leer erkennen den Ernst der Lage nicht", sagt Jan Meyer. Die Ozeanriesen des 226 Jahre alten Familienunternehmens haben keine Konjunktur. Selbst wenn nach dem Corona-Stillstand dieser Tage erste Kreuzfahrtschiffe wieder in See stechen, werden auf Jahre hinaus kaum Neubauten gebraucht. Die Werft will bis 2025 nicht drei, sondern nur zwei Schiffe jährlich bauen. 40 Prozent weniger Arbeit bedeuten ,dass 1,2 Milliarden Euro eingespart werden müssen.

Nach Tonnage steht die Meyer-Werft in guten Jahren für drei Viertel des deutschen Schiffbaus. Aber es bleibt die Schwachstelle, dass ihre technisch ausgefeilten Kreuzfahrtschiffe 40 Kilometer vom Meer entfernt entstehen und immer über die schmale Ems geschleppt werden müssen.

Bei den Ablegern der Meyer-Werft in Rostock und in Turku in Finnland gab es Einigungen über einen Personalabbau - nur in Papenburg nicht. Streitpunkt sind die Fremdfirmen. Die Meyer-Werft vergibt Aufträge an Spezialfirmen, die Küchen oder Theater bauen. Aber auch am Schiffbau arbeiten Werkvertragsfirmen mit Tausenden Leiharbeitern aus Osteuropa mit. Das Unternehmen setzt auf diese Mischkalkulation, um den Preis ihrer Schiffe - oft eine Milliarde Euro - wettbewerbsfähig zu halten.

Der Betriebsrat will, dass die eigenen Meyer-Leute die Schiffe bauen. "Das Argument, dass es keine Arbeit gibt, zieht einfach nicht mehr", sagt Bloem. Der bittere Streit über die Werkverträge bei Meyer ist älter als die Krise und seit Jahren ungelöst.

Derzeit plant Personalchefin Anna Blumenberg für die noch 3900 Mitarbeiter zählende Belegschaft so: Von 660 Stellen sollen viele über Vorruhestand oder Freiwilligkeit abgebaut werden, um Kündigungen gering zu halten. Jeder verbliebene Mitarbeiter soll aber 200 Stunden im Jahr unbezahlt arbeiten. Die Wochenarbeitszeit werde von 35 auf 39 Stunden aufgestockt. Mit diesem Beitrag könne die Werft kostenneutral den Arbeitsanteil der Fremdfirmen senken. Um dies durchzusetzen, soll beim Arbeitsgericht eine sogenannte Einigungsstelle beantragt werden

Bloem verneint die Frage, ob seine Seite die Chance zu einer Einigung verpasst habe. Es sei nicht ernsthaft verhandelt worden. "Unser oberstes Ziel ist es, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden", sagt er. Natürlich sei ihm bewusst, dass es Einschnitte geben werde. "Aber dafür wollen wir auch etwas haben." Persönlich hat er sein Schicksal mit der Werft verknüpft. Als SPD-Fraktionsvize im Stadtrat von Weener wurde er gefragt, ob er als Bürgermeister kandidieren wolle. "Ich habe ganz klar gesagt, meine Aufgabe ist es, für die Kolleginnen und Kollegen zu sorgen."

© dpa-infocom, dpa:210607-99-892747/5

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