Anzügliche Blicke im Labor:"Es gibt Schlimmeres"

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Wissenschaftliche Labore sind Arbeitsplätze wie alle anderen auch - inklusive Anzüglichkeiten. (Foto: Jochen Tack)

Eine Nachwuchswissenschaftlerin fühlt sich von ihrem Betreuer belästigt, weil er ständig auf ihr T-Shirt starrt. Sie wendet sich an eine bekannte Forscherin und Kolumnistin des "Science"-Magazins. Die hat einen überraschenden Rat parat.

Von Dorothea Grass

Eine junge Wissenschaftlerin aus den USA startet mit der Arbeit in einem neuen Labor. Alles ist toll: das Forschungsprojekt, das Labor, selbst der Betreuer. Wenn nur dieses eine Problem nicht wäre. Ständig schaut er der jungen Kollegin aufs Dekolleté.

Die Nachwuchswissenschaftlerin wendet sich an die bekannte Forscherin Alice Huang, eine 76-jährige Mikrobiologin und Virologin vom California Institute of Technology (CalTech). Während ihrer Laufbahn hatte diese sich stets für mehr Frauen in der Forschung eingesetzt. Im Karriere-Ableger des Branchenmagazins Science beantwortet sie in ihrer Kolumne "Frag Alice" regelmäßig Fragen von jungen Kollegen und Kolleginnen, die diese sich nicht in ihrem direkten Arbeitsumfeld zu stellen trauen.

Auch die besagte Nachwuchswissenschaftlerin schreibt dorthin und schildert ihr Problem. Nicht, dass es so schlimm wäre, schiebt sie hinterher, aber schließlich sei ihr Betreuer doch verheiratet. Was tun also?

Mit "guter Laune" gegen anzügliche Blicke?

Alice Huang plädiert in ihrer Anwort für eine entspannte Grundhaltung. Es gehe jeder davon aus, dass man im Arbeitsalltag von asexuellen Wesen umgeben sei, die Realität sehe aber anders aus. So lange der Betreuer nicht zu anderen Maßnahmen greife, solle die junge Frau die Blicke mit "guter Laune" nehmen, die ihr entgegengebrachte Aufmerksamkeit auf die Forschung lenken und sich klarmachen: Es gibt Schlimmeres. Eine sexuelle Belästigung im juristischen Sinne läge ihrer Meinung nach - auch wenn sie keine Juristin sei - nicht vor.

Was folgt, sind unzählige empörte Reaktionen. In den sozialen Netzwerken wird das Thema durch alle Kanäle gejagt. Die New Yorker Autorin Rose Eveleth stößt mit einem Tweet, in dem sie eine Liste mit den schlimmsten Karriere-Ratschlägen für Wissenschaftler eröffnet, den Hashtag #worsesciencecareeradvice an. Es folgen weitere wie zum Beispiel #CrapScienceCareersAdvice.

Die CalTech-Uni hat die Antwort von Alice Huang inzwischen wieder gelöscht. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung entschuldigt sich die Redaktion und begründet das Entfernen der "Frag Alice"-Folge damit, dass die Antwort der Kolumnistin nicht den redaktionellen Standards entspräche und dass sich keine Frau - egal in welcher beruflichen Branche - unwillentlich sexuell motivierter Aufmerksamkeit aussetzen müsse.

Die Frage an sich bleibt dennoch spannend. Was würde eine Expertin aus Deutschland raten? Stephanie Ekrod hat gerade erst ein Buch mit dem Titel "Der weibliche Weg zum Erfolg" veröffentlicht. Aus ihrer Erfahrung als Businesscoach bestätigt sie: "Frauen stecken häufiger zurück." Einen allgemeinen Rat hält sie jedoch für wenig hilfreich. "Ratschläge können auch Schläge sein", sagt sie. Nicht jeder Rat würde auch jedem helfen und ob die betroffene Person überhaupt in der Lage ist, sich nicht davon die Laune verderben zu lassen, sei dahingestellt.

Als Coach vertritt sie grundsätzlich die Auffassung, dass jeder Mensch - egal ob Mann oder Frau - sein Interesse ernst nehmen solle. "Wenn sich jemand in einer Situation unwohl fühlt, dann muss er das zunächst ernst nehmen. Danach sollte er schauen, was er für Möglichkeiten hat, das Blatt zu wenden - und zwar so, dass es am Ende für ihn stimmig ist und auch bleibt."

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Die sich belästigt fühlende Wissenschaftlerin hat Ekrod zufolge viele Möglichkeiten: die direkte Ansprache suchen, Kontakt mindern, Humor zeigen sind nur einige davon. Sich auf die Seite eines der beiden Lager - das von Huang oder ihrer Kritiker - zu schlagen, davon hält die Münsteranerin nichts. Zu schnell käme man da an eine Grenze der Begründbarkeit. Zum Beispiel bei der Frage: Wo darf ein Mann hinschauen und wohin nicht?

Alice Huang übrigens bleibt bei ihrer Haltung. In einem Interview mit dem Branchenportal Inside Higher Ed begründet sie diese mit ihrer persönlichen und beruflichen Erfahrung: "Ich versuche der Schreiberin einen langfristigen Rat mit auf den Weg zu geben."

Mit der Gelassenheit einer Mittsiebzigerin scheint der zu heißen: Willkommen in der Realität, Darling. Mach einfach Dein Ding und stör Dich nicht an Plumpheiten.

* In einer früheren Fassung dieses Textes war ein Übersetzungsfehler, wir bitten dies zu entschuldigen.

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