Süddeutsche Zeitung

Büro:"Wir haben uns an den Schreibtisch gefesselt"

Warum arbeitet kaum jemand im Stehen? Und woher kommt die Sehnsucht nach einem festen Platz? Psychologin Stephanie Wackernagel über Gewohnheiten im Büro.

Interview von Julian Erbersdobler

Jeder weiß, dass langes Sitzen ungesund ist - aber fast niemand steht auf. Woran liegt das? Stephanie Wackernagel ist Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Sie forscht zum Thema, berät aber auch Firmen bei Transformationsprozessen. Im Interview erzählt sie, warum wir feste Arbeitsplätze bevorzugen und was gegen Großraumbüros spricht.

Frau Wackernagel, wieso ist es so wichtig, wie Büros konzipiert sind?

Stephanie Wackernagel: Zwischenmenschliche Spannungen lassen sich wunderbar auf die Spitze treiben, wenn man viele Mitarbeitende in einen Raum steckt. Genauso kann man aber auch verhindern, dass Kollegen zusammenarbeiten, wenn man alle räumlich voneinander trennt und es kaum Möglichkeiten zum Austausch gibt. Das Büro ist ein Potenzialraum, es hat das Potenzial, die Arbeit hochgradig zu fördern oder hochgradig zu torpedieren. Das ist, glaube ich, bei vielen Firmen noch nicht ganz angekommen.

Wie ist es mit dem Potenzial eines Großraumbüros? Fördert oder torpediert es die Arbeit?

Ich würde niemandem ein reines Großraumbüro empfehlen. Vor zehn, fünfzehn Jahren sind Büros sehr offen gestaltet worden, damit mehr miteinander gesprochen wird. Das Problem: Oft gab es einfach keine oder zu wenige Orte, an die man sich zurückziehen konnte. Bei manchen Start-ups ist es auch heute noch so, dass erstmal alle in einem Raum arbeiten, weil das billiger ist. Am Anfang verstehen sich noch alle prächtig, aber dann wird die Firma größer und der Raum immer voller, bis es irgendwann knirscht. Das ist ab einer bestimmten Menge an Personen kaum zu verhindern.

Also alle wieder zurück in kleinere Büros?

So einfach ist es nicht. Unsere Erhebungen zeigen, dass sich der durchschnittliche Büroarbeitende zu etwa 50 Prozent am Tag in Alleinarbeit konzentrieren muss. Die restliche Arbeit wird mit anderen erbracht, zum Beispiel in Meetings, Telefonaten oder informellen Abstimmungen. Wenn zwei Personen am gleichen Projekt arbeiten, dann ist ein Doppelbüro sehr gut für die Zusammenarbeit geeignet. Wenn sie das aber nicht tun, muss man sich fragen, ob ein Zweierzimmer sinnvoll ist. Wenn einer telefoniert, kriegt der andere das ganze Gespräch mit. Im Idealfall ist eine Arbeitsumgebung so gestaltet, dass es offene Strukturen gibt, aber auch Möglichkeiten, sich allein oder mit anderen zurückzuziehen.

Machen sich Firmen bei der Platzwahl ihres Personals zu wenige Gedanken?

Ein Problem ist, dass gerade größere Unternehmen heute so schnell wachsen, dass sie an räumliche Grenzen stoßen. Es gibt Firmen, in denen fast täglich Mitarbeitende umziehen müssen. Das hat zum einen finanzielle Gründe, liegt häufig aber auch einfach an der Tatsache, dass je nach Projekt immer andere Teamkonstellationen erforderlich sind.

Brauchen Menschen heute keine festen Arbeitsplätze mehr?

Die Sehnsucht ist definitiv noch da. Aber da geht es stark um die symbolische Bedeutung. Mein Arbeitsplatz ist meine vertraglich gesicherte Möglichkeit, Geld zu verdienen. Und wenn mir mein Arbeitgeber diesen festen Platz wegnimmt, ist das nicht ohne. Bin ich meinem Unternehmen dann überhaupt noch etwas wert? Und wenn sich Mitarbeiter diese Frage stellen, wird es kritisch. Da geht es dann aber längst nicht mehr um Möbel, sondern um Wertschätzung und Unternehmenskultur.

Was meinen Sie damit?

Wenn ich sehr viel arbeiten muss und überlastet bin, wird ein teurer, ergonomischer Bürostuhl nicht reichen. Vielleicht macht er es mir ein wenig erträglicher, aber am großen Ganzen ändert sich dadurch nichts.

Wie wichtig ist heute das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz? Und was bedeutet das für die Einrichtung von Büros?

Lassen Sie mich das mit einem Beispiel erklären: Ich finde es gut, dass immer mehr Unternehmen höhenverstellbare Schreibtische anbieten. Das Problem: Im Büro verstellt fast niemand regelmäßig seinen Tisch.

Warum nicht?

Weil den Mitarbeitenden niemand ausreichend erklärt hat, wie sie die Tische nutzen können. Büroarbeit wurde über Jahre immer mit dem Sitzen verbunden. Oder überspitzt formuliert: Wir haben uns an den Schreibtisch gefesselt. Und jetzt müssen wir versuchen, den Menschen dazu zu bringen, zumindest manchmal aufzustehen. Das heißt nicht, dass jemand zwischendrin Krafttraining machen muss. Es geht eher darum, dass der Kreislauf immer wieder mal kurz aktiviert wird.

Und wie animiert man Mitarbeiter am besten zum Aufstehen?

Das fängt bei der Einrichtung eines Büros an. Man kann die Papierablage zum Beispiel nicht direkt neben den Schreibtisch platzieren, sondern einfach ein paar Meter weiter weg. Ein kleiner Schritt, aber immerhin. Sie glauben gar nicht, wie schwer das beim Drucker war. Früher gab es viel mehr Geräte, die im Büro standen. Zum Schutz der Gesundheit stehen sie heute meistens im Flur oder in einem eigenen Raum. Aber es war ein regelrechter Kampf, den Menschen ihren persönlichen Drucker "wegzunehmen". Das ist immer eine Frage der Gewohnheit.

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