Fieber, Kopfschmerzen, Husten: Die Zahl der Grippe-Erkrankten hat besonders in Bayern rasant zugenommen. Anfang Februar meldete das Landesamt für Gesundheit, dass sich die Zahl der an Influenza Erkrankten in der fünften Kalenderwoche auf 9043 Fälle fast verdoppelt hat. 2019 waren es zu diesem Zeitpunkt nur etwa 5600 Fälle.
Obwohl eigentlich jeder weiß, dass man krank besser daheim bleiben sollte, gehen viele trotzdem in die Arbeit. Heiko Breitsohl forscht an der Universität Klagenfurt zum so genannten Präsentismus. In einer aktuellen Übersichtsarbeit kommt er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zum Schluss: Wir wissen zu wenig über das Phänomen und seine Bedeutung und Folgen werden gravierend unterschätzt.
SZ: Herr Breitsohl, Sie sind bestimmt noch nie krank in die Arbeit gegangen, oder?
Heiko Breitsohl: Wir haben es alle schon getan. Vor kurzem musste ich mir selbst wieder die Frage stellen, ob ich in die Uni gehe oder doch besser zu Hause bleibe und mich auskuriere.
Und?
Ich bin daheim geblieben, obwohl ich einen wichtigen Termin verpasst habe.
Warum fällt diese Entscheidung so schwer? Wieso bleiben wir nicht einfach zu Hause, wenn wir krank sind?
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Aber meistens ist es die Angst vor möglichen negativen Konsequenzen. Angenommen, ich bin Leiharbeiter bei einem Automobilunternehmen und stehe vor der Entscheidung, ob ich krank in die Arbeit gehe oder zu Hause bleibe. Ich will aber einen guten Eindruck hinterlassen. Also schleppe ich mich vermutlich lieber krank ins Büro.
Was gibt es sonst noch für Gründe?
Bei vielen ist es so, dass sie ihre Kollegen nicht im Stich lassen wollen. Das ist ja grundsätzlich ein schöner Gedanke, aber natürlich auch problematisch. Dazu kommt, dass andere Kollegen sich daran ein Beispiel nehmen und denken, dass es im Unternehmen anscheinend normal ist, krank in die Arbeit zu gehen. Andere stecken mitten in einem großen Projekt und haben Angst, dass sie Deadlines nicht einhalten können.
Welche Rolle spielen Führungskräfte in dieser Dynamik?
Auf sie wird als Erstes geschaut. Wenn die Chefin oder der Chef krank in die Arbeit kommt, dann hat das eine gewisse Symbolkraft. Ich glaube, es wäre viel besser, wenn auch Führungskräfte offener kommunizieren, wenn sie mal krank sind - und dann auch zu Hause bleiben.
Wie oft kommt es denn überhaupt vor, dass Menschen krank ins Büro gehen?
Ich glaube, wir sprechen hier über ein unterschätztes Phänomen. Bei Befragungen geben die meisten Menschen an, an mehreren Tagen im Jahr krank zur Arbeit zu gehen. Das vernünftig zu messen, ist aber tatsächlich extrem schwierig. Es beginnt schon bei der Frage: Wann ist man eigentlich krank?
Wird in Betrieben zu wenig über das Thema gesprochen?
Ja, oft ist zum Beispiel überhaupt nicht klar, wie die Vertretung bei Krankheitsfällen geregelt ist. Wer übernimmt welche Aufgaben? Was natürlich auch hilft, ist eine gute Teamkultur, wenn man weiß, dass man sich aufeinander verlassen kann. Der Worst Case sind Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Boni auszahlen, wenn sie unter einer bestimmten Anzahl an Krankheitstagen bleiben. Das ist bedenklich - und macht noch dazu betriebswirtschaftlich wenig Sinn. Ich gehe davon aus, dass einem Unternehmen kranke Mitarbeiter im Büro auf längere Sicht mehr schaden, als solche, die deswegen nicht erscheinen.
Warum?
Wer krank in die Arbeit geht, kann sich in dieser Zeit nicht auskurieren. Das heißt: Früher oder später bleibt man dann wahrscheinlich doch zu Hause. Fehltage gibt es am Ende meistens also ohnehin. Und logischerweise ist man angeschlagen nicht sonderlich produktiv.
In vielen Betrieben gibt es mittlerweile die Möglichkeit zu Homeoffice. Arbeiten dadurch noch mehr Menschen, die sich eigentlich erholen sollten?
Darüber gibt es noch keine Zahlen. Es ist auf jeden Fall so: Laut einigen Studien neigen Menschen im Homeoffice dazu, mehr zu arbeiten als im Büro. Und natürlich gibt es daheim auch keine Kollegen, die merken können, dass man nicht fit ist - und einen auch vielleicht darauf ansprechen. Auf der anderen Seite kann Homeoffice aber auch gut funktionieren, vor allem bei einem Schreibtischjob. Zum Beispiel, wenn man sich ein Bein gebrochen hat. Früher hätte man sich da gleich wieder mit Gips ins Büro schleppen müssen.