"Purtukaal, purtukaal" - der Händler preist Orangen an, seine Stimme dringt durch das alte Fenster ins Zimmer von David Martin. "Der kommt immer am Nachmittag", sagt David. Irgendwo im Umland von Damaskus belädt er seinen Pferdekarren mit Obst und Gemüse und verkauft dann seine Ware auf dem kleinen Platz in Souq Sarouja, einem traditionellen Viertel in der syrischen Hauptstadt.
Seine knarzende Stimme vermischt sich mit dem Lachen der Männer, die im Café Backgammon spielen, und dem Gebetsruf des Muezzins. Aus dem Schrank dringt ein leises Miauen. David Martin legt seine Vokabelliste zur Seite, Zeit für eine Pause. An die Geräusche der Millionenstadt hat sich der 23-jährige Brite längst gewöhnt. Doch nun hat vor ein paar Tagen eine Straßenkatze Davids Haus unweit der Altstadt zum Geburtsort für ihre Jungen auserkoren. "Kleine Katzen im Wandschrank sind eine ganz schöne Ablenkung", sagt David.
Im Stadium eines Babys
Der Brite ist seit einigen Wochen in Damaskus, um Arabisch zu lernen. Schon als Jugendlicher begeisterte er sich für Ägypten und die Reisen des Ibn Batuta, des arabischen Marco Polo. Doch von der Sprache verstand er kein Wort, ehe er nach Syrien kam. "Man ist sprachlich im Stadium eines Babys", sagt er, "ein fremdes Alphabet, das fast ohne Vokale von rechts nach links geschrieben wird, und dann der fremde Klang."
Doch die ersten Erfolge kamen schnell: "Ich kann jetzt Schilder lesen. Ich verstehe zwar meist nicht, was darauf steht. Aber gestern habe ich ein Schild entziffert und festgestellt: Da steht tatsächlich Beirut. Das ist, als ob sich dir eine neue Welt öffnet." David hofft, dass die Sprache für ihn nicht nur der Schlüssel zum Verständnis von Straßenschildern, sondern von Kultur, Menschen und Religion sein wird. Er hat in York Entwicklungspolitik studiert, in einem Dorf in Kenia gearbeitet und in London zum Klimawandel geforscht. In einem Master-Studiengang will er sich nach seiner Syrienreise auf den Nahen Osten spezialisieren und dann als Englischlehrer in einem arabischen Land arbeiten. Deshalb lernt er jetzt Arabisch.
Vier Stunden Grammatik
"Mich fasziniert es, wie nah wir hier an Europa sind und wie anders doch alles ist", sagt er. Vor allem die Kontraste seien beeindruckend: "Du hast die uralten Häuser in der Altstadt, aber die jungen Leute leben mitten im 21. Jahrhundert. Überall gibt es Internetcafés mit Flachbildschirmen, und in den alten Häusern werden gebrannte DVDs mit Filmen verkauft, die in Europa noch nicht einmal im Kino laufen."
Diese Faszination teilt David mit mehreren Tausend Sprachstudenten, die jedes Jahr nach Damaskus kommen, um hier Arabisch zu lernen. Die Stadt hat sich zu einem der beliebtesten Ziele für junge Bildungstouristen im Nahen Osten entwickelt. "Hier ist es billig, der Dialekt ist leichter zu verstehen als in Ägypten, und Syrien ist politisch interessant", erklärt Christoph Waidmann den Boom. Der 26 Jahre alte Deutsche besucht gerade einen Anfängerkurs an der Uni. Täglich von neun bis 13 Uhr paukt er Grammatik und das fremde Alphabet, am Nachmittag sitzt auch er mit einer langen Vokabelliste am Schreibtisch.
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"Wie bei Dirty Dancing"
"Anfangs hat mich das Leben hier etwas beunruhigt: Überall hängen Bilder vom Präsidenten, Fahnen von Hamas und Hisbollah", erzählt Christoph. Inzwischen habe er sich aber daran gewöhnt. Er geht regelmäßig zum Kickboxen und ab und zu auf eine Salsa-Party in der Altstadt. Dort gibt es Bier, Einheimische und Ausländer tanzen zusammen - "wie bei Dirty Dancing", sagt Christoph. Nur politische Diskussionen hat er sich abgewöhnt: "Das ist für die meisten Leute ein Tabu, sie haben Angst vor dem Geheimdienst."
Obwohl nur wenige Ausländer direkte Erfahrung mit dem Geheimdienst machen, so kennen doch alle schnell die Geschichten von Partys, die vom "Muhabarat" beendet wurden, von mitgehörten Telefongesprächen und durchsuchten Zimmern. Deshalb steht auch in Waidmanns Pass ein anderer Name als hier in der Zeitung. "Ich habe zwar keine Angst um mein Leben, aber ich möchte nicht ausgewiesen werden", sagt er.
Kein Frieden
Grund seiner Sorge ist sein Doppelstudium: Hebräisch in Israel, Arabisch in Damaskus. Fünf Monate hat er bereits in einem Kibbuz zwischen Haifa und Tel Aviv studiert, jetzt ist er für ein halbes Jahr in der Hauptstadt des Nachbarlandes. Kürzlich war er in Deutschland und hat sich einen neuen Pass organisiert. Denn wer in seinen Unterlagen einen Einreisevermerk aus Israel hat, wird an der syrischen Grenze zurückgewiesen. "Umgekehrt läuft das genauso. Hier herrscht eben kein Frieden."
Internationale Politik
Waidmann ist eigentlich Schauspieler, doch demnächst will er in Israel mit dem Studium beginnen und sich zwei Jahre mit internationaler Politik beschäftigen. "Vielleicht habe ich mit den Sprachkenntnissen bessere Chancen auf einen Job", hofft er. Darauf spekuliert auch Anja Huber, die bereits zum vierten Mal in Damaskus ist. Erstmals hat sich die Geographin in ihrer Abschlussarbeit mit Syrien beschäftigt, inzwischen hat sie ihr Studium in Würzburg abgeschlossen. Sie hofft auf eine Stelle in einem Ministerium oder einer Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich mit dem Nahen Osten beschäftigt. Doch ohne Arabisch hat sie hier keine Chance.
Für Berufseinsteiger wie Anja bietet der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD) Jahresstipendien an, nur zum Arabischlernen. Die 26-Jährige ist seit vergangenem Juli in dem Förderprogramm. Wie alle Ausländer muss sie eigentlich zwei Sprachen lernen: An der Uni studiert sie Hocharabisch, die Sprache der Bildung und Politik, mit ihren syrischen Freunden und einem Privatlehrer spricht sie Dialekt. "Inzwischen verstehe ich die Nachrichten im Fernsehen und kann mich unterhalten", sagt Anja. Allerdings nur im syrischen Dialekt, denn auf der Straße hat jedes arabische Land seine eigene Sprache. Das kann Anja jedoch nicht demotivieren: "Solche Verständigungsprobleme haben die Araber untereinander auch."