Süddeutsche Zeitung

Arbeit und Corona:Heikle Besuche

Möbelpacker, Installateure, Pflegedienste: Sie betreten jeden Tag fremde Wohnungen, um ihren Job auszuüben. Sie müssen sich und ihre Kunden schützen. Über das Arbeiten im Hochrisikogebiet.

Von Matthias Kreienbrink

Simone G. braucht manchmal ziemlich lange, bevor sie eine Wohnung betreten kann. Wenn zum Beispiel einer ihrer Patienten an Covid-19 erkrankt ist. "Dann trage ich einen Ganzkörper-Kittel aus Plastik, eine Brille, die FFP2-Maske. Ich produziere dann echt viel Müll. Und mal zwischendurch für fünf Minuten einen Besuch abzustatten, ist so nicht mehr möglich", sagt die Altenpflegerin. Ihre Arbeit sei durch die Pandemie mühsam und kräftezehrend geworden. Doch trotz allem treffe sie in den Wohnungen vor allem auf eins - auf Verständnis.

So wie Simone G. müssen hunderttausende Deutsche täglich wegen ihres Berufes fremde Wohnungen betreten. Dort kümmern sie sich um kranke Menschen, reparieren Wasserhähne, bauen Möbel auf oder renovieren Küchen. Auch sie sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, werden bei Impfungen aber oft nicht bevorzugt. Was erleben sie an ihren wechselnden Arbeitsplätzen? Und wie gehen sie mit den Risiken um, denen sie sich ständig aussetzen müssen?

"Über Monate habe ich jeden zweiten Tag einen PCR-Test durchgeführt. Ohne Nasenbluten ging das zuletzt nicht mehr", sagt die 37-jährige Simone G., die nicht mit vollem Namen genannt werden möchte. Schließlich habe ihr Arbeitgeber andere Tests besorgt, die nicht so tief in die Nasenhöhle eingeführt werden müssen. "Die kosten 20 Cent mehr pro Test", sagt sie, "es ist nicht selbstverständlich, dass ein Arbeitgeber das macht."

Wen sie in der Wohnung antreffen, wissen sie vorher nicht

Simone G. ist inzwischen geimpft, mit Astra Zeneca. Sie arbeitet bei einem kleinen mobilen Pflegedienst, sieben Pflegekräfte für etwa 70 Patienten und Patientinnen, die in ihren Wohnungen versorgt werden müssen. "Ich spüre eine Grundtraurigkeit bei vielen der älteren Menschen. Sie sitzen zu Hause, sind isoliert. Viele weinen, und ich stehe dann vor der Entscheidung, ob ich zum nächsten Patienten eile oder mir die Zeit nehme. Ich kann so jemanden nicht einfach so zurücklassen."

Auch darum sei ihr Tag heute voller als sonst: Den Menschen fehle der Kontakt zu anderen, oft sei sie die einzige Person, die gerade überhaupt noch die Wohnung betrete. "Offene Ohren und Empathie können aber nicht abgerechnet werden, diesen Mehraufwand machen wir unentgeltlich." Simone G. verdient 2600 Euro brutto für eine 40-Stunden-Woche, zu der auch Schichtdienste am Wochenende gehören.

Die meisten Patientinnen und Patienten, denen sie täglich begegnet, verhalten sich rücksichtsvoll. Tragen selbst Maske, halten Abstand oder melden sich, wenn sie sich krank fühlen. Sie seien dankbar für die Zeit, die sie sich nehme, sagt die Altenpflegerin. "Ich habe aber auch schon erlebt, dass der Sohn einer infizierten Patientin bei dieser in der Wohnung zu Besuch war. Als ich fragte, ob er ebenfalls positiv getestet sei, sagte er nur: Ja, aber ich gehe ja gleich wieder."

Tests müssen Arbeitgeber erst seit ein paar Tagen bereitstellen

Manchen Angehörigen sei einfach nicht bewusst, dass auch Pflegekräfte das Recht haben, geschützt zu werden. Auch erlebe sie öfter Menschen, die durch Falschinformationen beunruhigt seien, sagt Simone G.: "Dann höre ich zum Beispiel: Der Karl-Heinz in der Nachbarschaft hat gesagt, dass die Mutationen nur wegen den Impfungen da sind. Und ich bin dann in der Rolle zu erklären, dass das nicht stimmt." Diese Aufgabe sei eine zusätzliche Belastung.

Auch Klaus Pölloth hat in den vergangenen Pandemie-Monaten Menschen erlebt, die ihm "echt nah auf die Pelle gerückt sind", erzählt der 53-jährige Servicetechniker. Er bitte diese Personen dann, Abstand zu halten. Einige verstünden das, andere aber nicht. Pölloth installiert und repariert elektrische Schließanlagen an Türen. Meistens in Bürogebäuden oder auf Großbaustellen, ab und zu auch in Privatwohnungen. Besonders am Anfang der Pandemie habe seine Psyche unter der Arbeit gelitten, sagt Pölloth. Er habe sich weniger um sich gesorgt. "Aber was, wenn ich mich anstecke und das Virus dann unwissentlich in Privatwohnungen trage?"

Die größten Sorgen würden ihm aber die Großbaustellen machen. "Da laufen so viele ohne Maske und Abstand rum. Fließendes Wasser gibt es oft nicht, auf Hygiene wird nicht geachtet", sagt Pölloth. Angestellt ist er beim Sicherheitstechnik-Unternehmen Ammon mit 450 Mitarbeitern, 15 davon besuchen auch Privatwohnungen. Betrieblich getestet wurde Klaus Pölloth bis vor einer Woche nicht. Auf Nachfrage beim Arbeitgeber heißt es: "Das Testen haben wir an einzelnen Standorten im März begonnen und rollen es aktuell noch auf weitere Standorte aus."

Die Sorge, das Virus zu verbreiten, treibt auch Jens F. um. Er liest Wasserzähler in Wohnungen ab oder tauscht diese aus, mit vollem Namen möchte er nicht in der Zeitung stehen. In seinem Auto hat er ein 50er-Pack mit Masken, die sein Vater gekauft hat. Jens F. arbeitet in einem kleinen Familienbetrieb, er betritt täglich etwa 20 Wohnungen. Zwanzig Mal das Risiko, angesteckt zu werden - oder jemanden anzustecken.

"Die allermeisten Kunden sind sehr distanziert", sagt er. "Früher hieß es mal: Ich habe gerade einen Kaffee gemacht. Möchten Sie auch eine Tasse? Aber das passiert heute nicht mehr. Und ich merke, dass besonders ältere Menschen unter der Situation leiden."

Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung beschlossen, dass Arbeitgeber Tests verpflichtend bereitstellen müssen, wenn ihre Angestellten nicht im Home-Office arbeiten können. Seit dem vergangenen Dienstag ist einmal in der Woche ein kostenloser Test anzubieten, zweimal pro Woche bei "Beschäftigtengruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko". Aber wer wird das kontrollieren? Wer das Heer von Beschäftigten überprüfen, die täglich fremde Wohnungen betreten müssen?

Oft bleibt die Verantwortung allerdings einfach bei den Arbeitnehmern hängen. So wie bei dem Möbelpacker, der Online-Bestellungen für große Einrichtungsfirmen ausliefert und Möbel in Privatwohnungen aufbaut. Der Mann, der anonym bleiben will, hatte bereits stundenlang die neuen Schrankwände in der Wohnung einer Kundin montiert, als sie ihm mitteilte, sie sei übrigens positiv getestet worden. Entsetzt sagte er alle weiteren Aufträge ab und begab er sich für eine Woche in Quarantäne. Als Stundenlohn-Kraft bedeutete das für ihn, dass an den folgenden Tagen alle Einnahmen wegfielen.

Auch wenn es die wenigsten öffentlich zugeben: Es gibt auch Menschen, die in fremden Wohnungen arbeiten und sich selbst nicht immer an die Regeln halten. Die auch mal die Abstandsregeln missachten oder die Maske abnehmen, wenn sie einen Moment entspannen wollen. Die tagelang dieselbe FFP2-Maske tragen, weil sie sich selbst neue kaufen müssten. Während das Pflegepersonal zu großen Teilen geimpft ist, werden Putzkräfte, Möbelpacker oder Heizungsmonteure noch Wochen oder Monate warten müssen.

Hargitta Tilp ist bereits geimpft. Seitdem fühle sie sich endlich wieder wohler in ihrem Beruf, könne den Menschen unbeschwerter nahekommen. Die 39-Jährige ist Hebamme, besucht jede Woche etwa 20 Privatwohnungen. "Viele Mütter sind gerade isoliert, haben höchstens einen Partner bei sich", sagt sie. Keine Familienmitglieder, die sie besuchen, keine anderen Mütter oder Väter, die ihnen helfen könnten.

Wohnungen betritt Tilp nur mit Maske, die sie als Selbständige auch selbst bezahlt. "Mir werden oft Fragen zu Corona gestellt: Was, wenn das Baby sich ansteckt? Wie sieht es mit Impfungen für die Mutter aus?" Für einige sei die Schwangerschaft dadurch schwieriger. Sie versuche dann, den Menschen eine kleine Sicherheit zu geben. Immerhin: Der Terminkalender ist nach wie vor voll. Kinder kommen immer noch zur Welt.

In anderen Berufen ist die Situation schwieriger. "2020 war die Auftragslage noch ziemlich gut. Viele Menschen waren zu Hause und wollten ihre Wohnung verändern", sagt Kerstin Zeiscke, die zusammen mit ihrem Mann Heiko ein Küchenmontage-Unternehmen führt. Inzwischen habe sich das geändert. Nun würden die Leute das Geld zusammenhalten, weil die Pandemie kein Ende zu nehmen scheine. "Noch läuft es, aber wir könnten es uns nur schwer leisten, coronabedingte Ausfälle wegzustecken."

Der Betrieb besteht aus der 48-jährigen Kerstin Zeiscke, die das Sekretariat managt, und dem 52-jährigen Heiko Zeiscke, der zusammen mit einem Gesellen und einem Lehrling zu den Wohnungen fährt. Sie versuchen, nur eine Küche pro Tag zu installieren. Die Reparatur-Besuche haben sie auf maximal drei am Tag heruntergefahren, um das Risiko zu senken.

"Masken, Tests, Desinfektionsmittel - all das kostet auch Geld, von dem wir gerade einfach nicht viel haben", sagt sie. Die Corona-Hilfe der KfW-Staatsbank hätten sie beantragt, jedoch nicht bekommen. "Die Bank wollte die Papiere der letzten fünf Jahre. Weil wir in einem der Jahre zu viel Privatgeld entnommen hätten, wurden uns die Hilfen verwehrt."

Heiko Zeiscke sagt, dass er in dem Pandemie-Jahr nur rücksichtsvolle Menschen erlebt habe. "Die freuen sich ja auf ihre Küchen und sind darum auch gerne bereit, uns den Raum zu lassen und Masken zu tragen", sagt er. Auch hätten einige ihre Termine abgesagt, weil sie positiv getestet worden waren - dann hätten sie einfach einen neuen vereinbart.

Was aber, wenn doch einmal ein Kunde hustet oder man den Abstand nicht einhalten konnte? Wie umgehen mit der permanenten Sorge, dass man sich angesteckt haben könnte? Was wird dann aus dem Unternehmen, was aus der eigenen Gesundheit? Auf diese Fragen weiß auch Heiko Zeiscke keine Antworten. "Was bleibt uns denn übrig? Wir müssen ja irgendwie arbeiten."

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