Anonymer Lebenslauf:Name, Alter, Geschlecht? Nicht nötig

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In den USA sind sie üblich, in Deutschland noch undenkbar und in Frankreich werden sie gerade getestet: anonyme Bewerbungen.

J. A. Heyer, M. Koch u. D. Kuhr

Es klingt fast wie ein Scherz: Frankreich testet die anonyme Bewerbung. 50 Unternehmen haben sich bereit erklärt, in den kommenden Monaten Bewerbungen auf einem Formular entgegenzunehmen, auf dem weder der Name noch die Adresse noch das Geburtsdatum stehen. Eine Bewerbung also, die allem widerspricht, was Berufsberater in Deutschland seit Jahren predigen. Schließlich soll eine Bewerbung hierzulande nach einhelliger Meinung dem künftigen Arbeitgeber ein möglichst genaues Bild von dem Kandidaten verschaffen. Nicht so in Frankreich, zumindest nicht für die Zeit der Testphase.

In Frankreich wird er gerade getestet: der anonyme Lebenslauf. (Foto: Foto: iStock)

Mehr Chancengleichheit

Mit dem Vorstoß will das Pariser Arbeitsministerium für mehr Chancengleichheit sorgen; kann doch schon die Postleitzahl Aufschluss darüber geben, aus welchem Milieu ein Bewerber stammt - und für den Arbeitgeber ein Grund sein, die Unterlagen von vornherein auszusortieren. 2006 wurde das Projekt schon einmal in Angriff genommen, verlief dann jedoch im Sande. "Dieses Mal meinen wir es ernst", sagt ein Sprecher von Arbeitsminister Xavier Darcos.

Was sich für manchen absurd anhört, ist in einigen Branchen bereits Praxis. Musiker etwa, die für ein Orchester vorspielen, werden hinter einer Leinwand versteckt. Niemand soll erkennen, wer sie sind. Nirgendwo sind die Gesetze gegen Diskriminierung so streng wie in USA. Bei schriftlichen Bewerbungen gibt es zahlreiche Tabus. Alter, Herkunft, Religion und Familienstand - all das bleibt bei amerikanischen Lebensläufen außen vor. Ein Foto ist bei den Arbeitgebern ebenfalls nicht erwünscht, denn sie fürchten teure Klagen von abgelehnten Bewerbern. Anders als in Frankreich wird in den USA der Name allerdings angegeben, sodass Rückschlüsse auf die Herkunft möglich sind. Und auch das Alter kann sich der Arbeitgeber meist erschließen aus dem Datum des Schul- oder Universitätsabschlusses.

Skepsis bei den Arbeitgebern

In Frankreich wird das Projekt kritisch betrachtet. Skepsis zeigt sich vor allem auf Seiten der Arbeitgeber. Doch Frédérique Poggi, Sprecherin der Hotelgruppe Accor, sieht dafür keinen Grund: Es werde ja niemand allein aufgrund des anonymisierten Lebenslaufs eingestellt, sagt sie. Spätestens beim ersten Vorstellungsgespräch lerne das Unternehmen den Kandidaten kennen. Seit Juli 2009 hat die Accor-Gruppe die Inkognito-Bewerbung auf ihrer Internetseite.

Das Verfahren wird jedoch nicht für alle Ausschreibungen angewandt. Beim französischen Versicherungskonzern Axa beispielsweise nimmt man anonymisierte Lebensläufe nur von den 1000 Bewerbern entgegen, die sich jährlich auf die Stellen für Versicherungsmakler bewerben. Für Posten im Management dagegen gibt es das anonymisierte Verfahren nicht. Trotz des Unmuts in der Wirtschaft, die das Vorhaben größtenteils als "sinnlos" verdammt, hat Sarkozy das Projekt nun wieder auf die Agenda setzen lassen. Der Präsident wünscht sich, dass der entpersonalisierte Lebenslauf zur "Selbstverständlichkeit für alle Arbeitgeber" werde.

In Deutschland scheint das momentan noch undenkbar zu sein. "Jeder Arbeitgeber sollte frei entscheiden können, welche Angaben er in einer Bewerbung haben möchte", sagt Roland Wolf, Arbeitsrechtsexperte bei der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. "Die Menschen werden bei uns nach Qualifikation und Können ausgesucht. Die Gefahr einer Diskriminierung halte ich für äußerst gering."

Zeitangaben bleiben wichtig

Offener reagiert der Bonner Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing. "Der anonymisierte Lebenslauf ist sicher ein effektives Mittel gegen Diskriminierung." Die Frage sei nur, wie weit die Anonymisierungen gingen. Würden beispielsweise jegliche Zeitangaben fehlen, ginge ihm das zu weit. "Der Arbeitgeber sollte durchaus wissen, wie lange das Studium des Bewerbers zurückliegt oder wie lange es gedauert hat."

Frank Jansen, Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht, hält das Projekt für eine "hervorragende Idee". Der Arbeitgeber werde gezwungen, "jedenfalls vor dem ersten Vorstellungsgespräch eine objektive Vorauswahl zu treffen". Das begrüßt auch Christiane Funken, Professorin für Geschlechterforschung an der Technischen Universität in Berlin. "Auf diese Weise wird im ersten Schritt einer Bewerbung allein die Leistung beurteilt." Im zweiten Schritt, dem persönlichen Gespräch, gehe es dann zwar darum, ob derjenige auch tatsächlich ins Team passt. "Aber wenn ich weiß, dass vor mir ein Mensch sitzt, den ich aufgrund seiner Qualifikationen eingeladen habe, dann schaue ich ihn mir doch ganz anders an."

© SZ vom 14.11.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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