Anwesenheitspflicht an der Uni:Dösen bis zur Unterschrift

Viele Professoren lassen Anwesenheitslisten herumgehen, um die Teilnahme der Studenten zu kontrollieren - mit fragwürdigem Effekt. Jetzt suchen die Universitäten nach Alternativen.

Ralf Steinbacher

Franz Bosbach hat sich nicht nur Freunde gemacht, als er vor einem Jahr auf die Studentenproteste gegen die Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen reagierte. Er ließ juristisch prüfen, ob eine Kontrolle überhaupt nötig und erlaubt ist. Das Ergebnis, das der Prorektor der Uni Duisburg-Essen bekanntgab, lautete dann kurz gesagt: In Vorlesungen muss die Anwesenheit nicht kontrolliert werden. Nun, gut ein Jahr nach den Protesten, hat sich die Lage aus Sicht der Studierenden zwar verbessert; aber abgeschafft sind die ungeliebten Anwesenheitslisten noch immer nicht überall. Nicht einmal in Vorlesungen.

Studentenstreik an der Münchner LMU, 2009

Schlafen, bis die Anwesenheitsliste vorbei kommt: Die Kontrolle von Studenten bringt nicht immer das, was sich die Professoren erhoffen.

(Foto: Robert Haas)

Im Herbst vergangenen Jahres waren bundesweit Studenten auf die Straße gegangen, um für bessere Studienbedingungen zu demonstrieren. Einer ihrer Kritikpunkte war die Anwesenheitspflicht, die oft erst für die neuen Bachelor-Studiengänge eingeführt worden war. An der Uni Duisburg-Essen hatten Studenten die beiden großen Hörsäle besetzt. Und die Juristen, die Bosbach mit dem Thema beauftragte, betonten dann ganz im Sinne der Studenten: Eine Pflicht zur regelmäßigen Anwesenheit sei wegen "des Rechts der Studierfreiheit rechtlich nur in begrenztem Umfang zulässig".

Daraufhin, sagt Bosbach, dachten einige Dozenten, die Anwesenheitspflicht müsse vollständig aufgehoben werden. Doch das gelte nur für Vorlesungen, die mit einer Prüfung enden. Wird eine "regelmäßige, aktive Beteiligung" verlangt, sieht die Sache anders aus. Dann könne es gerechtfertigt sein, die Studenten zur Anwesenheit zu verpflichten. Diese Regel gilt nun an der Universität Duisburg-Essen seit Sommer.

So klar ist das an deutschen Unis aber selten geregelt: Viele haben in ihren Gremien Verbesserungen diskutiert, dann aber lediglich empfohlen, auf Anwesenheitslisten, bei denen Studenten sich mit ihrer Unterschrift eintragen, zu verzichten. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat die Studentenvertreterin Eva Blomberg "immerhin eine Verbesserung" registriert. Eine klare Linie sei allerdings nicht zu erkennen. So hätten angehende Soziologen im Magister-Studiengang keine Anwesenheitspflicht gehabt. Mit dem Bachelor sei sie eingeführt und bisher auch beibehalten worden. Genau umgekehrt sehe es in der Politikwissenschaft aus.

Blomberg fordert, die Leitlinien, die es für Bayern gibt, auch umzusetzen. In diesen, verabschiedet von Universitäten, Studentenvertretern und dem Wissenschaftsministerium, heißt es: "Anwesenheitspflichten sollen, wo sie sachlich sinnvoll sind, als Empfehlung und nicht als Zugangsvoraussetzung definiert werden, damit die Studierbarkeit und Mobilität erleichtert werden." Empfohlen wird, die Anwesenheitspflicht auf "notwendige Fälle" zu reduzieren und "bei Vorlesungen grundsätzlich keine Anwesenheitspflicht" vorauszusetzen.

Beim bundesweiten "Bologna-Gipfel" im Mai 2010 hatten Studenten das Thema zur Sprache gebracht, mit den Rektoren aber keine Einigung erzielt. "Ich bin kein Fan von Anwesenheitslisten - aber ein großer Fan von Anwesenheit", brachte es Jan-Hendrik Olbertz auf den Punkt. Damals war er Kultusminister von Sachsen-Anhalt, mittlerweile ist er Präsident der Berliner Humboldt-Universität.

Sinnloser Zwang

Aus Sicht der Studenten spricht einiges gegen die Kontrolle: Behinderte und Kranke oder Studierende, die nicht immer Zeit haben, weil sie ein Kind versorgen, einen Angehörigen pflegen oder arbeiten müssen, würden dadurch benachteiligt. Diesem Argument ist der Senat der Uni Münster gefolgt. Nur noch "in begründeten Ausnahmefällen" ist die regelmäßige Teilnahme verpflichtend - bei Exkursionen, Laborarbeiten oder bestimmten Sportveranstaltungen

Eine pauschale Anwesenheitspflicht hält auch Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, nicht für sinnvoll. Sie sei nicht geeignet, die Eigenverantwortung im Studium zu fördern. Manchmal könne aber nur eine begrenzte Zahl von Plätzen genutzt werden, im Labor etwa. Außerdem gebe es Kurse, die aufeinander aufbauen. "In diesen Fällen ist es nur vernünftig, die Studierenden zur Anwesenheit zu verpflichten", sagt Wintermantel.

Warum das aber für Vorlesungen gelten soll, versteht Ronny Matthes vom AStA der Freien Universität (FU) Berlin nicht: "Solange ein Dozent gute Lehre anbietet, kommen die Leute auch." An der FU sei die Anwesenheitspflicht ausgesetzt worden, letztlich werde es aber den Professoren überlassen, ob sie sich daran halten. In Erfurt ist in der Rahmenprüfungsordnung festgelegt, dass seinen Prüfungsanspruch verliert, wer mehr als zwei Vorlesungs- oder Seminartermine verpasst hat. Auch dort wird das von den Dozenten unterschiedlich gehandhabt, sagen Studenten.

Der Senat der Goethe-Universität in Frankfurt hat sich darauf verständigt, die Anwesenheitspflicht zumindest in den Vorlesungen nicht mehr zu kontrollieren, und es den Fachbereichen freizustellen, ob sie in den Seminaren beibehalten werden soll. Allerdings wird diesen Empfehlungen offenbar nicht immer gefolgt. Der Studentenvertreter Jonas Erkel jedenfalls sagt, er wisse aus eigener Erfahrung, dass im Fach Geschichte auch in Vorlesungen überprüft werde, wer anwesend ist.

Und der Student kennt auch die Blüten, die solche Kontrollen treiben: Gute Vorlesungen seien oft so überfüllt, dass gar nicht alle dazu kämen, auf den Listen zu unterschreiben: "Da sitzt man hinterher dann noch eine Viertelstunde da." Ist die Vorlesung dagegen schlecht, sagt Erkel, "gehen die Leute raus, sobald die Liste rumgegangen ist".

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